Beobachter - 13.09.2019

(nextflipdebug5) #1

Werden die Patienten genügend über
die Nebenwirkungen aufgeklärt?
Über die gängigen Nebenwirkungen wie Übelkeit
oder Zittern werden sie gut aufgeklärt. Doch Stu­
dien zeigen, dass den wenigsten erklärt wird,
dass sie schwere Entzugserscheinungen haben
können, wenn sie das Mittel absetzen.


Schweizer Klinikdirektoren argumentieren,
dass die Studien nicht alles berücksichtigten.
Mit höheren Dosen, anderen Medikamenten
oder Medikamentenkombinationen könne
wirksam geholfen werden.
Ich sage nicht, dass Antidepressiva niemandem
helfen. Wenn ich eine schwere Depression hätte,
zöge ich Medikamente auch in Betracht. Aber:
Die Wissen schaft hat keinen Beleg dafür gefun­
den, dass höhere Dosen, andere Medi kamente
oder Kombinationen nützen. Dass das weiterhin
behauptet wird, obschon es in zahlreichen
Studien widerlegt wurde, finde ich proble­
matisch.


Ruinieren Sie nicht Ihre wissenschaftliche Karriere
mit solchen Aussagen?
Wenn ich ein aufstrebender Arzt an einer psychi­
atrischen Klinik wäre, hätte ich wahrscheinlich
Probleme. Ich bin aber nicht gegen Psychiatrie


oder Medikamente, obwohl gewisse Leute meine
Argumente so auslegen. Ich setze mich bloss
für eine kritische Nutzen­Risiko­Evaluation und
eine vernünftige Verschreibungspraxis ein.
Antidepressiva sind nicht per se schlecht. Sie
werden aber zu oft und zu lange eingesetzt.

Die Metastudie aus Kopenhagen wirft auch
die Frage auf, warum Negativergebnisse
in der Schublade verschwinden. Werden Forscher
durch Pharmagelder korrumpiert?
Die Mainstream­akademische Psychiatrie ist
eng mit der Pharmaindustrie verbunden. Viele
führende Psychiatrieexperten und Klinikdirek­
toren erhalten erhebliche finanzielle Unterstüt­
zung von der Branche. Und damit meine ich
nicht nur Forschungsgelder, sondern insbeson­
dere persönliche Einkünfte als Sprecher, Refe­
renten und Berater.

Und alle, die Geld erhalten, sind gekauft?
Nein, nicht jeder, der Geld von Pharmafirmen
annimmt, ist korrumpiert. Aber es ist ein Risiko­
faktor. Forscher mit finanziellen Interessen­
konflikten erwähnen die Risiken weniger als
unabhängige Forscher. Ausserdem übertreiben
sie gern bei der Nützlichkeit von Medikamenten.
Das zeigen leider etliche Studien. YVES DEMUTH

Antidepressiva:
Über die Neben-
wirkung Zittern wird
aufgeklärt, über
die Abhängigkeit
aber oft nicht.


«Nur eine
von neun
Personen
hat einen
Nutzen
durch Anti-
depressiva,
den sie mit
Placebo
nicht hätte.»

Beobachter 19/2019 37
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