Beobachter - 13.09.2019

(nextflipdebug5) #1
FOTO: ELEKTRIZITÄTSWERK WALENSTADT, PRIVAT

G


rüne Wiesen zwischen Schindelhäusern
und grauen Fabriken. Breite Strassen,
Dorfbeiz und Blumenladen. So unspek-
takulär freundlich präsentiert sich das Schwem-
miweg-Quartier in Walenstadt. Genau hier wird
die solare Zukunft der Schweiz geprobt. Quartier-
bewohner treiben einen regen Handel mit selbst
produziertem Strom.
Auf den Dächern verwandeln Fotovoltaik-
anlagen die Sonnenstrahlen in elektrische
Energie. Im Keller messen intelligente Strom-
zähler Produktion und Verbrauch. Sie sind das
Herz des Projekts Quartierstrom, durchgeführt
von der ETH Zürich und einem Konsortium von
Forschungspartnern.
27 Haushalte besitzen eigene Solaranlagen,
neun sind als reine Konsumenten dabei,
darunter das Altersheim Riva. Wer zu viel Strom
produziert, verkauft ihn an die Nachbarn. Wer
zu wenig hat, kauft den Strom im Quartier zu-
sammen. Wenn dann noch Solarstrom übrig
bleibt, wird er ins Netz des Wasser- und Elektri-
zitätswerks Walenstadt WEW eingespeist. Falls
die Sonne zu wenig stark scheint, liefert das
WEW den Saft, damit im Schwemmiweg-Quar-
tier nicht die Lichter ausgehen.

Erfolgreicher als erhofft. Quartierstrom ist ein
Leuchtturmprojekt, das das Bundesamt für
Energie im Rahmen der Energiestrategie 2050
subventioniert. Die Erwartungen waren ent-
sprechend hoch. Auswertungen aus dem ersten
Halbjahr zeigen nun: Das Konzept funktioniert
noch besser, als sich Optimisten erhofft hatten.
Hochgerechnet auf ein Jahr produzierten die
27 Anlagen gegen 300 000 Kilowatt Strom. «Durch
den lokalen Handel werden bis zu 60 Prozent des
Stroms in der Gemeinschaft selbst genutzt», sagt
Projektleiterin Verena Tiefenbeck von der ETH.
Zum Vergleich: Ein einzelner Haushalt, der
nicht mit seinen Nachbarn vernetzt ist, ver-
braucht typischerweise knapp 30 Prozent seines
erzeugten Solarstroms selbst. Der Rest fliesst
zum Einspeisetarif ins öffentliche Netz – ein
schlechtes Geschäft für Produzenten.
Bei Quartierstrom erzielten die Produzenten
deutlich bessere Preise. Deshalb ist Verena
Tiefenbeck überzeugt: «Unser Projekt kann den

Trend hin zu den erneuerbaren Energien noch
beschleunigen.» Denn mit Solarstrom lässt sich
so auch ohne subventionierte Preise plötzlich
gutes Geld verdienen.
Damit der Handel im Quartier klappt, musste
ein Abwicklungsinstrument entwickelt werden.
Es funktioniert wie ein digitales Kassenbuch:
Produzenten legen den Angebotspreis fest, Kon-
sumenten den Kaufpreis. Algorithmen ermitteln
dann im Viertelstundentakt, wer von wem den
Strom beziehen kann. Alle Quartierbewohner
sind über eine App zusammengeschlossen und
können live verfolgen, wie sich der Tarif ver-
ändert. «Der Preis lag zwischen dem Einspeise-
tarif von 4 Rappen pro Kilowattstunde und
dem normalen Strompreis von etwas mehr als
20 Rappen», sagt Verena Tiefenbeck. Quartier-

ENERGIE. Solarstrom für sich erzeugen bringt viel. Wenn man sich im Quartier
zusammenschliesst, doppelt so viel. Das zeigt ein Pionierprojekt in Walenstadt.

Günstiger Strom


von Nachbars Dach


60
Prozent
des lokal
produzierten
Stroms
können
im eigenen
Quartier
genutzt
werden.

Strom aus lokalem Anbau:
Schwemmiweg-Quartier in Walenstadt SG

46 Beobachter 19/2019
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