Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
FOTOS:© PETER LINDBERGH (COURTESY OF PETER LINDBERGH, PARIS /GAGOSIAN GALLERY)

ter und erkennt Gedanken. Im Juni hatte Peter Lind­
bergh für die britische „Vogue“ Greta Thunberg fotogra­
fiert. Das Ergebnis ist so ruhig und kommt einem so
nahe, als säße Thunberg vor einem.
So ist es mit vielen Fotos von Peter Lindbergh: Man
kann sie nicht flüchtig ansehen, selbst wenn sie flüch­
tige Momente zeigen. Sie halten die Zeit an.
Lindbergh war bis zu seinem Tod einer der meist­
beschäftigten Fotografen der Welt. Er suchte immer den
Moment der Wahrhaftigkeit. Eine kleine Geschichte
illustriert das. Am Strand von Long Island bei New York
fotografierte Lindbergh vor vielen Jahren für den stern
einmal Gisele Bündchen. Ein Strand und schwarzer Hin­
tergrund aus schwarzem Tuch reichten ihm als Kulisse.
Und weil ein kühler Wind wehte, lieh jemand Gisele eine
helle Strickjacke, die aussah wie eine, die Marilyn Mon­
roe auf ihren letzten Fotos getragen hatte. Lindbergh
sagte dies zu Gisele, und die freute sich und fragte: „Wie
wer?“ In der Sekunde machte Lindbergh sein Foto, denn
das war der Moment, den er immer suchte. Den Moment
der Ehrlichkeit, den Moment des wahren Gesichts. Und
Gisele Bündchen, die fragt, wer Marilyn Monroe war,
kann nicht wahrhaftiger gucken.

E


s wird eine Weile dauern, bis in der Fotografie
der Verlust eines Meisters wie Peter Lindbergh
zu spüren ist. Vor allem in der Luxuswerbung,
für die er viel arbeitete und wo niemand merkte, wie
subversiv er das machte. Wenn er fotografierte, machte
er die Marke oft zur Nebensache. Er zeigte jeden Star,
jedes berühmte Gesicht so leidenschaftlich, dass es noch
prominenter und intensiver wurde, als es ein Kleid von
Armani oder eine Uhr von Breitling je werden würden.
Lindbergh arbeitete immer mit einem Lächeln, einer
Freundlichkeit und sogar mit einem – manchmal auch
nur kurzen – Gefühl der Freundschaft. Seine Bilder
waren die Fortsetzung seiner jugendlichen Träume im
Kino, er suchte die Schönheit, nicht die Enthüllung, und
seine Kamera war nie gefährlich. Das wusste man in der
Welt der Stars, und deshalb kamen sie alle.
Das war dann manchmal wie Therapie, sie sollten sich
abschminken, sagte er allen, die er fotografierte. Echt
sollten sie sein. Ihre Schönheit werde er schon finden.
„Einen echten Menschen, der sein ganzes Leben im Ge­
sicht trägt, vor sich zu haben ist toll“, sagte er einmal.
Der Fotografie wird Lindberghs Ruhe fehlen. Auch die
Ruhe, mit der er arbeitete und mit der er jeden Ort, ob
Strand, Studio oder Fabriketage, zu seiner Welt machte.
Immer stand da mittags ein Tisch, an dem sollten sie
alle sitzen wie auf einer Wiese in Frankreich. Da sollten
sie alle, die Make­up­Arbeiter, die Beleuchter, die Sty­
listen, die Assistenten und die Stars, Brad Pitt oder
Penélope Cruz, gleich sein, sollten essen und trinken.
Lindbergh saß am Ende vom Tisch, neben seinem Glas
eine Kamera, und er sprach, lachte und fotografierte
zugleich. Man musste das mal er­
lebt haben: sprechen – lachen –
klick – sprechen – klick – trinken.
Das konnte auch kein anderer. 2

Wie unge-
schminkt
Eine große Er­
scheinung, auch
im Alter: die
Schauspielerin
Jeanne Moreau,
2003 in Paris


Danke für Nixe
Claudia Schiffer
schmückte 1998
das Cover der
Jubiläumsausga­
be des stern, der
in jenem Jahr 50
geworden war


Entdecker
Gisele Bündchen
hatte im Jahr
2000 einen
großen Auftritt
vor Lindberghs
Kamera – und
damit im stern


Erinnerungsbuch
Peter Lindbergh ­ A Different
Vision on Fashion Photography,
Taschen, 472 S., 60 Euro
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