Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
FOTO: J.REETZ/BRAUERPHOTOS

David wächst als Barbara Shirin Davi­
davicius in Hamburg auf. Den Vater, Iraner,
sieht sie kaum. Die Mutter, Litauerin, küm­
mert sich allein um Barbara und ihre
jüngere Schwester und bringt die beiden
in Kontakt zur Kunst. Als sie drei ist, be­
kommt David erste Klavierstunden. Dazu
kommen Violine, Saxofon, Oboe, außerdem
Ballettschule und Jugendopernakademie.
Unterricht und Üben von Montag bis Sonn­
tag, abends kleine Rollen an der Staatsoper,
die Schulaufgaben zwischendrin im Auto.
„Meine Mutter hat etliche Jobs angenom­
men und hat sich Geld geliehen, damit wir
Ballett tanzen und Saxofon spielen kön­
nen“, sagt David. Als sie älter wird, beginnt
sie das ständige Üben zu nerven, irgend­
wann lässt sie es. Dann verändert das
Internet ihr Leben.
2014 gründet David ihren eigenen You­
tube­Kanal, macht Comedy, redet über
Beauty und erzählt aus ihrem Leben.
Sie bricht die Schule ab und zieht zu
einem Youtuber­Netzwerk nach Köln. „Ich
glaube, meine Mutter hat davon über Twit­
ter erfahren“, erzählt David.
Auch außerhalb des Inter­
nets wird Shirin David zum
Star. 2017 saß sie in der Jury von „DSDS“. Die
Zuschauer störten sich an ihren wechseln­
den Perücken und nannten sie inkompe­
tent, sie hassten sich an ihr ab. „Die Masse
hat mich schockiert“, sagt David. „Wenn du
das überlebst, kannst du alles überleben.“
Anfangs hätten ihr die Kommentare über
ihr Aussehen extrem wehgetan, sagt David,
mittlerweile tun sie es nicht mehr. Als sie
die Single „On/Off“ veröffentlichte, sagte
sie zu ihrem Manager: Wir haben nicht
genug Hate, irgendwas stimmt hier nicht.
„Urteilen“, sagt David, „ist das größte
Hobby von uns allen.“ Das zu wissen ist
wahrscheinlich ihr Erfolgsgeheimnis.
Man muss Davids erstes Album nicht
mögen. Bemerkenswert ist es trotzdem.
Sie schlägt darin nämlich starke Töne an,
zumal für die Welt des Deutschraps, in der
Frauen noch immer in der Minderheit sind
und um Anerkennung kämpfen müssen.
Ihre Texte vibrieren vor Selbstbewusstsein.
Sie stellt zur Schau, was sie hat: ihren
Körper, ihr Geld. In „Orbit“ heißt es: „Von
deiner Chick zu einer Boss­Bitch, bin ’ne
Macherin, ich hoff’ nicht.“
Ihre großspurige Attitüde provoziert.
„Weil es anstrengend ist, wenn eine Frau

Neulich hat Shirin David gezeigt, was pas­
siert, wenn ein Internet­Hype offline geht.
Sie hat eine große Straße lahmgelegt, mit­
ten in Berlin, vor dem KaDeWe. Eigentlich
wollte sie mit ihrem Team ihr neues Mu­
sikvideo drehen, fuhr mit Freundinnen in
einem Renault Twingo vor, hupte zweimal.
Minuten später verstopften Hunderte jun­
ge Menschen die Straße, mussten zurück­
gedrängt werden. Autos kamen nicht mehr
durch, hupten auch, ein Bus stand quer.
„Wir sind einfach rein ins KaDeWe, und
die ganzen Jugendlichen hinter uns her,
zum Parfüm, zum Puder“, erinnert sich Shi­
rin David zwei Tage später. „Das war wild!“
Bestünde die Republik nur aus Menschen
unter 25, wäre David wohl ihr größter Pop­
star. Auf Youtube folgen ihr rund 2,6 Millio­
nen, auf Instagram knapp fünf. Außerdem
wurde sie als Jurorin bei „Deutschland
sucht den Superstar“ bekannt. Sie hat nicht
nur ihr eigenes Parfüm. Sie macht jetzt
auch Musik.
Auf ihrem Debütalbum singt David, 24,
über die schwierige Beziehung zu ihrem
Vater, über Liebe, Hass, und rappt davon,
was sie alles trägt und hat. Es heißt „Super­
size“, weil David eben alles besonders groß
mag. Zum Beispiel ihre schweren künstli­
chen Wimpern und die unendlich langen,
pinken Fingernägel, die während des Ge­
sprächs auf dem Tisch klackern.
Ihre Single „Gib ihm“ wurde in nicht mal
sechs Stunden mehr als eine Million Mal
auf Youtube geklickt. Im sehr pinken Mu­
sikvideo rekelt sich David knapp bekleidet
zwischen Designer­Emblemen, lässt sich
von Oben­ohne­Jungs ein Brautkleid
schneidern und twerkt auf einem Motor­
rad. Am Weltfrauentag stand der Song an
der Spitze der Charts.
Dick Schminke, gemachte Brüste und
ganz viel Gucci – David propagiere ein
überholtes Frauenbild, sagen Kritiker. Es
ist bei Shirin David aber wenig so, wie es
zunächst scheint.

N


dominant ist oder zeigt, was sie hat. Weil
wir nur kennen, dass Männer das tun“, sagt
David. Frauen seien in Musikvideos die
schönen Accessoires. „Es ist neu, wenn du
als Frau deinen Mund aufmachst.“ Das ha­
ben zwar schon andere Rapperinnen vor
ihr getan. Das Besondere an David aber ist,
dass man es von ihr nicht
erwartet hat. Und dass sie als
junge Künstlerin gleich das
Deutschrap­Patriarchat herausfordert.
Im März veröffentlichte der Rapper
Shindy einen Song namens „Affalterbach“
mit Gesang von David. Nur kurze Zeit
später musste er den Song auf ihren Druck
hin wieder vom Netz nehmen. Er warf
David daraufhin vor, erst zwei Stunden vor
Veröffentlichung ihre Beteiligung abge­
sagt zu haben. Der nächste Shitstorm: Was
erlaubt sich diese Newcomerin eigentlich?
David wirkt abgeklärt, wenn sie über die­
sen Vorfall spricht. Aber man spürt, wie sehr
er sie beschäftigt hat. Sie behauptet, sie habe
schon Wochen vor der Veröffentlichung des
Songs abgesagt. Grund war das Konzept für
das Musik video. Sie hätte mit zwei weite­
ren Frauen am Straßenrand stehen und zu
Shindy in den dicken Mercedes steigen sol­
len. „Es hätte ein falsches Bild vermittelt“,
sagt sie. „Ich wollte mich selbst als Künst­
lerin setzen, nicht zu jemandem gehören.“
Damals hieß es: Wie kann sie sich zu gut
dafür sein, in Shindys Auto zu steigen,
sich im eigenen Video aber zum Sexobjekt
machen? David antwortete in einer Ansage
an Shindy: „Es ist ein erheblicher Unter­
schied, ob ich in meinem Video die Bitch
bin oder in deinem.“

Von allem viel: Auch die Haarpracht
von Shirin David beeindruckt

Von Matthias Bolsinger

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