Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
Silke Wichert hat schon
länger keine Sachen mehr in
die Altkleidersammlung
gebracht – die Container waren
meist so überfüllt, dass nichts mehr in
die Klappe passte FOTOS: ANDREW ESIEBO/PANOS PICTURES/VISUM

Lomé, von denen sie die drei Söhne


gut ernähren konnten. Es war nicht


die Armut, die ihn wegtrieb, mehr


die Neugier.


Ein Onkel wohnte in Paris, dort-


hin wollte der Junge und Europa


kennenlernen. Nach der Schule


wollte er ins Marketing gehen, „aber


ich war irgendwie nicht gemacht


fürs Büro“, lacht Ayivi. Sein Tattoo


auf dem Unterarm lautet: „Life is a


dance.“


Mit Mitte 20 modelte er ein biss-

chen, wechselte dann auf die andere


Seite als Castingdirektor. Seine Mo-


dels holte er von der Straße. Er sah


sofort, ob sie das gewisse Etwas hat-


ten. So wie er selbst: Ayivi ist das bes-


te Aushängeschild seines Ladens. Als


cooler, schlaksiger Typ, der mit ge-


mustertem Hemd und Converse von


Comme des Garçons auf einer Ves-


pa durch die Stadt düst, versammelt


er auf Instagram mittlerweile über


33 000 Follower.


Gerade steht eine junge asiatische

Kundin im Laden. Sie lächelt unsi-


cher, fährt mit den Augen über die


weißen Kleiderständer. Bei einer


beigefarbenen Bluse mit kleinen Vö-


geln bleibt sie hängen, zieht den Bü-


gel von der Stange. Auf dem zerknit-


terten Etikett steht „Ein Fink Modell“.


Die Bluse stammt also aus Darm-

stadt, wo die Fink Modelle GmbH in


den 80er Jahren auch für die franzö-


sische Marke Louis Féraud produ-


zierte. „Extrem gute Qualität“, sagt


Ayivi später, das habe er sofort ge-


merkt, als er sie aus einem Haufen
bei einem seiner Stammhändler zog.
Was er gezahlt hat? Ayivi überlegt,
vielleicht einen Euro, schätzt er. Jetzt
steht auf dem Preisschild 25 Euro. In
Paris immer noch fast geschenkt.
Die Japanerin nimmt die Vögel flugs
mit nach Hause.
„Die ersten Male haben die Händ-
ler in Togo mich für verrückt erklärt“,
erzählt Ayivi. „Sie sagten: Ey, Amah,
du weißt aber, dass die Sachen gera-
de erst aus Europa kommen, oder?“
Mittlerweile wissen die Shopbesit-
zer auf dem Markt schon, wonach
der Typ aus Paris sucht. Nicht den
Bling-Bling, das modische Zeug, das
die lokalen Käufer wollen.

Die richtigen Farben und Details


Die drei Anbieter, bei denen er am
meisten kauft, legen ihm Sachen oft
schon beiseite, wenn sie wissen, dass
er oder seine Mitarbeiter vor Ort
bald kommen. Sechs bis sieben
„Scouts“ lässt Ayivi mittlerweile für
sich arbeiten. Junge Einheimische,
denen er beibringt, auf die richtigen
Materialien, Farben, Details zu ach-
ten. Dafür zahlt er ihnen das Drei-
fache des üblichen Lohns in Togo.
Ayivi selbst fährt nur noch dreimal
pro Jahr nach Lomé. Der Hedzrana-
woe-Markt hat sechs Tage die Woche
geöffnet, Ayivi kauft dienstags oder
mittwochs ein. „Dann ist es ruhiger,
besser zum Stöbern“, erklärt er. „Ich
stürze mich auch nicht gleich um
sechs Uhr morgens ins Getümmel,

sondern erst gegen acht Uhr, wenn
der Krieg vorbei ist.“ Oft streiten sich
die anderen Käufer um die besten
Sachen, zerren Kleider aus noch
unge öffneten Säcken. Seit der Han-
del in Nigeria verboten ist, wird der
Secondhandmarkt in Lomé von
Nigerianern dominiert.
„Harte Verhandlungspartner“, sagt
Ayivi, der stets nur einzelne, ausge-
suchte Teile kauft. Ein dunkelgrauer
Trenchcoat, wie er ihn in seinem La-
den jetzt für 60 Euro anbietet, kostet
ihn dort zwei Euro. Bezahlt wird bar
auf die Hand. Danach lässt er die Sa-
chen erst einmal gründlich waschen,
um sie vom Staub der unbefestigten
Straßen zu befreien. Kleine Löcher
oder abgetrennte Taschen werden
von Nähern vor Ort ausgebessert.
„Dazu kommt der Transport im Con-
tainerschiff, die Miete, mein Gehalt,
die Fahrtkosten“, sagt Ayivi. Trotz-
dem rechnet sich der Reimport.
Mehr und mehr will der „Marché
Noir“ auch Handwerkskunst aus Afri-
ka importieren: Seit einiger Zeit pro-
duziert Ayivi kleine Kollektionen in
ghanaischen Workshops, Cape-Pon-
chos oder die traditionelle „Batakari“,
eine Art weites Kittelshirt für Män-
ner, aus dem Stoff Kanté.
Er lässt jetzt auch Taschen aus re-
cyceltem Plastik fertigen, das von den
Straßen in Lomé stammt, und be-
druckt Beutel aus alten Mehlsäcken
mit seinem Logo. Ein japanischer
Laden hat kürzlich 500 Stück davon
geordert, 30 Euro die großen, 10 Euro
die kleinen. „Aus all den Sachen,
die schon da sind, lässt sich so viel
machen“, sagt Ayivi. „Upcycling“ sei
schon lange sein Ding. Dieses auffäl-
lige silberfarbene Accessoire, das an
seinem Hosenbund hängt? Eine alte
Armee-Sicherheitsnadel.
Der Vintage-Händler hält einer
Gesellschaft mit platzenden Klei-
derschränken den Spiegel vor: Erst
schmeißen die Leute massenhaft
weg, dann konsumieren sie das Aus-
rangierte mit Begeisterung neu.
„Stell dir vor, jemand kommt hier-
her und findet etwas, das er selbst
einmal weggegeben hat – wie groß-
artig wäre das?“ 2

Gebeutelt,
aber lässig:
Diese Jeans-
jacke hat den
oft begehrten
Used Look

Massenweise Altkleider erreichen Togo jedes Jahr – Ayivi pickt sich die besten Stücke heraus


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