Frankfurter Allgemeine Zeitung - 14.09.2019

(Elle) #1

SEITE 10·SAMSTAG, 14. SEPTEMBER 2019·NR. 214 Zeitgeschehen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


D


ieAfD wehrt sich mit Zähnen und
Klauen dagegen, dass ihr die Bür-
gerlichkeit abgesprochen wird, jetzt
sogar vom Bundespräsidenten. Hat
Frank-Walter Steinmeier damit seine
Neutralitätspflicht verletzt, wie ihm die
AfD-Vorsitzenden Meuthen und Gau-
land vorwerfen? Das hätte er doch nur,
wenn sich die AfD ungerecht und
falsch behandelt fühlen müsste. Aber
warum müsste sie das? Steinmeier lei-
tet den Begriff so her, dass jeder, der
bei Sinnen ist, einverstanden sein
kann, der „bürgerlich“ nicht nur in ei-
nem oberflächlich stilistischen Sinn ver-
steht: aus der langen Tradition, die im
Grundgesetz und in der Wiedervereini-
gung mündete. Das ist eine Tradition,
die sich nur unter Qualen durchsetzen
konnte gegen eine andere, ebenso lan-
ge Tradition, deren Abgründe schon
deshalb kein „Vogelschiss“ gewesen
sein können. Wo steht also die AfD?
Meuthen und Gauland könnten dem
Bundespräsidenten doch ganz einfach,
Überraschung, zustimmen. Denn wer
wollte nicht auf der richtigen Seite ste-
hen? Sichtlich die Partei, die sich mit
Zähnen und Klauen dagegen wehrt. Sie
richtet sich damit selbst. kum.


W


as hatte Papst Franziskus sich
nicht alles von den Christen ge-
wünscht? Mehr Freimut. Von der Kir-
che: dass sie sich nicht länger an die ei-
gene Verschlossenheit und Bequemlich-
keit klammere. Oder von den Bischö-
fen: dass sie zu Subjekten mit konkre-
ten Kompetenzbereichen würden.
Nicht zu vergessen die Bischofskonfe-
renzen: Organe mit einer gewissen au-
thentischen Lehrautorität. Das war



  1. Sechs Jahre später nehmen Bi-
    schöfe und Laien gemeinsam den Papst
    beim Wort. Doch Franziskus und seine
    Büchsenspanner im Vatikan fallen ih-
    nen in einer Weise in den Rücken,
    welche die gewöhnliche Vorstellungs-
    kraft übersteigt. Schon einmal, es war
    in den neunziger Jahren, ging es in Sa-
    chen Schwangerenkonfliktberatung
    hoch her. Auch damals wurden von in-
    teressierter Seite Falschinformationen
    über die Kirche in Deutschland ge-
    streut und wurde mit Unterstellungen
    der übelsten Art gearbeitet. Aber kein
    Vergleich zu dem Hinterhalt, in den
    Franziskus die Bischöfe gelockt hat:
    Erst macht er ihnen Mut, dann erklärt
    er sie für inkompetent und unzurech-
    nungsfähig. Einfach irre. D.D.


W


ohl wahr! Vor zehn oder 15 Jah-
ren hätte es das nicht gegeben.
Es hätte auch keinen Premierminister
gegeben, dem der Präsident des Unter-
hauses hätte nahebringen müssen, dass
man sich an Gesetze zu halten hat. Des-
wegen sind die Vorwürfe der konserva-
tiven Brexit-Freunde, unter John Ber-
cow sei die Rolle des „Speaker“ politi-
siert worden, nicht ganz unberechtigt,
gehen aber an der Sache vorbei. Denn
erst am Donnerstag hatte Boris John-
son, der Premierminister, wieder ge-
sagt, wenn es sein müsse, werde das Kö-
nigreich die EU auch ohne Vertrag ver-
lassen. Das aber hatte ihm das Parla-
ment untersagt (es sei denn, es stimmte
dem zu). Und das ist seit Montag Ge-
setz. Und weil es Gesetz ist, sollte John-
son auf Bemerkungen wie die verzich-
ten, er läge lieber tot im Graben, als ei-
nen Antrag bei der EU auf Verlänge-
rung des Austrittstermins zu beantra-
gen. Derlei Theatralik versetzt nur das
Publikum in Wallung. Jede Andeutung,
man könne sich um das Gesetz herum-
mogeln, führt zum weiteren Ansehens-
verlust politischer Institutionen. Und
nährt den Verdacht, Johnson neige
zum Cäsarismus. K.F.


In der offiziellen Stellenbeschreibung
heißt es: „Der Speaker (of the House)
ist der höchste Bedienstete und die
oberste Autorität im Unterhaus und
muss zu jeder Zeit politisch unpartei-
isch sein.“ Daran erinnern John Ber-
cows Gegner manchmal, wenn sie sein
Vorgehen kritisieren. Was der davon
hält, zeigte er am Donnerstag, als er
den Premierminister mit einem Verbre-
cher verglich: Wer sich einer Verlänge-
rung der Austrittsfrist verweigere, um
das grundsätzlich legitime Ziel eines
Brexits durchzusetzen, verhalte sich
wie ein Bankräuber, der die Beute für
wohltätige Zwecke zu spenden verspre-
che. Zugleich kündigte Bercow „zusätz-
liche Kreativität“ bei der Interpretati-
on der parlamentarischen Geschäfts-
ordnung an, sollte Boris Johnson das
No-Deal-Verhinderungsgesetz miss-
achten.
Es zeugt vom traurigen Zustand der
britischen Politik, dass sich dieselben
Leute über Bercows verfahrenstechni-
sche Winkelzüge beschweren, die John-
sons fragwürdige Zwangsbeurlaubung
des Parlaments verteidigen. Das Aus-
reizen der ungeschriebenen Verfas-
sung ist auf beiden Seiten des politi-
schen Grabens zu einem Sport gewor-
den, und Bercow wird von der Regie-
rung mittlerweile mehr als Partisan
denn als Schiedsrichter gesehen.
Inzwischen hat Bercow nichts mehr
zu verlieren. Anfang der Woche gab er
seinen Rücktritt für Ende Oktober be-
kannt. Die Regierung hatte ihm kaum
eine andere Wahl gelassen. Sie wollte
bei den nächsten Unterhauswahlen ei-
nen Tory-Kandidaten in seinem Wahl-
kreis gegen ihn antreten lassen. Wie
sehr das Verhältnis der Konservativen
zu ihm vereist ist, zeigte sich auch nach
Bercows Rückzugserklärung. Während
sich die Opposition von den Bänken er-
hob und applaudierte, blieben die To-
ries reglos sitzen.
Begonnen hatte Bercow, dessen jüdi-
sche Vorfahren aus Rumänien einge-
wandert waren, rechts außen. Als jun-
ger Mann war er Funktionär des reak-
tionären „Conservative Monday
Clubs“. Das war in einer Zeit, an die er
sich nicht gerne zurückerinnert. 1997
wurde er ins Parlament gewählt und be-
tätigte sich bald so sehr auf dem linksli-
beralen Flügel, dass schon mit seinem
Übertritt zur Labour Party gerechnet
wurde. Dem kam er vermutlich mit sei-
ner Wahl zum Parlamentspräsidenten
zuvor, die er vor allem der Labour-
Fraktion verdankte.
Selbst seine Gegner bescheinigen
ihm, in den zehn Jahren seiner Amts-
zeit viel für die Rechte der Abgeordne-
ten getan zu haben. Aber er wird auch
als Speaker in Erinnerung bleiben,
der seine Machtfülle ausgebaut und ge-
nossen hat. Das bekamen nicht zu-
letzt seine Untergebenen zu spüren.
Unter Bercow habe sich im Westmins-
ter-Palast eine „Kultur der Ehrerbie-
tung, Unterwürfigkeit, Duldung und
des Schweigens“ entwickelt, die auch
sexuelle Belästigungen toleriert und
sogar verdeckt habe, hielt eine Unter-
suchungskommission im vorigen Jahr
fest. Bercow, ohne dessen Mithilfe die
schmerzhaften Niederlagen der Pre-
mierminister Theresa May und Boris
Johnson nicht denkbar gewesen wä-
ren, hat eine Debatte über die Macht-
beschränkung des Speakers in Gang
gesetzt. JOCHEN BUCHSTEINER

Auf der falschen Seite


JohnBERCOW Foto AFP


I


n Großbritannien muss man darauf
gefasst sein, bei der Befassung mit ak-
tuellen Themen auf ganz erstaunli-
che Jahreszahlen zu stoßen. Die Entschei-
dung des Berufungsgerichts in Edin-
burgh, wonach die Beurlaubung des Par-
laments rechtswidrig gewesen ist, legte
für viele die Frage nahe, ob Königin Elisa-
beth II., die besagte Beurlaubung formal
verfügt hatte, sich nicht gegen den „Rat“
ihres Premierministers Boris Johnson
hätte zur Wehr setzen können. Wann hat
sich ein britischer Monarch zuletzt ei-
nem solchen Rat oder gar einem vom Par-
lament beschlossenen Gesetz wider-
setzt? Ein Papier des Wissenschaftlichen
Dienstes der Bibliothek des Unterhauses
gibt Antwort: Königin Anne hat sich
1708 geweigert, ein vom Parlament verab-
schiedetes Gesetz über eine Miliz in
Schottland in Kraft zu setzen. Seitdem
hat zwar nicht immer Friede und Einig-
keit zwischen Krone und Regierung ge-
herrscht. Und bei den regelmäßigen Au-
dienzen der Regierungschefs beim König
mag sich der Monarch durchaus kritisch
über Ratschläge der Regierung geäußert
haben. Vielleicht haben Regierungen
nach einer solchen Intervention sogar
ihre Pläne geändert. Aber eine royale „Re-
bellion“ ist nicht mehr vorgekommen.
Und selbst 1708, als die Macht des Monar-
chen noch eine ganz andere war als heu-
te, war Annes Haltung schon heikel.
Denn bereits 1611 war festgeschrieben
worden, dass ein ordentlich zustande ge-
kommenes Gesetz mehr juristisches Ge-
wicht hat als das, was königliche Präroga-
tive genannt wird.
Solche Regeln, einmal praktiziert, blei-
ben im britischen System so lange beste-
hen, bis sie geändert werden. Allenfalls
sieht die heutige verfassungspolitische
Praxis vor, alte königliche Rechte, die for-
mal immer noch in Kraft sind, nicht
mehr anzuwenden, wenn diese aus heuti-
ger Sicht nicht mehr zeitgemäß zu sein
scheinen. Aber solche Regelungen sind
dehnbar und für kontinentale Juristen,
die klar formulierte Bestimmungen ge-
wohnt sind, mutmaßlich ein Graus. Das
Vereinigte Königreich ist allerdings nicht
nur geographisch ein Inselstaat.
Die Einberufung oder Beurlaubung
des Parlaments gehört zu den persönli-
chen Vorrechten der Königin. Das heißt
aber nicht, dass sie in diesen Fällen nicht
den Rat der jeweiligen Regierung ein-
holt. „Es wird erwartet, dass sie diesem
Rat folgt“, schreibt der Wissenschaftli-
che Dienst des Unterhauses. In die Liste

dieser Rechte gehören auch die Auflö-
sung des Parlaments und die Ausrufung
von Neuwahlen. Diese Befugnis ist aber
seit 2011 durch den „Fixed-term Parlia-
ments Act“ gesetzlich geregelt. Und da
Gesetze grundsätzlich Vorrang vor könig-
lichen Rechten haben, ist hier der Spiel-
raum entscheidend eingeschränkt. Auch
für dieses Recht gilt, dass es in der Praxis
zwar im Namen des jeweiligen Monar-
chen ausgeübt wird, de facto aber bei der
Regierung liegt. Um dies klarzustellen,
hat der königliche Privatsekretär in ei-
nem Brief an den zuständigen Parla-
mentsausschuss am 16. März 2015 ge-
schrieben, die Königin werde „immer ge-
mäß dem Rat der jeweiligen Regierung
handeln“, wenn es um Sitzungstermine
eines Parlaments gehe.
Die Tatsache, dass Premierminister Bo-
ris Johnson der Königin „geraten“ hat,
das Parlament für fünf Wochen zu beur-

lauben, könnte in letzter Instanz immer
noch für rechtens erklärt werden, obwohl
das Gericht in Edinburgh zu einem ande-
ren Urteil gekommen ist. Wenn Johnson
bei der Begründung seines Ansinnens
die Königin allerdings hinters Licht ge-
führt hätte, käme dies nach den Worten
des Historikers Benedikt Stuchtey einer
„milden Verfassungsrevolution“ gleich.
Johnsons Gegner haben den Verdacht ge-
äußert, der Premierminister habe sich
mit der Beurlaubung nicht etwa Ruhe für
die Ausarbeitung eines Regierungspro-
gramms verschaffen, sondern die Kon-
trolle durch das Parlament für eine be-
stimmte Zeit außer Kraft setzen wollen.
Das dürfte er nicht. Eine solche Absicht
wäre ihm allerdings schwerlich nachzu-
weisen. Nach der Urteilsverkündung in
Edinburgh hat Johnson entsprechende
Anschuldigungen kategorisch zurückge-
wiesen.

Trotzdem kommt Gerichten im briti-
schen System eine wichtige Rolle zu. Seit
1984 gilt, dass königliche Rechte (also de
facto solche der Regierung) vor Gericht
genauso überprüft werden können wie
schriftlich fixierte Gesetze. So hat das
Oberste Gericht 2017, als es schon um
das Thema Brexit ging, ein wichtiges Ur-
teil gefällt. Die Regierung von Theresa
May hatte sich vorgenommen, die Euro-
päische Union darüber in Kenntnis zu set-
zen, dass sie gemäß Artikel 50 EU-Ver-
trag aus der Union auszutreten wünsche.
Gegen diesen Plan, der eine vorherige Be-
fassung des Parlaments mit dieser Frage
nicht vorsah, wurde geklagt. Das Oberste
Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die
Königin – lies: die Regierung – zwar das
Recht habe, sich aus eigener Entschei-
dung heraus aus internationalen Verträ-
gen zurückzuziehen oder diesen beizutre-
ten. Wenn diese Maßnahme aber – was
beim Brexit der Fall wäre – weitgehende
Auswirkungen auf die nationale Gesetz-
gebung habe, müsse das Parlament dem
Schritt der Regierung vorher zustimmen.
Auf diese Weise schaffte es das Parla-
ment, sich im Brexit-Prozess eine zentra-
le Rolle zu sichern. Das macht der Regie-
rung bis heute zu schaffen.
So sehr die Rechte von Monarch/Regie-
rung durch parlamentarische Kontrolle
eingeschränkt sind, für Zeiten eines na-
tionalen Notstands werden der Regie-
rung weitgehende Befugnisse zugeschrie-
ben. Als nationaler Notstand wird im ein-
schlägigen Schrifttum meist ein Krieg de-
finiert. Im Jahr 2004 schlug ein Parla-
mentsausschuss auch in dieser Frage
eine Reform vor. Zwar seien weitgehen-
de Befugnisse im Interesse eines funktio-
nierenden Staates notwendig. Aber es
stelle sich die Frage, ob eine parlamenta-
rische Kontrolle nicht doch geboten sei.
Die seitdem eingeleiteten Reformen ge-
hen in der Tat in diese Richtung. Die un-
mittelbare Sorge der Parlamentarier galt
vor allem Befugnissen der Regierung zur
Entsendung von Truppen ins Ausland.
Diese Sorge speiste sich aus den Erfah-
rungen des Irak-Krieges.
In der aktuellen Debatte könnte sich
die Frage stellen, wie weit die Regierung
Johnson gegebenenfalls ginge, um die ge-
genwärtige Lage als nationalen Notstand
zu interpretieren. Was sie in dieser Lage
tun dürfte, würde sicher auch Gegen-
stand juristischer Überprüfungen wer-
den. Alle Streitigkeiten würden im Na-
men der Königin geführt, die sich das al-
les von außen ansehen muss und von der
Regierung „beraten“ wird.

Ursula von der Leyen, die gewählte Präsi-
dentin der neuen EU-Kommission, hat in
dieser Woche den Faden wiederaufge-
nommen, den sie vor ein paar Wochen
ausgerollt hatte. Der Faden führt zur „eu-
ropäischen Souveränität“, und die wieder-
um gehört zu einem Dreiklang, der das
Hauptmotiv werden soll, wenn die neue
Kommission, falls das Europäische Parla-
ment seinen Segen gibt, am 1. November
die Arbeit aufnimmt: Selbstbewusst, wett-
bewerbsfähig und souverän soll die Euro-
päische Union unter von der Leyens Füh-
rung werden.
Europas Stärke und Selbstbewusstsein
haben auch andere schon beschworen;
die Verbesserung seiner Wettbewerbsfä-
higkeit wird Bundeskanzlerin Merkel
nicht müde anzumahnen. Und doch
spricht nicht gerade Kleinmut aus den
Vorhaben der ehemaligen deutschen Ver-
teidigungsministerin. Vielleicht ist es
auch nur Realismus, der sich manifestiert,
ein Überlebensprogramm für die EU, be-
sonders in den Sparten Sicherheit und
Wohlstand, in einer ebenso unsicheren
wie unberechenbaren Welt, in der die Ri-
valität von Super-, Groß- und Schwellen-
mächten wieder derModus Operandiist.
Geprägt hat die Wortkombination „eu-
ropäische Souveränität“ der französische
Präsident Macron. Er versteht „souverän“
weniger in einem streng staatsrechtlichen
Sinne, sondern als Form selbstbestimm-
ter Interessenwahrnehmung. Neulich sag-

te Macron auf einer Konferenz französi-
scher Botschafter: „Wir dürfen uns nicht
mit unserem Schicksal abfinden, sondern
müssen versuchen, eine neue Ordnung
aufzubauen, die unseren Werten und un-
seren Interessen entspricht.“ Das ist nicht
weit von dem entfernt, was die Bundes-
kanzlerin im Frühsommer 2017, nach Be-
gegnungen mit dem damals noch neuen
amerikanischen Präsidenten Trump, ge-
sagt hatte: „Die Zeiten, in denen wir uns
auf andere völlig verlassen konnten, die
sind ein Stück weit vorbei.“ Und sie fügte
einen Satz hinzu, der eine Art europäi-
scher Imperativ werden könnte: „Wir Eu-
ropäer müssen unser Schicksal wirklich
in die eigene Hand nehmen.“ Anders for-
muliert: Die Zeiten, in denen andere für
uns entschieden, die Hand über uns gehal-
ten und für uns die Kohlen aus dem Feuer
geholt haben, die sind vorbei. Für die
Durchsetzung europäischer Interessen
sind in allererster Linie die Europäer
selbst zuständig und verantwortlich. Das
ist jetzt, dank Trump, Allgemeingut, und
daran ändert auch die Tatsache nichts,
dass das europäisch-amerikanische Ver-
hältnis nach wie vor von enormer Bedeu-
tung ist, „bilateral“, allianzpolitisch, für
die globale Ordnung.
Doch der Ruf nach „Unabhängigkeit“
ist unüberhörbar. Die Erfahrungen, die
Merkel mit dem amerikanischen Präsiden-
ten gemacht hat, sind in das öffentliche
Bewusstsein eingesickert, als bohrende

Zweifel, ob die Vereinigten Staaten noch
immer ihr Sicherheitsversprechen für Eu-
ropa erfüllen werden. Im dritten Jahr der
Regierung Trump ist der Verlust des Ver-
trauens in Amerika und insbesondere in
seinen Präsidenten massiv; das fördert
Umfrage nach Umfrage zutage, zuletzt
eine, die für den European Council on Fo-
reign Relations (ECFR) erstellt worden
ist. Danach äußern Bürger in 14 EU-Staa-
ten, darunter Deutschland und Frank-
reich, Polen und Italien, überdies starke
Unterstützung für eine gemeinsame und
effektive, selbstbestimmte und unabhängi-
ge europäische Außenpolitik. Die harte
Wirklichkeit globaler Politik sei bei den
Leuten angekommen, schreibt Susi Denni-
son in der ECFR-Studie. Viele Bürger
wollten eine starke EU, die als unabhängi-
ger globaler Akteur mit eigenen Prioritä-
ten auftrete. Das gilt unbeschadet der
Zweifel, die viele haben, ob „Europa“ die
europäischen Interessen angemessen ver-
treten könne, und zwar besonders die
Wirtschaftsinteressen gegenüber starken
Wirtschaftsmächten, die das Heil in Han-
delskriegen suchen. Noch größer sind al-
lerdings die Zweifel, ob die nationalen Re-
gierungen dazu in der Lage sind.
Was heißt stark und unabhängig nach
Auffassung vieler Bürger? Nicht zuletzt,
dass die EU in Konflikten zwischen den
Vereinigten Staaten und Russland sowie
zwischen den Vereinigten Staaten und
China neutral bleiben und einen Mittel-

weg einschlagen solle. Das sei die klare
Präferenz der Befragten. Die einzige Aus-
nahme stellt Polen dar: Dort wollen die
Befragten im Falle einer russisch-ameri-
kanischen Auseinandersetzung, dass sich
die Europäer an die Seite Washingtons
stellen. Im Fall eines chinesisch-amerika-
nischen Konflikts befürwortet auch eine
Mehrheit der Polen Neutralität; die pro-
amerikanische Minderheit ist dabei stär-
ker als in allen anderen Ländern.
Die Präferenz für Neutralität in geopoli-
tischen Konflikten wird als Votum für eu-
ropäische strategische Souveränität ge-
deutet; was wiederum bedeutet: Amerika
und Europa ziehen nicht mehr an einem
Strang. Diejenigen, die daran interessiert
sind, dass der Westen in Blöcke zerfällt,
die womöglich noch gegeneinander ste-
hen, können sich die Hände reiben. Auf
der anderen Seite, das ist hinreichend be-
kannt, gehört zur Wahrheit, dass es mit
europäischer Handlungsfähigkeit in
puncto Sicherheit und Militär nicht weit
her ist. Der Europäische Rechnungshof
hat soeben ein Defizit von Hunderten Mil-
liarden Euro beklagt. Nach dem Austritt
des Vereinigten Königreichs aus der EU
fällt der Mangel an militärischen Kapazi-
täten und damit an Handlungsfähigkeit
noch stärker ins Gewicht. Wer es also mit
Europas „Souveränität“ ernst meint,
kommt um die logische Schlussfolgerung
und die sich darin anschließenden Ent-
scheidungen nicht herum. Souverän sein
gibt es nicht als Sonderangebot.

Im Namen der Königin


Zwangspause in Westminster: Darf die Queen sich einem „Rat“ ihrer Regierung widersetzen? / Von Peter Sturm


Päpstlicher Hinterhalt


Der Gegenspieler


Letztes Gefecht


Der neue europäische Imperativ


Was „souverän“ im Zeitalter der Großmächte-Rivalität heißen soll / Von Klaus-Dieter Frankenberger


Kann dieser Mann die Königin belügen?Johnsonsagt nein. Foto AFP


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