Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
ILLUSTRATION: JÖRG DOMMEL/STERN

willigen Beiträge mehr als verneunfacht –
auf fast 290 Millionen Euro im vergange­
nen Jahr.
Okay, die Rentenkasse ist keine Spar­
kasse. Es kann nicht jeder kommen und
auch nicht mit beliebig hohen Summen.
Aber alle ab 50 sind willkommen, also auch
ich und meine Millionen Altersgenossen
der geburtenstarken Jahrgänge.
Aber warum gibt es diese Möglichkeit
überhaupt? Dazu ist ein kleiner Exkurs in
die Sozialversicherungsmechanik notwen­
dig. Peu à peu steigt das Renteneintritts­

P


rognosen sind schwierig, beson­
ders wenn sie die Zukunft betref­
fen. Hier bekenne ich, dass dieses
geflügelte Wort auch für mich gilt.
„Das Bonner Hickhack um die
staatliche Altersversorgung ist
müßig: Das ganze System ist am Ende und
mit Kosmetik nicht mehr zu reparieren.
Wer jetzt nicht privat vorsorgt, ist später
arm dran.“ Das schrieb ich 1997 im stern.
Zu meiner Entschuldigung: Damals
sahen fast alle Experten die Zukunft der
Rente skeptisch. Die Arbeitslosigkeit stieg,
die Geburtenrate sank, die Bei­
träge drohten zu explodieren.
Die Rendite für zehnjährige
Staatsanleihen lag damals bei
über fünf Prozent. In weniger
als 14 Jahren konnte man als
konservativer Sparer seinen
Einsatz verdoppeln. Wohlstand
im Ruhestand schien nur mit
privater Vorsorge erreichbar.
Aber erstens kommt es an­
ders, zweitens als man denkt.
Für Bundesanleihen muss
man heute Zinsen zahlen (!),
damit Finanzminister Olaf
Scholz das Geld überhaupt an­
nimmt. Der Garantiezins für
Lebensversicherungen ist von
damals vier auf 0,9 Prozent ge­
schrumpft. Gewinnbeteiligun­
gen sind zusammengefallen
wie ein missglücktes Soufflé.
Von der staatlichen Renten­
kasse dagegen gibt es nur gute
Nachrichten. 38,2 Milliarden
Euro stecken in der Rücklage.
Der Beitragssatz ist nicht – wie
vorhergesagt – auf 22 oder 24
Prozent des Bruttolohns geklet­
tert, sondern auf 18,6 Prozent
gesunken. Zugleich bekamen
die Rentner Jahr für Jahr ein or­
dentliches Plus: gerade wieder
im Juli 3,18 Prozent im Westen
und 3,91 Prozent im Osten
Deutschlands.
Wäre es nicht toll, wenn man da Geld
anlegen könnte? Fragt nicht nur meine
Freundin Paula. Man kann! Und immer
mehr machen es. Das Zauberwort heißt:
freiwillige Beiträge.
Die Rentenversicherung vermeldet, dass
das Thema in den Beratungsgesprächen
eine immer größere Rolle spielt. Innerhalb
von drei Jahren hat sich die Summe der frei­

alter auf 67 Jahre. Wer sich aber trotzdem
ein paar Jährchen früher zur Ruhe setzen
will, dem wird die Rente gekürzt – um 0,3
Prozent pro Monat. Das läppert sich. Drei
Jahre vorzeitig raus aus dem Job bedeuten
also 10,8 Prozent weniger Geld, für den Rest
des Lebens. Um diese Abschläge auszu­
gleichen, erlaubt der Staat die Zahlung
freiwilliger Beiträge. Der Clou dabei: Ob
man die Arbeit tatsächlich früher Arbeit
sein lässt, spielt keine Rolle.
Also mal die Taschenrechner­App stra­
pazieren: Schon mit kleineren Beträgen ist
man dabei. Wenn ich 1000 Euro
Zusatzbeitrag zahle, bekomme
ich 4,40 Euro mehr Rente im
Monat. Darf’s ein wenig mehr
sein? Für 90 000 Euro gäbe es
rund 350 Euro Zusatzrente. Das
sind ganz schön große Summen.
Mindestens 19 Jahre müsste
ich nach dem Beginn des Ruhe­
stands noch leben, damit ich
das Geld wieder rausbekomme.
Es ist eine Wette gegen meinen
frühen Tod. Für meine Freun­
din Paula lohnt sich das eher.
Während Männer nach dem
Renteneintritt nur noch durch­
schnittlich 18 Jahre vor sich ha­
ben, sind es bei Frauen immer­
hin 22.
Wie heißt es beim Skat: Hin­
ten sind die Enten fett. Wer
seinen 90. Geburtstag erlebt,
wird sich dann zu seiner Ent­
scheidung beglückwünschen
können, freiwillige Beiträge
gezahlt zu haben.
Es ist jedenfalls eine Rech­
nung mit vielen Unbekannten.
Die zusätzlichen Beiträge las­
sen sich von der Steuer abset­
zen, die zusätzliche Rente muss
aber auch versteuert werden.
Das eingezahlte Geld kann
nicht mehr vererbt werden,
wenn ich jedoch gegen einen
Baum fahre, würde meine Frau
mit ein wenig zusätzlicher Witwenrente
getröstet. Für jedes Pro gibt es ein Kontra.
Und dann gibt es noch die Politik. Wie
genau wird es mit der Rente weitergehen,
in zehn oder zwanzig Jahren, mit dem
Niveau, den Erhöhungen und dem Steuer­
satz? Prognosen wage ich da lieber nicht
mehr. Schließlich lässt sich auch dieser
stern­Artikel in 22 Jahren nachlesen. 2

Lorenz Wolf-Doettinchem über den neuen


Geheimtipp für die Altersvorsorge: freiwillig mehr


Geld in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen


Hinten sind die Enten fett


Schon aus beruflichem Interesse hat stern-Redakteur Lorenz Wolf-Doettinchem, 53, fast jede Altersvorsorge ausprobiert –
von der Lebensversicherung über die Riester-Rente bis zum Fondssparplan. Seine beste Investition war aber das Volkswirtschaftsstudium

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