Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
FOTOS: FRANZISKA BELTRACCHI; DPA

Wolfgang Bel-
tracchi wurde 1951
im westfälischen
Höxter geboren.
Er verließ nach ein
paar Semestern
die Kunstschule,
fälschte später
Gemälde im Stil
berühmter Maler
wie Max Ernst
und Heinrich
Campendonk.
Seine Frau Helene
verkaufte die
Bilder für Millio-

nen, Experten
hielten sie für
Originale. Als
Beltracchi aufflog,
war der Kunst-
markt blamiert.
2011 verurteilte das
Landgericht Köln
den „Jahrhundert-
fälscher“ (o. mit
seinem Anwalt)
und seine Frau
zu mehrjährigen
Haftstrafen. Das
Paar lebt heute
in der Schweiz.

H


and aufs Herz: Wie viele Ihrer
Fälschungen hängen noch unter
den Namen berühmter Maler in
Museen?
Weiß ich nicht genau, so 250 wer-
den es weltweit wohl noch sein.
Macht Sie das stolz?
Nein, gar nicht. Das ist so, als würde man
ein uneheliches Kind treffen.
Wann haben Sie zuletzt eines Ihrer
„unehelichen Kinder“ getroffen?
Das ist gar nicht lange her. In Hamburg.
Aber nicht im Museum, sondern in einer
Ausstellung. Ich sage Ihnen nicht, wo.
Haben Sie nicht in allen Kunstmuseen
dieser Welt Hausverbot?
Nein, überhaupt nicht.
Aber die Mitarbeiter werden blass, wenn
sie Sie sehen ...
Die werden sehr blass, nicht alle, aber
viele. Und sie verfolgen mich.
Sie scherzen ...
Nein, in Frankfurt haben sie mich mal bis
auf die Toilette verfolgt. Aber das passiert
nur in Deutschland.

Der Prozess hat sie zum berühmten
„Jahrhundertfälscher“ gemacht. Vorher
kannte Sie niemand. Der Betrug hat sich
ausgezahlt. Oder?
Nein, es macht sich nicht bezahlt, wenn
man ins Gefängnis muss. Ich habe zwar
an den Fälschungen gut verdient und ein
schönes Leben geführt. Das will ich nicht
abstreiten. Aber ich würde es nie wieder
tun. Gefängnis ist zu schlimm.
Worunter haben Sie denn am meisten
gelitten?
Unter der Trennung von meiner Frau. Sie
war ja nur hundert Meter Luftlinie von
mir in Haft. Und unter dem Gefühl, aus-
geliefert zu sein.
Heute malen Sie Promis wie Oscar-Preis-
träger Christoph Waltz. Was kostet ein
echter Beltracchi?
Das ist unterschiedlich. Das letzte Bild, ein
kleines Porträt, habe ich gespendet. Es
wurde auf einer Auktion für einen wohl-
tätigen Zweck versteigert und brachte
180 000 Euro ein. Porträts von Einzel-
personen liegen so zwischen 100 000 und
200 000 Euro. Große Gemälde kosten auch
schon über 300 000 Euro. Aber ich male
nicht viel. Nur noch vier Porträts im Jahr.
Mein Output ist nicht sehr groß.
Sie haben den Kunstbetrieb erschüttert.
Hat sich was geändert?
Nicht viel. Immerhin gibt es in Hamburg
jetzt einen Lehrstuhl für Provenienzfor-
schung. Aber der Markt als solcher existiert,
wie er auch vorher existiert hat.
20 Millionen Euro mussten Sie nach dem
Prozess zurückzahlen. Haben Sie heute
noch Schulden?
Nein, ich habe keine Schulden mehr. Sonst
könnten wir auch nicht in der Schweiz
leben, die hätten uns nicht reingelassen.
Es gab einen Dokumentarfilm über Sie.
Mit Ihrer Frau haben Sie ein Buch ge-
schrieben. In einer Fernsehserie haben
Sie Promis gemalt. Und nun?
Wir verhandeln mit mehreren Filmfirmen
in Los Angeles. Die wollen einen Spielfilm
über unsere Geschichte drehen. Mal sehen,
was da rauskommt. Zurzeit tourt die
Ausstellung „Kairos“ europaweit. Gerade
ist sie in Wien. Im nächsten Jahr stelle ich
in Zürich aus.
Die Kunstzeitschrift „Art“ hält Sie für
„aktuell überschätzt“. Trifft Sie das?
Kein bisschen. Ich bin einer der ganz
wenigen Künstler, die völlig unabhängig
vom Kunstmarkt sind. Ich habe meine
eigenen Vertriebswege, meine eigenen
Sammler, und zwar weltweit. Die sollen
schreiben, was sie wollen. Das interessiert
mich überhaupt nicht. 2
Interview: Kerstin Herrnkind

Der „Jahrhundertfälscher“ narrte über Jahre die
Kunstwelt. Bis er 2010 verhaftet wurde

Wolfgang
Beltracchi, 68,
in seinem Atelier
in der Schweiz

Wolfgang Beltracchi


122 1 2.9. 20 19

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