Frankfurter Allgemeine Zeitung - 14.09.2019

(Elle) #1

SEITE 4·SAMSTAG, 14. SEPTEMBER 2019·NR. 214 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


D.D.FRANKFURT, 13. September. Die
Spitzen der Deutschen Bischofskonferenz
(DBK) und des Zentralkomitees der deut-
schen Katholiken (ZdK), Reinhard Kardi-
nal Marx und Thomas Sternberg, halten
an dem Projekt eines „Synodalen Weges“
der katholischen Kirche in Deutschland
fest. Angesichts einer neuerlichen Inter-
vention aus dem Vatikan mit dem Ziel,
die Bischöfe von gemeinsamen Beratun-
gen mit Laien über Reformen in der Kir-
che abzubringen, äußerte ZdK-Präsident
Sternberg am Freitag, die Bischöfe hätten
die Laienvertretung gebeten, „in einer au-
ßerordentlich schwierigen Zeit durch ge-
meinsam erarbeitete Reformen Vertrau-
en zurückzugewinnen“. An diesem Vorha-
ben wolle man „in der vorgesehenen
Form und zu den vorgegebenen Themen-
stellungen ganz entschieden festhalten“.
Der Münchner Erzbischof Marx sprach in
seiner Eigenschaft als Vorsitzender der
DBK von „etwaigen Missverständnissen“,
denen der Präfekt der vatikanischen Kon-
gregation für die Bischöfe, Marc Kardinal
Ouellet, und der Päpstliche Rat für die Ge-
setzestexte aufgesessen seien. Diese wol-
le er in der kommenden Woche bei Ge-
sprächen in Rom ausräumen.
Gegenstand des Konfliktes ist der soge-
nannte „Synodale Weg“, den die Deut-
sche Bischofskonferenz als Reaktion auf
den Missbrauchsskandal in der Kirche im
vergangenen März beschlossen hatte. Un-
ter diesem Titel wollten die Bischöfe zu-
sammen mit dem ZdK, das den Laienka-
tholizismus repräsentiert, vom ersten Ad-
vent an zwei Jahre lang Themen bearbei-
ten, die in der einen oder anderen Weise
den Hintergrund des Missbrauchsskan-
dals bilden: Macht in der Kirche, Lebens-
form der Priester, Sexualmoral sowie
Frauen in Diensten und Ämtern der Kir-
che.
Als Erster intervenierte Ende Juni der
Papst selbst. In einem weitschweifigen
„Brief an das pilgernde Volk Gottes in
Deutschland“ gab Franziskus durch die
Blume zu verstehen, dass er die Kirche in
Deutschland in der Gefahr sieht, sich auf
der Suche nach Reformen dem „Zeit-
geist“ anzupassen und sich „von der Welt-
kirche zu trennen“. Ob der Brief von der
kleinen Zahl der Gegner des Synodalen
Weges in den Reihen der deutschen Bi-
schöfe angeregt wurde, ob andere Bi-
schofskonferenzen aus Furcht vor ver-
gleichbaren Prozessen in der Kurie vor-
stellig geworden waren oder ob die Initia-
tive vom Papst selbst ausging, ist bis heu-
te Gegenstand von Spekulationen. Fest
steht nur, dass der Entwurf von dem Prä-
fekten der vatikanischen Kongregation
für die Glaubenslehre, Kardinal Luis La-
daria, stammt. Die Wortwahl, die Weit-
schweifigkeit und die Widersprüchlich-
keit vieler Aussagen geben hingegen den


Papst selbst als Autor der Endfassung zu
erkennen. Marx und Sternberg gingen auf
die offenkundigen Bedenken des Papstes
gegen die mutmaßlich eigenmächtige Be-
schäftigung mit innerkirchlichen Tabu-
und Konfliktthemen damals nicht ein. Of-
fiziell fühlten sie sich durch jene aufmun-
ternden Worte des Papstes ermutigt, wo-
nach man in Deutschland „freimütig“
nach einer „Antwort auf die gegenwärtige
Situation“ suchen solle.
Jetzt legte einer der beiden Kardinäle,
die regelmäßig Zugang zu Papst Franzis-
kus haben, nach. In einem Schreiben an
Marx rief Marc Kardinal Ouellet unter
dem Datum des 4. September unverblümt
die Mahnungen des Papstes in Erinne-
rung und warnte die Bischöfe vor Schrit-
ten, die nicht in Übereinstimmung (sinto-
nia) mit der „Weltkirche“ stünden. Als An-
lass für diesen Warnschuss diente dem
Kardinal ein im Juni fertiggestellter erster
Entwurf des Statutes für den Synodalen
Weg, in dem unter anderem erste Ent-
scheidungsverfahren und Abstimmungs-
quoren festgelegt worden waren. Der
Päpstliche Rat für die Gesetzestexte, der
von der Bischofskongregation im Som-
mer einschaltet worden war, kam in ei-
nem Gutachten über die kirchenrechtli-

che Zulässigkeit einzelner Regelungen zu
einem vernichtenden Ergebnis. Nicht nur
dass die Laien die Bischöfe zu majorisie-
ren drohten und diese sich damit der be-
sonderen Verantwortung entledigten, die
mit ihrem Amt verbunden sei. Gravieren-
der noch: Gemeinsam wollten Bischöfe
und Laien Beschlüsse über Fragen herbei-
führen, die nicht in die Kompetenz einer
Ortskirche fielen, sondern dem kirchli-
chen Lehramt vorbehalten seien.
Das Statut, auf das sich die römischen
Bedenken bezogen, ist längst weiterentwi-
ckelt worden. Das machte es Marx leicht,
die Intervention aus Rom mit den Worten
zu relativieren, das Gutachten des Päpstli-
chen Rats thematisiere die Entwurfsfas-
sung der Satzung und berücksichtige
noch nicht die im Juli und nach der Sit-
zung des Ständigen Rats im August fortge-
schriebene Fassung, die einige Textpassa-
gen nicht mehr enthalte, auf die sich das
Gutachten bezieht.
Tatsächlich ist vorbehaltlich der Zu-
stimmung von DBK und ZdK sicherge-
stellt, dass es bei der Abstimmung über be-
sonders sensible Fragen einer qualifizier-
ten Mehrheit der Bischöfe bedürfte. Öf-
fentlich ist das Statut noch nicht. Seit Frei-
tag wird in einem Kreis von etwa 20 Bi-

schöfen und 30 Vertretern des ZdK unter
Ausschluss der Öffentlichkeit in Fulda ab-
schließend beraten. Ende September soll
dann die Herbst-Vollversammlung der Bi-
schofskonferenz ihre Zustimmung geben,
Ende November die Vollversammlung
des ZdK.
Gleichfalls an diesem Wochenende sol-
len die Berichte der vier Foren über
Macht, priesterliche Lebensform, Sexual-
moral und Frauen zur Sprache kommen,
die über den Sommer zur Vorbereitung
des Synodalen Weges getagt hatten. Bis
auf das Thema Frauen hatten die Bischö-
fe selbst diese Themen gesetzt. Sie stan-
den schon im März im Mittelpunkt eines
Studientages, der den Konsequenzen aus
der sogenannten MHG-Studie über Aus-
maß und Ursachen sexueller Gewalt im
Raum der katholischen Kirche gewidmet
war. Schon damals zeichnete sich ab, dass
die Bischöfe in Deutschland mit großer
Mehrheit die Denk- und Handlungsblo-
ckaden auf allen diesen Feldern für un-
tragbar halten. Auf der Linie dieser Ein-
sicht stand Ende August auch die Abstim-
mung im Kreis der Ortsbischöfe über das
nunmehr neue Statut: In geheimer Ab-
stimmung votierten 21 dafür, drei dage-
gen, drei enthielten sich.

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WIEN/BEIRUT, 13. September


U


ngarn erwägt, seine Botschaft in
Syrien wiederzueröffnen – und
stößt dabei auf großen Wider-
stand in der EU und in Washington. Die
Kritik, die seitens der Vereinigten Staaten
offen und hinter vorgehaltener Hand
auch von europäischen Diplomaten geäu-
ßert worden war, wies Außenminister Pé-
ter Szíjjártó zurück. Unter Anspielung auf
die Tschechische Republik, die ihre Bot-
schaft während des Krieges in Syrien nie
geschlossen hatte, verlangte er, man
möge nicht mit zweierlei Maß messen.
Die Verurteilung durch einige westliche
Partner sei „sehr ungerecht“.
Die Regierung in Budapest hatte ange-
kündigt, im kommenden Jahr einen Diplo-
maten nach Syrien zu entsenden, um sich
ein Bild von der humanitären Hilfe für
dort lebende Christen zu machen und
konsularische Aufgaben zu übernehmen.
Das kann als vorbereitender Schritt für
eine Wiedereröffnung der Botschaft ver-
standen werden. Kanzleramtsminister


Gergely Gulyás, der als rechte Hand von
Ministerpräsident Viktor Orbán gilt, de-
mentierte das nicht, als er am Donnerstag
auf der Regierungspressekonferenz da-
nach gefragt wurde. Ungarn unterstütze
den Wiederaufbau in Syrien, sagte er.
Eine Entscheidung darüber, ob die Bot-
schaft wiedereröffnet werden solle, sei
noch nicht getroffen.
Die Vereinigten Staaten wollen verhin-
dern, dass der syrische Machthaber Ba-
schar al Assad solche Akte der Anerken-
nung erfährt. Den Krieg hat das Regime
zwar zu seinen Gunsten entschieden.
Aber Damaskus fehlt für einen vollständi-
gen Sieg die diplomatische Aufwertung
durch den Westen – am besten in Verbin-
dung mit Geld für den Wiederaufbau des
zerstörten Landes. Das Regime steht un-
ter enormem Druck, weil die syrische
Wirtschaft kollabiert. „Wir raten allen
Staaten davon ab, ihre diplomatischen Be-
ziehungen zu oder die wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit mit dem Regime wieder-
aufzunehmen oder hochzustufen“, hieß
es jetzt in einer Mitteilung der Regierung
in Washington, in der Ungarn nicht aus-
drücklich erwähnt, die aber von der ameri-
kanischen Botschaft in Budapest veröf-
fentlicht wurde. Derartige Schritte „unter-
graben die Bemühungen, auf eine dauer-
hafte friedliche und politische Lösung
des syrischen Konflikts hinzuarbeiten“.
Orbán sendet öfter Signale der Eigen-
willigkeit in der EU, ohne dann unbedingt
auch immer einseitige Schritte zu setzen.
Dazu passt die vorsichtige Antwort von
Kanzleramtsminister Gulyás. Budapest un-
terstützt einzelne Krankenhaus-Projekte

in Syrien. Das soll zeigen, dass man zwar
eine Einwanderung aus Nahost über das
Asylsystem ablehnt, aber sich darum be-
mühen wolle, an der Eindämmung von
Fluchtursachen mitzuwirken. Außerdem
setzt die Regierung sich explizit für be-
drohte Christen in der Region ein, wofür
eigens ein Staatssekretär zuständig ist.
Zu einer Annäherung an Damaskus
passt auch die Nähe Orbáns zum russi-
schen Präsidenten Wladimir Putin. Russ-
land ist neben Iran der wichtigste Unter-
stützer Assads. Orbán kritisiert beispiels-
weise die Sanktionen, die die EU wegen
des Ukraine-Konflikts gegen Moskau ver-
hängt hat; doch trägt er sie letztlich immer
mit.
Mit Blick auf Syrien verhält es sich ähn-
lich. Auch hier müssen die Befürworter
von Strafmaßnahmen innerhalb der EU
immer wieder Überzeugungsarbeit leis-
ten. Doch sind die Sanktionen, die einstim-
mig verabschiedet werden müssen, bis-
lang immer gebilligt worden. Nicht nur die
Sanktionsrunden zeigen allerdings, dass
die Haltung der einzelnen EU-Staaten ge-
genüber dem syrischen Regime nicht so
einheitlich ist, wie sie sich auf den Sprech-
zetteln der EU-Offiziellen wiederfindet.
So wird etwa die tschechische Botschafte-
rin in Damaskus, auf die Ungarn hinwies,
zwar immer wieder als Kommunikations-
kanal zum Regime herangezogen. Sie ist
aber zugleich mit scharfer Kritik konfron-
tiert: Es mangele ihr an Distanz zum Re-
gime. Und es gibt öffentliche Äußerungen,
die große Ähnlichkeit mit den Argumen-
ten der Regimepropaganda aufweisen.
In Südeuropa gibt es ebenso Skepsis ge-
genüber einer harten Linie. Im Januar

verkündete das italienische Außenminis-
terium, man denke darüber nach, seine
Botschaft wiederzueröffnen. „Die Deut-
schen sind syrisch-orthodox“, sagte un-
längst ein spanischer Diplomat ein wenig
im Scherz – aber auch ein wenig spöt-
tisch. Er spielte auf die derzeit strikte
Haltung des Auswärtigen Amtes und des
Kanzleramtes an, die eine maßgebliche
Verhaltensänderung des Regimes erwar-
ten, bevor eine Aufwertung der Beziehun-
gen erwogen werden kann. Von Bot-
schaftswiedereröffnungen ganz zu
schweigen. Ähnliches gilt für Frankreich
und Großbritannien. Diese Achse der
„Orthodoxen“ will einer Beteiligung am
Wiederaufbau nur dann zustimmen,
wenn es auch einen glaubwürdigen politi-
schen Prozess in Syrien gibt.
Dass sich das Verhalten des Regimes ir-
gendwann ändert, erwartet allerdings
kaum ein mit Syrien befasster Diplomat.
Frust und Ernüchterung herrschen auch
unter vielen von denen, die regelmäßig
nach Damaskus reisen; Diplomaten der
EU oder aus Ländern wie Schweden oder
Österreich zum Beispiel. Doch aus Süd-
und Osteuropa sind im Namen der „Real-
politik“ immer wieder Empfehlungen zu
vernehmen, trotz allem auf Assad zuzuge-
hen, weil er eben das unumgängliche
Übel sei. In Berlin wird argumentiert, das
sei nicht möglich bei Hunderttausenden
Toten oder Giftgas- und Fassbombenan-
griffen auf Zivilisten. Schon deshalb
nicht, weil man so einen gefährlichen Prä-
zedenzfall schaffe. Und weil eine andau-
ernde Stabilisierung Syriens mit dem bru-
talen und korrupten Assad-Regime an
der Spitze unmöglich sei.

mawy. HAMBURG, 13. September.
Der Landesbeauftragte für Datenschutz
in Mecklenburg-Vorpommern, Heinz
Müller, hat das sogenannte Meldeportal
„Neutrale Schule“ der AfD im Land ver-
boten. Das teilte er am Freitag mit. Passa-
gen, in denen Schüler zur Meldung an-
geblicher Verstöße gegen das Neutrali-
tätsgebot aufgefordert würden, seien bis
zum 20. September zu entfernen. An-
dernfalls drohe ein Zwangsgeld. „Es darf
nicht sein, dass Lehrer durch so ein Por-
tal in ihrer Unterrichtstätigkeit einge-
schüchtert werden“, äußerte Müller.
Selbstverständlich sei es die Aufgabe der
Lehrer, für die Demokratie, das Grundge-
setz und die darin gewährleistete Men-
schenwürde einzutreten. „Dabei sollen
sie keine Angst haben, von selbsternann-
ten AfD-Aufpassern behelligt zu wer-
den.“ Die AfD widersprach vehement.
In mehreren Ländern hat die AfD in
den vergangenen Monaten solche Melde-
portale eröffnet. Laut Datenschutzbeauf-
tragtem erhebe der AfD-Landesverband

in seinem Portal aber nicht nur die perso-
nenbezogenen Daten der Schüler, die
eine Meldung verfassen, „sondern sam-
melt ganz gezielt auch die politischen
Meinungen der gemeldeten Lehrer“. Die
politische Meinung stehe aber unter be-
sonderem rechtlichen Schutz. Eine Verar-
beitung von Daten, aus denen die politi-
sche Meinung hervorgehe, sei der Daten-
schutz-Grundverordnung zufolge unter-
sagt. „Dem AfD-Landesverband ist es
nicht gelungen, die Rechtmäßigkeit der
von ihm zu verantwortenden Daten-
verarbeitung nachzuweisen“, äußerte
Müller. „Ein Verbot war daher ange-
bracht.“ Der AfD-Landesvorsitzende
Leif-Erik Holm äußerte, es handle sich
bei der Verbotsverfügung „um eine par-
teipolitisch motivierte Willkürentschei-
dung“. Er sagte: „Hier wird versucht, ei-
nen Maulkorb zu erlassen, um mögliche
Missstände an Schulen vertuschen zu
können.“ Er widerspreche der Behaup-
tung, man würde gezielt politische Mei-
nungen der gemeldeten Lehrer abfragen.

Michael Häupl 70
Rund ein Vierteljahrhundert lang war
Michael Häupl bis 2018 Bürgermeister
und SPÖ-Vorsitzender von Wien. Das
bedeutet viel mehr als ein kommunales
Amt. Knapp jedes zweite Mitglied der
österreichischen Sozialdemokratie
kommt aus Wien. Der promovierte Bio-
loge und Zoologe übte sein Amt macht-
bewusst aus, auch gegenüber den Bun-
deskanzlern (zumal den „roten“). Doch
gelang es ihm zugleich, mit einer Leutse-
ligkeit aufzutreten, die ihm den Spitzna-
men „Fiaker“ eintrug. Dabei kann man
mit ihm intellektuell anregende Gesprä-
che führen, etwa über den Marxismus
oder den umstrittenen einstigen Bürger-
meister Karl Lueger. Dem allgemeinen
Niedergang der Sozialdemokratie konn-
te sich auch Wien nicht ganz entziehen.

Seit 2010 braucht die SPÖ dort einen Ko-
alitionspartner. Häupl wählte sich die
Grünen. 2015 konnte er einen katastro-
phalen Wahlausgang noch einmal durch
einen Er-oder-ich-Wahlkampf gegen
FPÖ-Chef Strache verhindern. Doch
dass die rechte Partei FPÖ der SPÖ ihre
traditionelle Wählerschaft „abnahm“,
führte zu schweren Konflikten zwischen
rechtem und linkem Flügel der SPÖ, die
das Ende von Häupls Ära überschatte-
ten. Dass er in diesen Wirren kommissa-
risch den Bundesparteivorsitz über-
nahm, blieb Episode. Aber seine Stadt
prägte der gebürtige Niederösterreicher
Häupl nach dem Fall des Eisernen Vor-
hangs. Einer seiner Aussprüche passt
gut zu diesem Samstag, an dem er sieb-
zig Jahre alt wird: „Man bringe den
Spritzwein!“ (löw.)

Seehofer für Flüchtlingsquote
Um die neue italienische Regierung zu
entlasten, ist die Bundesregierung be-
reit, jeden vierten nach einer Seenotret-
tung in Italien anlandenden Flüchtling
nach Deutschland einreisen zu lassen.
Das kündigte Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) in der „Süddeut-
schen Zeitung“ an. „Das wird unsere Mi-
grationspolitik nicht überfordern“, zitier-
te die Zeitung den Innenminister. Überle-
gungen, Flüchtlinge zunächst zu Aus-
schiffungsplattformen in Nordafrika zu
bringen, um dort ihr Asylverfahren
durchzuführen, sind demnach nicht
mehr im Gespräch. Frankreich, Deutsch-
land, Italien und Malta wollen sich beim
Treffen der EU-Innenminister am 23.
September in Malta auf eine vorläufige
Quotenregelung zur Verteilung von
Flüchtlingen in Europa einigen. (AFP)

Babis entlastet
Die Staatsanwaltschaft in Prag hat ihr
Verfahren gegen den tschechischen Mi-
nisterpräsidenten Andrej Babiš wegen
mutmaßlichen Betrugs im Umgang mit
EU-Subventionen endgültig eingestellt.
Das bestätigte der zuständige Ober-
staatsanwalt am Freitag. Babiš war vor-
geworfen worden, EU-Subventionen für
ein Wellness-Resort bei Prag erschli-
chen zu haben, die eigentlich für kleine
und mittlere Unternehmen bestimmt ge-
wesen waren. Es ging um knapp zwei
Millionen Euro, die inzwischen zurück-
gezahlt wurden. Die Staatsanwaltschaft
kam nun zu dem Schluss, dass es richtig
gewesen sei, das Resort als unabhängi-
ges Unternehmen zu betrachten. Dabei
spiele es keine Rolle, dass zwischen der
Firma und der Babiš-Großholding Agro-
fert personelle Verbindungen durch Fa-
milienmitglieder bestanden. (dpa)

Davutoglu will Partei gründen
Der ehemalige türkische Ministerpräsi-
dent Ahmet Davutoglu ist aus der Regie-
rungspartei AKP von Präsident Recep
Tayyip Erdogan ausgetreten. Zugleich
kündigte er am Freitag bei einer Presse-
konferenz in Ankara die Gründung einer
neuen Partei an. Es sei sowohl eine „his-
torische Verantwortung als auch eine

Notwendigkeit“, eine „neue politische
Bewegung aufzubauen“. Der 60 Jahre
alte Davutoglu war von 2014 bis 2016
Vorsitzender der AKP, wurde aber nach
Auseinandersetzungen mit Erdogan teil-
weise entmachtet und trat 2016 auch als
Ministerpräsident zurück. Er hatte sei-
ner Partei zuletzt mehrfach vorgewor-
fen, sich von ihren Grundprinzipien zu
entfernen. Unter anderem hatte er die
Annullierung der Bürgermeisterwahl in
Istanbul im März kritisiert. Am Freitag
sagte Davutoglu, die AKP-Führung sehe
„jede gutgemeinte Kritik und Empfeh-
lung als Verrat und Feindseligkeit“, des-
halb gebe es keine Möglichkeit mehr, die
„Grundsätze und Ziele, für die wir in un-
serem politischen Leben eintreten, in
der AK-Partei umzusetzen“. Davutoglu
hielt die Pressekonferenz zusammen mit
den ehemaligen AKP-Abgeordneten Sel-
cuk Özdag, Abdullah Basci und Ayhan
Sefer Üstün, die ebenfalls aus der AKP
austraten. (dpa)

Moskau sucht Spion
Moskau will über Interpol herausfinden,
ob sich der frühere Mitarbeiter der russi-
schen Präsidialverwaltung Oleg Smolen-
kow in den Vereinigten Staaten aufhält.
Man habe der Behörde entsprechende
Fragen übermittelt, teilte das Außenmi-
nisterium mit. Berichte, nach denen
Smolenkow als Mitarbeiter des außenpo-
litischen Beraters von Präsident Wladi-
mir Putin für den amerikanischen Ge-
heimdienst CIA spionierte, wies es als
„Propaganda“ zurück. Smolenkow soll
im Juni 2017 mit Frau und drei Kindern
über Montenegro in die Vereinigten Staa-
ten geschleust worden sein. Eines der
Kinder stammt aus einer früheren Ver-
bindung des ehemaligen Kreml-Mitarbei-
ters; die Mutter gab nun an, Smolenkow
habe ihr in betrügerischer Absicht eine
Erlaubnis zur Ausreise abgerungen. In
Russland ist im September 2017 ein Er-
mittlungsverfahren wegen des Ver-
schwindens der Familie eröffnet wor-
den. Die Nachrichtenagentur Interfax be-
richtete nun, die Verantwortlichen dafür,
dass Smolenkow trotz eines Ausreisever-
bots für Beamte Russland verlassen durf-
te, seien bestraft worden, „bis hin zur
Entlassung“. (frs.)

Deutsche Bischöfe erhalten Warnung aus Rom


„Synodaler Weg“ darf nicht gegen Grundsätze der Weltkirche verstoßen / Marx will „Missverständnisse“ ausräumen


Massenmörder oder unumgängliches Übel?


Mecklenburg-Vorpommern


verbietet Schule-Meldeportal


AfD darf nicht Daten zu politischer Meinung sammeln


Personalien


Wichtiges in Kürze


Mitfreundlichen Grüßen aus der Ewigen Stadt:Kardinal Ouellet im Juli während einer Prozession in Rom Foto Getty


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Ungarn bereitet eine


diplomatische Annäherung


an Syrien vor – zum Ärger


mancher westlicher Staaten.


Aber die EU ist in der Frage


des Umgangs mit dem


Assad-Regime gespalten.


Von Stephan Löwenstein


und Christoph Ehrhardt

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