Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

12 MEINUNG & DEBATTE Freitag, 13. September 2019


DerRegenwald im Amazonasgebiet brennt, und der brasilianische Präsident kümmert sichnicht. Washeisst das fürKonsumenten? BRUNO KELLY / REUTERS


Wa s man beim Tanken


gegen Despoten tun kann


Selbst eine vermeintlich digitale Welt gier t nach Bodenschätzen. Und obwohl Länder mit Erdöl


oder Kupfer potenziell reich sind, sind sie häufig aus po litischen Gründen arm. Die


Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen könnte den Ressourcenfluch mildern.Von Gerald Hosp


Die ganzeWelt in einem kleinen Ding: Mit einem
Smartphone lassen sich fremdeLänder mit einer
blossenWischbewegungbesuchen, riesige Distan-
zen werden mitVideoanrufen überwunden, und
Einkäufe oderBankgeschäftekönnen virtuell ab-
gewickelt werden. Im Smartphonevereint sich die
Welt zudem noch auf eine andere – materielle –
Art: Aluminium aus China, Lithium aus Chile,
Wolfram ausRussland, Zinn aus Indonesien,Ko-
balt ausKongo-Kinshasa undRohöl aus Saudi-
arabien als Grundlage für Plastik fliessen in Ge-
häuse, Batterie undKomponenten.


Gesichtslose Standardware


Es geht aber nicht nur um das Smartphone.Alles,
was wir tragen, essen, fahren oder nutzen, basiert
auf Rohstoffen, die an globalisierten Märkten be-
sorgt werden.Das Gewissen derKonsumenten ist
dabei einer diffusen Belastung ausgesetzt:Wie soll
auf Nachrichtenreagiert werden, dass beim Abbau
von Zinn in Bolivien Kinder im Einsatz stehen?
Was bedeutet die laxe Haltung des brasilianischen
Präsidenten zur illegalen Brandrodung im Ama-
zonasgebiet?Wirdmit dem Kauf von venezolani-
schem Erdöl ein moralisch bankrottesRegime ge-
stützt? Mit jederKonsumentscheidung werden Mil-
lionen vonRädchen in Bewegung gebracht, was un-
geahnteFolgen haben kann.
Der Abbau und Handel vonRohstoffen stürzt
aber nicht nur dieKonsumenten in potenzielle
Dilemmata, einem weitaus grösseren Problem
sieht sich die Bevölkerung in vielenRohstoff-
ländern gegenüber: dem sogenanntenRessourcen-
fluch. EineFülle an Öl,Kupfer oder Eisenerz för-
dert häufigAutokratien,Korruption, ineffizientes
Regieren undKonflikte. Mit demRohstoffre ichtum
sind Regierungen nicht oder in geringem Masse auf
Wähler und Steuerzahler angewiesen. DerAufbau
effizienterWirtschaftsstrukturen wird dadurch
weniger dringlich. Dies ist zwarkein Naturgesetz,
aber häufig traurigeWirklichkeit.


Ein Teil der Malaise liegt darin, dassRohstoffe
als gesichtslose Standardwaren gehandelt werden,
die je nach Qualität einen Zu- oder Abschlag auf
einenReferenzpreis erzielen.Rohwaren sind in der
Regel Zwischenprodukte, die von Unternehmen
hergestellt, verarbeitet und gehandelt werden, die
einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind.
Innerhalb derRohstoffbranche findet jedoch
derz eit ein stärker werdendes Umdenken statt:
Themen wie die Herkunft der Produkte und deren
Rückverfolgbarkeit sind in denFokus der Branche
gerückt – angetrieben durch Gesetze in denVer-
einigten Staaten und der EU, die sich beispiels-
weise mit dem Umgang mit sogenanntenKonflikt-
mineralien befassen, sowie unter dem Druck von
Nichtregierungsorganisationen und von Unterneh-
men,die auf eine«saubere» Lieferkette setzen.Fir-
men sind vermehrt bestrebt, eine weisseWeste zu
haben und nicht mit Menschenrechts- oder Um-
weltschutzverletzungen in der Lieferkette in Ver-
bindung gebracht zu werden.
Labels und Zertifizierungen, die eine unbedenk-
liche Produktion oderFörderung bescheinigen,gibt
es vor allem bei Agrargütern schon lange. Bekannt
geworden ist auch der Kimberly-Prozess für Dia-
manten, auch wenn dieser seit geraumer Zeit in der
Kritik steht.Dabei soll ausgeschlossen werden,dass
mit Diamanten gehandelt wird, die genutzt werden,
um Kriege zu finanzieren.Auch beim Gold gibt es
Best rebungen, dieRückverfolgbarkeit bis hin zur
Mine zu garantieren.Diese Güter zeichnet aus, dass
die Endkundenrelativ naham ursprünglichenRoh-
stoff sind.DieAnforderung, mehr überdie Herkunft
der Rohware zu erfahren,nimmt bei Industriemetal-
len und langsam auch bei Energiegütern zu.Mithilfe
der Bl ockchain-Technologie, so wird in der Branche
diskutiert, müsse es gar möglich sein, die verschlun-
genenWege von Erdöl nachzuvollziehen.
Diese Entwicklung ist positiv.Sie stärkt dieKon-
sumentensouveränität und verbessert dieTrans-
parenz. Unternehmen werden vermehrt sensibili-
siert. Zugleich ist dieser Ansatz aber zu eng, um des
Problems desRessourcenfluchs Herr zu werden.

Man kann den Extremfallkonstruieren, dass die in
einemLand tätigen Unternehmen alle Umweltauf-
lagen und Menschenrechte einhalten und der staat-
liche Erdölkonzern nicht vonKorruption unter-
wandert ist. Grundsätzlich erhöhen sich dadurch
die Staatseinnahmen.Wenn sich die Staatsführung
aber gegenüber den Bürgern nichtrechenschafts-
pflichtig fühlt, weil sie sichauf die Versilberung des
Rohstoffschatzeskonzentriert,bleibt das grundsätz-
liche Problem ineffizientenRegierens, verschleppter
Reformen und der Klientelpolitik erhalten.
Ähnliches gilt auch für dieKonzernverantwor-
tungsinitiative in der Schweiz, welche dieAus-
landaktivitäten von SchweizerKonzernen gericht-
lich regeln und aufwendig-bürokratische Sorgfalts-
pflichten für die Lieferketten gesetzlich vorschrei-
ben will. Sie zielt darauf ab, das gute Gewissen zu
Hause zu pflegen. Doch es ist fraglich, ob sie zur
Milderung desRessourcenfluchs beitragen würde.
Einzelne Länder oder die Staatengemein-
schaftkönnen versuchen, missliebigenRegimen
den finanziellen Sauerstoff zu entziehen, indem sie
Sanktionen verhängen. Im Fall der brasilianischen
Brandrohdungen drohten EU-Länder wieFrank-
reich oderIrland damit, ein bereits verhandeltes
Handelsabkommen nicht zuratifizieren. Handels-
politik sollte aber nicht zweckentfremdet werden,
dennFreihandel bedeutet in derRegel wirtschaft-
liche Integration und mehrWohlstand für die Be-
völkerung, während Sanktionen und eingeschränk-
ter Handel häufig denRegimen in die Hände spie-
len, weil die Bevölkerung noch mehr ihrenRegie-
rungen ausgeliefert wird.

Mehr Geld fürsVo lk


Massnahmen wie Sanktionen,Einfuhrverbote oder
Labels, die alleine darauf abzielen,den Konsum von
«kritischen»Rohstoffen einzudämmen, beziehen
ausschliesslich die Nachfrageseite ein. Dies kann
zum Paradox führen, dass in die Enge getriebene
Rohstoff-Autokraten ihrLand zeitweise noch mehr
ausplündern und den Schatz im Boden noch güns-
tiger verscherbeln als sonst schon.Das Land wird
noch abhängiger vonRohstoffen. Es wäre auch
fatal, wennKonzerne, die sich an internationale
Standards halten,schwierigenLändern denRücken
kehren und damit Platz machen für Unternehmen,
die wenig Skrupel haben.
Werwirklich etwasändern will,solltesich des-
halb auch mit der Angebotsseitebeschäftigen:Wel-
che Anreize haben dieRegierenden in denRoh-
stoff-Ländern? Bodenschätze sollten der gesamten
Bevölkerung zugutekommen, und dies zeitlich und
über Generationen verteilt. Machthaber sehen hin-
gegen die Einnahmen als Mittel zur Machterhaltung
und Bereicherung. Im lesenswerten Buch «Blood
Oil» schlägt der Philosoph LeifWenar ein Clean-
Trade-System vor. Der Ansatz gehtaber zu weit:
Wenar möchte den Kauf vonRohstoffen ausTyran-
nenstaaten gänzlich verbieten,waskontraproduktiv
sein kann. Die zweiteKomponente desVorschlags
ist es ,die Regierenden mehr zurVerantwortung zu
ziehen und das politischeSystem zu verbessern.
Mankönnte sich gar vorstellen,Autokraten für
ihr Wohlverhalten zu belohnen, wie das bereits
teilweise mit der Entwicklungshilfe gemacht wird


  • was allerdings moralisch zweifelhaft ist und of-
    fenbar wenig bringt.Vielversprechender istes, die
    Transparenz in derRohstoffbranche zu erhöhen
    und Anti-Korruptions-Anstrengungen zu verstär-
    ken, damit die Nutzniesser desRessourcenfluchs
    weniger davon profitieren.Wichtiger wäre, dass die
    Bevölkerung in denRohstoffländern an den Ein-
    nahmen verstärkt direkt teilhaben kann; was dann
    auch die politischeRechenschaftspflicht erhöht.
    Dafür gibt esVorschläge wie «Oil-to-cash», der
    eine Verteilung der Einnahmen über einenFonds
    an die Bevölkerung vorsieht. Dessen Dividenden
    sollten besteuert werden, um den Bürgersinn für
    die Staatsausgaben zu schärfen. Bereits der liberale
    Ökonom MiltonFriedman hatte sich füreine Pri-
    vatisierung der Bodenschätze und für die Zahlung
    einer Dividende an die Bevölkerung starkgemacht.


Abstimmen an der Zapfsäule


Und hierkommt dieRückverfolgbarkeitvon Roh-
stoffen und dieKonsumentensouveränität wieder
ins Spiel. Ordnungspolitisch besser als völligeVer-
bote wäre es, die Leute beispielsweise an der Zapf-
säuleentscheiden zulassen, ob sie sich denTank
mit «Autokratie-Super» oder mit«Treibstoffkor-
rekt» füllen.Wer einen «Norweger» einem «Putin»
oder «Saudi» vorzieht, sollte dies tunkönnen.
Idealerweise geht die Nachfrage nach «politisch
schlechtem» Erdöl zurück, wasAutokraten stören
dürfte. Zudem sollten mit der Preisdifferenz zwi-
schen «gutem» und «schlechtem» ÖlFonds für die
Bevölkerungen in denRohstoffländern alimentiert
werden. Despoten sollten damit einen Anreiz be-
kommen, international verträglicher zu agieren.
Dass ein einziges Instrument einkomplexes
Problem lösen kann, ist unwahrschei nlich. Doch
es wäre schon viel gewonnen, wenn miteiner
Mischung aus derRückverfolgbarkeit vonRoh-
stoffen, gestärkterKonsumentensouveränität und
Anreizen für Despoten derRessourcenfluch etwas
eingedämmt werdenkönnte.

Eine Fülle anÖl,Kupfer


oderEisenerz fördert häufig


Autokratien, Korruption


und Konflikte.Das Gewissen


der Konsumenten ist


bei diesenRohstoffen


einer diffusen Belastung


ausgesetzt.

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