Neue Zürcher Zeitung - 08.09.2019

(John Hannent) #1

NZZ am Sonntag8. September 2019


International 5


JEKESAI NJIKIZANA

/ AFP

Vom Befreiungsheldenzum Plünderer Simbabwes: Derverstorbene Robert Mugabe.(Harare, 8.11.2017)

Wächter Dunbar Tafirennyika.

CHRISTIAN PUTSCH

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Die katastrophale Politik von Robert Mugabe zwang Millionenzur Flucht. An Rückkehr ist nicht zu denken


Christian Putsch,Kapstadt


Sein typischer Arbeitstag ist 14
Stunden lang. Pausen macht der
Simbabwer DunbarTafirennyika
nicht. Er hat während seiner
sechsJahre alsWächter auf einem
Supermarktparkplatz im Kap-
städterVorort Hout Bay keinen
Unfall zugelassen.Auch keinen
Diebstahl. Darauf ist der 30-Jäh-
rige stolz, die Ablenkung eines
Mittagessenskönnte dieseBilanz
trüben. Und ihn denJob kosten.
Jetzt stellt er sich doch kurz in
denSchatten einerWand. Einige
Stunden zuvor ging dieMeldung
um dieWelt, dass Simbabwes
ehemaliger Diktator Robert
Mugabe im Altervon 95 Jahren
gestorben ist.Jener Mann,wegen
dessen katastrophaler Wirt-
schaftspolitik Tafirennyika ins
Ausland ziehen musste,wie seine
vier Geschwister und die meisten
seinerGeneration in Simbabwe.
GenaueZahlen gibt es nicht, doch
die Mehrheitgeht nach Südafri-
ka. Im Nachbarland leben offiziell
574000 simbabwische Wirt-
schaftsflüchtlinge, die tatsäch-
licheZahl dürfte aber bei mehre-
ren Millionen liegen,wie jüngst
eine Ministerin sagte. Einige
Schätzungen gehenvon 3,4 Mil-
lionen Simbabwern aus, die ihr
Land verlassen haben – das wäre
ein Viertel derBevölkerung.
Tafirennyika hätte gerne die
Möglichkeitgehabt,Mugabe die
Meinung zu sagen: «Ich hätte ihn
gefragt, ob er überhauptweiss,
unter welchen Umständenwir le-
ben?», sagt er, «ob erweiss, wie
schwierig dasLeben in Simbabwe
und Südafrika für uns ist.»Muga-
besWitwe Grace nennen sie in
der Hauptstadt Harare wegen
ihrer ausgiebigen Einkaufstouren
in europäischen und asiatischen
Metropolen «Gucci-Grace». Und
auch der einstigeBefreiungsheld
war nichtgerade für einen sparsa-
menLebensstil bekannt. Es ist
symptomatisch, dass er nach
monatelanger Krebsbehandlung
in einemteuren Spital in Singapur
starb. Das Gesundheitssystem
des eigenenLandes liegt brach.


Vom Garten leben


Auf dem Parkplatz in Kapstadt
überlegt Tafirennyika, was er
fühlt,wenn er den Namen des
Politikers hört.Der junge Mann
zögert, offene Kritik kann auch
in der DiasporaKonsequenzen
haben. «Ich bin nicht glücklich
mit dem, was ergetan hat», sagt
er schliesslich, «aber er hat nicht
alleinSchuld, diePolitik in Sim-
babwe ist eine Katastrophe.Sein
Nachfolger ist nicht besser.»
Seine Ausbildung als Elektriker
musste er 2013 abbrechen. Die
Firmakonnte ihn nicht mehr be-


zahlen, erwurde arbeitslos, so
wie 90Prozent der Bevölkerung.
«Es gibtkeine Industrie,keine
Jobs, deshalb laufen dieLeute
weg. Es ist noch schlimmer als
unter Mugabe. Simbabwe ist am
Ende», sagt Tafirennyika. Ein
Bruder in Kapstadt bot ihm eine
Unterkunft an – undTafirennyika
machte sich auf denWeg.
Nun also Parkwächter, der be-
scheidene Broterwerb sovieler
afrikanischer Migranten in Süd-
afrika. Unter ihnen sindLehrer,
Ingenieure, eine Zeit lang sogar
ein ehemaligerFussballnational-
spieler desKongos. Sieweisen
Autos ein, helfen beimAusparken
und beim Tragen der Einkaufs-
tüten. Ein Grundgehalt gibt es
nicht, mancheKunden zahlen
rund fünf Rand (30 Rappen), in
grössererZahl fahren sie einfach
vorbei. DieLeute inHout Bay
aber schätzen denfreundlichen
und enorm emsigenTafirennyi-
ka. An gutenTagen kommt er
deshalb auf umgerechnet 20
Franken, mehr als die meisten
Parkwächter. Davon unterstützt
er seineFamilie und siebenVer-
wandte.
An diesemWochenende fährt
er mit dem Bus in dieHeimat,
zum ersten Mal seit über zwei
Jahren. DreiTage dauert dieReise.

Tafirennyika tritt sie nichtwegen
der anstehenden Trauerfeiern für
Mugabe an, sondern um den
Eltern endlich seineTochter vor-
zustellen und um ihnen zu hel-
fen. Sein pensionierter Vater
arbeiteteeinst als Arzt, doch sei-
ne Rente istwegen derWäh-
rungskrisen desLandeswertlos
geworden. Er lebt jetzt überwie-
gend vom Obst undGemüse in
seinem Garten.Der Parkwächter
muss ihnenLebensmittel brin-
gen. In Simbabwe sind sie un-
erschwinglic h geworden. Nach
monatelangem Sparen hatTafi-
rennyika für umgerechnet 100
Franken Speiseöl,Reis, Nudeln,
Bohnen undSeife eingekauft.

Traum vom Taxi
Immerhin ist der Parkwächter
nicht von den fremdenfeind-
lichen Übergriffen der letzten
Tage in Südafrika betroffen, die
Angriffe fanden vor allem in

Johannesburg undPretoria statt.
Migranten arbeiten oft fürgerin-
gere Löhne, zudemgelten die
Arbeitnehmer aus Simbabwe als
besser ausgebildet undwerden
von Firmen bevorzugt – das sorgt
immerwieder für Spannungen.
Doch das Zusammenleben mit
den Südafrikanern in örtlichen
Townships,woMigranten aus
über einem Dutzend Ländern
wohnen, funktioniere imVer-
gleich zu anderen Armenvierteln
der Stadt gut, sagtTafirennyika.
Viele Simbabwer sind seitJahr-
zehnten in Südafrika und haben
die Hoffnung auf eineRückkehr
aufgegeben. Nicht soTafirennyi-
ka. Ervermisst seineHeimat und
träumtvom eigenenTaxi in der
Hauptstadt Harare. «Ichversuche
zu sparen, aber es bleibt kaum
etwas übrig», sagt er.Der Fami-
lienvater mag den Traum nicht
aufgeben.Auch wenn er die harte
Realitätkennt.

SimbabwesverloreneGeneration


Tod von Robert Mugabe


Seine Ideale starben lange vor ihm


Wäre Robert Mugabe Anfang
der 1990er Jahre zurückgetre-
ten, hätte er – die Unterdrü-
ckung der Ndebele-Volksgruppe
ausgenommen –wohl als gros-
ser Staatsmann in die Geschichte
eingehenkönnen.In den ersten
Jahren als Regierungschef des
erst 1980 unabhängig geworde-
nen Simbabwes hatte sich der
einstigeBefreiungskämpfer für
Pluralismus und Aussöhnung
eingesetzt. Doch in den90er
Jahren richtetesich Mugabes
Zorn gegen dieweisse Minder-
heit, besonders die 4500 Land-
wirte. Dürrejahre hatten den
Staatshaushalt um Einnahmen
gebracht. Trotzdemversprach
er 1997 Kriegsveteranen gross-

zügigePensionszahlungen,
schickte Tausende Soldaten in
den Kongo-Krieg. Auf Rücktritts-
forderungenreagierte er mit
Gewalt. 90 Prozent derweissen
Farmerverloren ihrenBesitz,
Hunderttausendeschwarze
Arbeiter dieExistenzgrundlage.
Millionen Simbabwer flüchteten
der Wirtschaftslagewegen ins
Ausland. 2008 verlorMugabe
die Wahlen klar. Doch er klam-
merte sich mit Hilfe des Militärs
weiter an die Macht. 2017 zwang
ihn Emmerson Mnangagwamit
derArmee zum Rücktritt und
übernahm dieFührung. Mugabe
starb 95-jährig in Singapur.
Mnangagwa pries ihn als «Ikone
derBefreiung».Christian Putsch

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