Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
Doch in derselben Woche veröf-
fentlichten US-Umweltbehörden
Messergebnisse, die den Mutter-
konzern Volkswagen in den Mittel-
punkt des größten Betrugsskandals
der Automobilgeschichte stellten.
Der Dieselmotor, bis dahin gefeiert
für geringen Verbrauch und güns-
tige CO 2 -Werte, verlor seine Attrak-
tivität. Die Elektromobilität, gerade
noch angeführt von einem kali-
fornischen Start-up namens Tesla,
entwickelte plötzlich eine ganz
eigene Dynamik.
„Vor denen muss man den Hut
ziehen“, sagt Baureihenleiter Stefan
Weckbach, der das Entwicklungs-
projekt mit dem Kürzel J1 verant-
wortet, über die Wegbereiter in den
USA. „Wenn die damals nicht ange-
fangen hätten, bei null, dann wären
wir heute noch nicht so weit.“
Weckbach verschweigt bei diesem
Lob, dass es schon das Selbstver-
ständnis seines Arbeitgebers Por-
sche gebietet, Tesla ein zumindest
ebenbürtiges Modell entgegenzu-
stellen. Nun soll es so weit sein. Die
Produktion der Taycan getauften
Sportlimousine begann offiziell am
Montag dieser Woche: ein Spitzen-
modell mit 761 PS und 412 Kilome-
ter Reichweite; erstmals ein Antrieb
mit Zweiganggetriebe, um den
Spagat aus sportwagentypischer
Beschleunigung und einer Höchst-
geschwindigkeit von 260 km/h
zu schaffen. Die beiden Versionen,

mit denen Porsche startet, kosten
152 000 und 185 000 Euro.
Bisher gab es so ein Auto nicht.
„Mangels Benchmark“, beginnt In-
genieur Propfe den Satz, der erklä-
ren soll, dass es zu Beginn der Tay-
can-Entwicklung kein Elektroauto
gab, an dem man das eigene hätte
messen können. „Also haben wir
vom Kunden her gedacht. Der geht
ins Autohaus und entscheidet sich,
ob er ein Elektrofahrzeug oder einen
Verbrenner kauft.“
Um eine Chance zu haben, müsse
das neue Modell so funktionieren,
wie es die Klientel gewohnt ist. Elek-
troautos aber waren bisher wenig
geeignet für eine sportlich-extreme
Dauerbelastung, weil ihre Akkus
dann zum Überhitzen neigen, was
sie nachhaltig schädigen kann und
die Leistung einbrechen lässt. „Bei
55 Grad beginnt die Batterie zu
degradieren“, sagt Propfe. „Ein Kern
der Entwicklung ist deshalb das
Thermomanagement des Antriebs-
strangs.“
Im Taycan gibt es nicht bloß einen
Kühlkreislauf, sondern gleich drei –
einen für die Batterie, einen für Mo-
tor und Getriebe sowie einen für die
Kabine. Das sei übrigens „nicht tri-

vial“, fügt Propfe hinzu und versucht,
damit Befürchtungen zu zerstreuen,
bei deutschen Autoherstellern
könnten in Zukunft wegen der Elek-
tromobilität ganze Teile der Wert-
schöpfung wegbrechen. „Ich würde
nicht sagen, dass es weniger kom-
plex wäre als ein Verbrenner.“ Auch
das Zweiganggetriebe bereitete Pro-
bleme. Anfangs war der Gangwech-
sel „laut und deutlich hörbar“, sagt
Propfe. „Jetzt merkt man nix mehr.“
Zu den Entscheidungen für den
Taycan gehört Porsches Festlegung
auf eine 800-Volt-Architektur, wäh-
rend der Wettbewerb mit 400 Volt
arbeitet. Physikalisch bedeutet die
höhere Spannung niedrigere Strö-
me und damit kleinere Kabelquer-
schnitte, was eine Menge Gewicht
spart. Ebenso soll diese Auslegung
es ermöglichen, die Batterien in
Rekordzeit aufzuladen. Saft für 100
Kilometer soll in wenigen Minuten
nachgetankt werden können – so-
fern die Ladesäule es hergibt.

„Müssen Pionierarbeit leisten“
„Viele Vorteile also“, sagt Baureihen-
chef Weckbach. „Aber auch der
Nachteil, dass man Pionierarbeit
leisten muss, was sämtliche Hoch-
voltkomponenten angeht. Und das
wird uns noch eine Weile beschäfti-
gen.“ Weckbach sagt diesen Satz im
März 2018, und er soll recht behal-
ten. Als die Entwicklung des Taycan
startete, war das Netz aus Schnell-
ladestationen noch sehr löchrig.
Erst jetzt kommt der Ausbau voran.
Gleichzeitig nutzen die Entwick-
ler jede Chance, die Rekuperation,
also die Energierückgewinnung
beim Bremsen, so effizient wie mög-
lich zu gestalten. Auch das erproben
Bernd Propfe und seine Kollegen in
Schweden auf dem spiegelglatten
Eis. Der Großteil der Rekuperation
wird an der Vorderachse erzeugt,
doch das Potenzial der Hinterachse
außer Acht zu lassen wäre Energie-
verschwendung. Das Problem: Rück-
gewinnung und Bremse müssen per-
fekt zusammenarbeiten. „Wenn ich
da ein negatives Moment an die Hin-
terachse anlege, tue ich mir keinen
Gefallen“, sagt Propfe im typischen
Ingenieursjargon. Was er meint: Die
Hinterräder dürfen auf keinen Fall
blockieren, um ein Schleudern des
Taycan zu verhindern. Obendrein

Vor der Porsche-
Werkstatt in
Nordschweden
stehen nun
Ladesäulen für
das Elektroauto
(l.). Unweit des
Polarkreises geht
die Erprobung
über unzählige
Kilometer (o.).
Bernd Propfe,
einer der ver-
antwortlichen
Ingenieure,
im verkleideten
Cockpit

HOCHACHTUNG VOR


TESLA, PIONIER DER


ELEKTROMOBILITÄT 4


AUTO


68 1 2.9. 20 19

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