Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1


FOTOS: THOMAS VICTOR/STERN; HENNING ROSS/STERN

Automobilindustrie
Schaeffler, Luckenwalde

Im Werk des Betriebsratsvorsitzenden
Frank Hildebrandt werden Teile für
Verbrennungsmotoren hergestellt.
„Womit wir auch schon beim Problem
wären“, sagt er. „Verbrennung: Das wer-
den in Zukunft immer weniger Menschen
haben wollen.“ Die Autoindustrie steckt
mitten in einem Technologiewandel, zu-
sätzlich brechen die Produktionszahlen
ein. „Wir hängen voll an deren Nabel,
mit allen Aufs und Abs. Der Jackpot wäre
für uns ein Produkt der Elektromobilität,
aber davon träume ich noch nicht mal.“

Wir spüren alle:


Die Zeiten


sind schwer“


deutschland und außerdem der größte
Arbeitgeber in Luckenwalde nach der
Kreisverwaltung.“
So wie Frank Hildebrandt machen sich
viele Sorgen um ihre Zukunft. Nach beina­
he zehn Jahren Aufschwung ist ein fast
vergessener Begriff wieder da: „Rezession“.
„What goes up must come down“ – das
uralte englische Sprichwort beschreibt das
Gefühl ziemlich treffend: Nach all den
guten Zahlen vom Arbeitsmarkt, den sat­
ten Lohnerhöhungen, den sprudelnden
Steuereinnahmen ist reichlich Platz für
Verlustängste. Kommt jetzt eine Krise wie
2008, als die ganze Welt stillzustehen
schien?
Längst haben die Sorgen ein reales Fun­
dament: Im Juli gingen die Auftrags­
eingänge der deutschen Industrie um 2,7
Prozent zurück. Der Export sank sogar um
fast acht Prozent. Über 50 deutsche Kon­
zerne haben in den vergangenen Monaten
Gewinnwarnungen ausgegeben – es läuft
bei ihnen schlechter als erwartet. Es werden
Werke geschlossen oder Belegschaften zu­
sammengestrichen. Bei Volkswagen stehen
in den kommenden Monaten weitere
7000 Jobs zur Disposition, bei BASF sind es
6000, bei der Deutschen Bank sogar 18 000,
die meisten davon in Deutschland. Fast
täglich dominieren Krisenmeldungen die
Schlagzeilen: Mal ist es das Brexit­Chaos, an
einem anderen Tag drohende Straf zöl le auf
Autoexporte, dann sorgt der Handelskrieg
zwischen den USA und China für Verwer­
fungen, oder es geht um bewaffnete Kon­
flikte, etwa am persischen Golf oder in der
Ukraine. All das belastet auch immer die
wirtschaftliche Entwicklung der Welt und
damit auch der Exportnation Deutschland.
Dazu kommen tief greifende technolo­
gische Veränderungen, die Althergebrach­
tes obsolet und einstige Weltkonzerne zu
Sanierungsfällen machen können. Die
ganze Welt scheint in Aufruhr (siehe Gra­
fik auf Seite 31). Und Deutschland ist eher
Spielball als Player auf internationaler
Bühne. Wohl nie zuvor war die ökonomi­
sche Gemengelage so schwierig einzu­
schätzen wie heute.
Das erlebt auch Frank Hildebrandt.
„Eigentlich müsste es doch so sein: Wir
stellen ein Produkt her, das verkauft sich
oder es verkauft sich nicht“, sagt er. „Die
Gleichung ist heute aber schon lange nicht
mehr so einfach. Wir sind von so vielen
äußeren Faktoren abhängig: Politik, 4

Hündin Lina wartet in ihrem Körbchen da­
rauf, dass Frank Hildebrandt mit ihr spielt,
Stöckchen wirft, über die Wiese tobt. Doch
dem Betriebsratsvorsitzenden im Lucken­
walder Werk des Automobilzulieferers
Schaeffler ist nicht danach. Er sagt: „Beim
Blick in die Zukunft dominiert vor allem
ein Gefühl: Angst.“
Hildebrandt ist zuständig für fast 500
Kollegen. Und denen geht es nicht gut.
Immer näher kommt die Krise: „Die ganz
kleinen Werke sind schon zu“, sagt Hilde­
brandt. „Als Nächstes wären wir an der Rei­
he.“ Er greift nach einer seiner polnischen
Pall­Mall­Zigaretten. „Ich will nicht von
Endzeitstimmung reden, aber wir spüren
alle: Die Zeiten sind schwer.“
Frank Hildebrandt ist ein Arbeitertyp.
An diesem sonnigen Tag sitzt er im Garten
seines gepflegten Einfamilienhauses. Er
hat 1978 Elektriker gelernt, im Wälzlager­
werk „Willy Sägebrecht“ hier in Luckenwal­
de. Im Wendechaos musste er kurz in einer
Papptellerfabrik arbeiten, bevor er wieder
in der Industrie unterkam, bei Schaeffler.
Er hat sich hochgearbeitet, etwas aufge­
baut, Verantwortung übernommen, für die
Kollegen, für die ganze Region. Es lief gut.
Doch jetzt ist das Erreichte in Gefahr: „Ich
hoffe sehr auf die Verantwortung der Ge­
schäftsführung“, macht er sich Mut. „Wir
sind das letzte Schaeffler­Werk in Ost­

H


-0,1 % -0,3 %


prognostiziert das Institut
für Weltwirtschaft für Juli bis
September: Rezession

Die deutsche Wirtschafts-
leistung ging schon von
April bis Juni leicht zurück

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