Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1

A


m Anfang mag es ein Missverständ-
nis gewesen sein. Eine Fehlein-
schätzung der Absichten Angela
Merkels, über die beide Frauen
nie offen miteinander gesprochen
hatten. Dann aber wurde – Zug um
Zug – ein Machtkampf daraus, den die
Kanzlerin für sich entschied, weil Annegret
Kramp-Karrenbauer vor dem Äußersten
zurückschreckte. Sie war schon zu kraftlos
geworden, um den Putsch wagen zu kön-
nen. Anfang Mai, nach fünf Monaten es-
kalierender Rivalität, führte Merkel die
klärende Konfrontation herbei.
Kennt man diesen entscheidenden
Moment, fügen sich die Ereignisse seit der
Wahl von AKK zur CDU-Vorsitzenden im
Dezember vergangenen Jahres nahtlos an-
einander. Folgerichtig im Ablauf. Packend
in der Dramatik. Hart und klar im Finale.
Am Anfang mag die neugewählte Partei-
chefin noch dem Missverständnis erlegen
sein, Merkel werde rasch auch die Kanzler-
schaft aufgeben. Im Februar. Offen gespro-
chen hatten die beiden nie darüber, es liegt
nun mal nicht in Merkels Naturell, ihr In-
nerstes zu offenbaren. Aber hatte sie nicht
immer gesagt, Parteivorsitz und Kanzler-
amt gehörten in eine Hand? Alles sprach
in dieser ersten Phase für die Saarländerin.
Die Umfragen machten sie euphorisch.

Also folgte die zweite Phase, die des
Angriffs. AKK organisierte ein „Werkstatt-
gespräch“ über die Flüchtlingspolitik. Ohne
Merkel. Im Februar. Am Ende verkündete
sie in den „Tagesthemen“ auf die Frage
nach Grenzschließungen: „Wir haben ge-
sagt, als Ultima Ratio wäre das durchaus
auch denkbar.“ Das war der Versuch einer
Versöhnung der Parteilager unter neuer
Führung, machtpolitisch aber eine unver-
hohlene Kampfansage an Merkel.
Die hatte immer argumentiert, eine
Grenzschließung wäre humanitär un-
erträglich und im übrigen organisatorisch
auch gar nicht zu bewältigen. Das Kanzler-
amt zeigte sich empört. Im CDU-Präsi-
dium wurde Merkel gar gedemütigt, als
AKK verfügte, die Kanzlerin trage nur zur
Außenpolitik vor, der Fraktionschef zur
Innenpolitik. Merkel aber machte noch
immer keine Anstalten zu weichen.
Im Gegenteil. Nun, in der dritten Phase,
setzte sie sich zur Wehr. Ihr war nicht ver-
borgen geblieben, dass AKK Seilschaften
organisierte, um sie im entscheidenden
Moment zu mobilisieren. Also begannen
Flüsteragenten, die Fehlerdebatte um AKK
anzufachen. Karneval, Rezo, Flugzeug-
träger ... Aus einem „Kann-die’s?“ wurde
rasch ein „Die-kann’s-nicht!“. Dazu wurde
gestreut, die Parteichefin sei rechts, ver-
liere die Mitte. AKK zeigte sich nervös,
haspelig. Ihre Seilschaften zerbrachen –
gesprengt durch Merkels Gegendruck.
Und das exakt in dem Moment, als AKK
darauf setzte, den Wechsel zwischen der
Europawahl Ende Mai und dem Beginn der
parlamentarischen Sommerpause im Juli
zu erzwingen. Viele Zaunkönige in der
Partei teilten diese Erwartung. Für Anfang
Juni beraumte die Parteichefin eine Klau-
sur an, und die Spekulation raste durch
Berlin, dort solle Merkel gestürzt werden.
Da entschloss sich die Kanzlerin zur
Konfrontation. Anfang Mai lud sie AKK
zum Essen ein, brachte die Putschgerüch-
te zur Sprache und warnte, frontal: Du
kannst es ja mal versuchen. Das hieß nichts
anderes als: Dann bist du erledigt. AKK
erschrak. Und unterwarf sich am 12. Mai in
einem Interview mit der „Welt am Sonn-
tag“. „Die Kanzlerin und die Regierung
sind für die ganze Legislaturperiode ge-
wählt, und die Bürger erwarten zu Recht,
dass sie die Verpflichtung, die mit dieser
Wahl einhergeht, ernst nehmen. Ich kann
also für mich ausschließen, dass ich auf
einen mutwilligen Wechsel hinarbeite.“
Mutwillig. Ein eigentümliches Wort. Es
stand für: Putsch. Merkel hatte gesiegt. 2

Im November hatte die Union nach den
Erhebungen des Forsa-Instituts noch bei
27 Prozent gedümpelt, dann kam AKK und
es wurden 32 daraus. Die Partei zog Saft.
Im Januar, nach einer Führungsklausur
in Potsdam, wurde die Neue gefeiert.
„Merkel spielt nur noch eine Nebenrolle“,
berichtete etwa „Zeit online“. Die Kanz-
lerin tat es als „verplemperte Zeit“ ab,
auf Fehler der Vergangenheit zu schauen.
Sie geriet ins Abseits. Doch sie wich nicht.

DER MACHTKAMPF


Die CDU-Chefin wollte die Kanzlerin stürzen –


da entschloss sich Angela Merkel zur Konfrontation.


Unter vier Augen. Und gewann


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KOLUMNE


JÖRGES


Hans-Ulrich Jörges
Der stern-Kolumnist schreibt
jede Woche an dieser Stelle

ZWISCHENRUF AUS BERLIN


ILLUSTRATION: JAN STÖWE/STERN
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