Beobachter - 13.09.2019

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W


as macht Menschen gesund?
Es war eine Studie über
Frauen, die den Medizin­
soziologen Aaron Antonovsky
dazu brachte, diese Frage ins Zentrum sei­
ner Forschung zu rücken. Der 1923 geborene
Forscher untersuchte Ende der sechziger
Jahre, wie Frauen mit der Menopause und
den damit einhergehenden Problemen um­
gehen. Er befragte im Rahmen dieser Studie
auch 77 Holocaust­Überlebende zu ihrem
Wohlbefinden und ihrem körperlichen und
seelischen Gesundheitszustand. Dass fast
ein Drittel dieser Frauen trotz ihrer extre­
men Erfahrungen bei guter Gesundheit war,
grenzte für ihn an ein Wunder, das er ergrün­
den wollte. In seinem Buch «Health, Stress
and Coping», das er 1979 veröffentlichte,
plädierte er dafür, nicht nur die Entstehung
von Krankheiten, also die Pathogenese, zu
erforschen, sondern die Entstehung der
Gesundheit in den Fokus zu rücken, die
sogenannte Salutogenese.

Grundvertrauen ins Leben. «Damit hat Anto­
novsky das Denken völlig umgekehrt», sagt
Claudia Meier Magistretti, Psychologie­
professorin an der Hochschule Luzern, die
diesen Herbst ein Handbuch zur Saluto­
genese herausgeben wird. «Damals gab es
einfach gesund und krank, und Krankheit
musste man bekämpfen und verhindern.
Antonov sky war der Erste, der sagte, die

TEXT: MARTINA HUBER | FOTO: JACQUELINE LIPP

WOHLBEFINDEN. Menschen, die auf ihre Fähigkeiten vertrauen,
geht es besser. Sie fokussieren auf Ressourcen, die sie stärken.
Nun hat auch die Medizin die Kraft der Salutogenese entdeckt.

Machen wir


uns gesund


Das Körperbewusstsein


der Frauen


Frauen gelten gemeinhin als
gesundheitsbewusster als
Männer, doch sind sie das tat-
sächlich? «Es ist mehr als
ein Klischee», sagt Psychologin
Rebecca Brauchli vom Center
of Salutogenesis der
Universität Zürich. «Nur schon
weil wir menstruieren, schwan-
ger werden und eine Geburt
erleben können, nehmen wir
unseren Körper anders wahr
als Männer», sagt sie. Dieses
andere Körperbewusstsein
erkläre auch teilweise das
sogenannte Mortalitäts-
Morbiditäts-Paradoxon: die
Tatsache, dass Frauen laut
Statistik zwar häufiger krank
sind als Männer, aber trotzdem
länger leben. Sie gehen häu-
figer zum Arzt als Männer,
zudem gilt Schwangerschaft
als Krankheit. Die unterschied-
liche Lebenserwartung der
Geschlechter erkläre sich auch
durch unterschiedliches

Gesundheits- und Risiko-
verhalten. So rauchen und
trinken Männer beispielsweise
mehr als Frauen.

Andere Erklärung. «Frauen ver-
halten sich in vielem gesünder
als Männer», bestätigt auch
Psychologin Claudia Meier
Magistretti von der Hochschule
Luzern. Dennoch findet sie,
dass Frauen nicht grundsätzlich
gesundheitsbewusster sind
als Männer. «Frauen haben
einfach eine andere Art, über
Gesundheit zu sprechen», sagt
sie. Was uns denken lässt,
sie seien gesundheitsbewusster.
So habe etwa eine Studie
zum Thema Migräne gezeigt,
dass Frauen Kopfschmerzen
oft sich selbst und ihrer
Psyche zuschreiben. Männer
hingegen schrieben identische
Beschwerden meist den
äusseren Umständen zu und
erklärten sie physiologisch.

94 Beobachter 19/2019
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