Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

Freitag, 13. September 2019 SCHWEIZ 13


Minderjährige Behinderte erhalten den Assistenzbeitrag,


auch wenn sie nicht selbständig leben können SEITE 14


Werbeverbote ändern nichts amTabakkonsum –


sagt Zigarrenbaron Heinrich Villiger SEITE 14, 15


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Wer vererbt, kann dies künftig freier tun

Besserstellung vonStiefkindern oder Konkubinatspartnern – der Ständerat beschliesst eine Reform des Erbrechts vongrosser Tragweite


In der Schweiz werden jährlich


rund 60 MilliardenFranken


vererbt. Nun passt der Ständerat


die teilweise über 100Jahre


altenRegeln an die neuen


gesellschaftlichenRealitäten an.


CHRISTOF FORSTER, BERN


DasErbrecht ist1912 in Kraft getreten
und seither in den Grundzügen unverän-
dert geblieben.Wer damals geerbt hat,
war zwischen 30 und 35Jahre alt. Heute
liegt das Alter bei der Erbschaft im
Schnitt bei 63Jahren. Nicht nurleben die
Menschen viel länger, auch die Gesell-
schaft hat sich in diesen über 100Jahren
verändert.Familien werden später und
teilweise mehrfach gegründet. Neben
der traditionellen Ehe gibt esKonkubi-
nate, Patchworkfamilien und neuePart-
nerschaften im Alter. Sozialversicherun-
gen sind eingeführt worden, die zur Ab-
sicherung dienen. Dies habe dieFunk-
tion des Erbens undVererbens verändert,
sagteAndreaCaroni (AppenzellAusser-
rhoden, fdp.) am Donnerstag im Stände-
rat. DieVorschläge des Bundesrats waren
denn auch im Grundsatz unbestritten.
ImKern derReform geht es darum,
dem Erblasser mehrFreiheiten zu ge-
währen. Dieser soll über einen grösseren
Teil seinesVermögens selber bestimmen.
DamitkönnenKonkubinatspartner oder
Stiefkinder, die weiterhinkeinen gesetz-
lichen Erbanspruch erhalten, stärker be-
günstigt werden.Dabei geht es um viel
Geld: in der Schweiz werden jährlich rund
60 MilliardenFranken vererbt.


«Einschneidender Schnitt»


Um den Spielraum für den Erblasser
zu vergrössern, sollen die Pflichtteile
gekürzt werden.Falls derVerstorbene
keinen Ehegatten hinterlässt,sollen die
Nachkommen künftig nur noch ein ge-
setzliches Anrechtauf die Hälfte des
Nachlasses haben. Heute sind es drei
Viertel. Lebt derPartner noch,reduziert
sich der Anspruch der Nachkommen von


dreiAchteln auf einViertel des Nachlas-
ses. Für die Eltern desVerstorbenen wird
derPflichtteil ganz gestrichen. Erkönne
damit leben, aber dies sei ein «einschnei-
dender Schritt», sagte Beat Rieder (Wal-
lis, cvp.) auch an dieAdresse vonRats-
kollegeFabio Abate (Tessin, fdp.). Die-
ser hatte zuvor kritisiert, dieReform sei
zu wenigmutig. DerPflichtteil der Eltern
gehe häufig zulasten des überlebenden
Gatten oder des eingetragenenPartners,
sagteJustizministerin KarinKeller-Sut-
ter. Der Pflichtteil habe zudem mit der
Einführung der AHV sowie der zweiten
und der dritten Säule stark an Bedeu-
tung eingebüsst.
Pirmin Bischof (Solothurn, cvp.)
unterstrich die grosseTr agweite der

Reform. Heute seien die Pflichtteile
der Eltern, der Kinder, der überleben-
den Ehegattin oder des überlebenden
Ehegatten ein grossesKorsett, das die
Verfügungsfreiheit des Erblassers er-
heblich einschränke.Ein wesentlicher
Teil derVermögen sei vor demTod
eigentlich schon für denTodesfall ver-
teilt. Bischof: «Das wird jetzt grund-
legend geändert.» So kann der Erb-
lasser den ganzen elterlichen Pflicht-
teil künftig seiner Ehefrau oderKon-
kubinatspartnerin geben.
Erbvolumen zur Verteilung wird
auch frei, weil der Pflichtteil der Kin-
der von dreiViertel auf die Hälfteredu-
ziert wird.Wer künftig bei einem Anwalt
einen Erbvertrag machen wolle, habe er-

heblich mehr Spielraum, seine Ehefrau
oder seineKonkubinatspartnerin zu be-
günstigen, sagte Bischof, der selbst An-
walt ist. In solchen Erbverträgen gehe
es in den überwiegendenFällendarum,
Partner in den verschiedenen Lebens-
formen (Ehe,Konkubinat, eingetragene
Partnerschaft) zu begünstigen.

EinfachereNachfolgeregelung


Weil ein grössererTeil desVermögens
einem einzelnen Nachkommen hinter-
lassen werden kann,wird die Nachfolge-
regelung beiFamilienunternehmen er-
leichtert. Heute erschwereoder verun-
mögliche der geltende Pflichtteil der
Nachkommen oft dieWeitergabe eines

Betriebs an einen geeigneten Nachfol-
ger, sagteKeller-Sutter.

Umstrittene Härtefälle


Umstritten war im Ständerat die vom
Bundesrat vorgesehene Härtefallrege-
lung für Lebenspartner. Dabei geht es
um jeneFälle, bei denen derVerstorbene
seinePartnerin (oder umgekehrt) nicht
abgesichert hat und diese durch seinen
Tod in finanzielle Schwierigkeiten ge-
rät und allenfalls von Sozialhilfe abhän-
gig wird. Die betroffenePerson kann
lautVorschlag des Bundesrats von den
Erben bis zu einemViertel des Netto-
vermögens des Erblassers als Unter-
haltsrente fordern.Dabei dürfen die Ge-
samteinnahmen der überlebendenPart-
nerin oder des überlebendenPartners
das Existenzminimum der Sozialhilfe
nicht übersteigen. Rieder sprachvon
einer «Bevormundung des Erblassers».
DanielJositsch (Zürich, sp.) meldete
grundsätzlicheVorbehalte amKonzept
des Unterstützungsanspruchs an. Unter
Umständenmüsse dieRente gegen den
Willen des Erblassers ausgerichtet wer-
den. DerRat lehntedieHärtefallrege-
lung mit 28 zu 12 Stimmen ab.
Nur amRandeeinThemain der
Debatte im Ständerat waren die Erb-
schleicher. Experten befürchten, dass
mit denreduzierten Pflichtteilen ver-
mehrt Leute mit solchen Absichten ak-
tiv würden.Weil die Menschen älter
würden und auf Pflege angewiesen
seien, stiegen die Abhängigkeiten.Diese
könnten ausgenützt werden.EinzigBeat
Rieder wies darauf hin, dass mit derRe-
form dasPotenzial für Erbschleicherei
erhöht werde.
Nicht umstritten waren diverse Ände-
rungen, die sich aus der Praxis aufdrän-
gen. So soll der überlebende Ehegatte
keinenPflichtteilanspruch geltend ma-
chenkönnen, wenn einePerson während
eines Scheidungsverfahrens stirbt. Dies
soll taktischeVerzögerungen verhindern.
In der Gesamtabstimmung hiess der
Ständerat dieVorlage ohne Gegen-
stimme, aber mit neun Enthaltungen
gut. Sie geht nun in den Nationalrat.

Geht es nachdem Ständerat, haben die Eltern einesVerstorbenen in Zukunftkeinen gesetzlichen Anspruch mehr auf ein Erbe. AP

Postfinance stoppt Überweisungen nach Kuba


Der Finanzdienstleister reagiert auf verschärfte US-Sanktionen und bringt damit Schweizer vorOrt in existenzielle Nöte


DAVID VONPLON


Mit neuen Sanktionen haben die USA
den Druck aufKuba erhöht. Im Septem-
ber beschloss Präsident DonaldTrump,
dass Menschen in den USA pro Quar-
tal nur noch 10 00 US-Dollar anFami-
lienangehörige inKuba schicken dürfen.
DerBannstrahlTr umpsreicht bis in
die Schweiz. Bei derPostfinance sind seit
dem1. Septemberkeine Geldüberwei-
sungen nachKuba mehr möglich. «Der
Zahlungskanal nachKuba ist bis auf
wenigeAusnahmen geschlossen», bestä-
tigt derPostfinance-Sprecher Rinaldo
Tibolla. Grund seien die US-Sanktio-
nen.Das Finanzinstitut prüft deswegen
sogar eine generelleAufhebung der Ge-
schäftsbeziehungen mitKunden, die in
Kuba wohnhaft sind.
Das hat einschneidendeKonsequen-
zen für die gut 300 Schweizerinnen und
Schweizer, die aufKuba leben, wie auch
für SchweizerFirmen und Nichtregie-
rungsorganisationen. Die Post-Toch-
ter war für Schweizer inKuba die letzte
Bank, die Überweisungen in den karibi-
schen Inselstaat noch zuliess. In denJah-
ren davor hatten auf Drängen der USA
hin bereits die Credit Suisse, die UBS
und die ZKB den Zahlungsverkehr


mitKuba eingestellt. Den Betroffenen
bleibt in Zukunft nichts anderes übrig,
als das Geld physisch über die Grenze
zu bringen – was aber nurbiszu einem
Betrag von 50 00 Franken erlaubt ist.

Nicht bezahlte Löhne


«Wir geraten in existenzielle Probleme,
wenn diePostfinance weiterhin Geld-
transfers nachKuba verunmöglicht»,
sagtRolandWüest,Koordinator von
Medicuba. Die Nichtregierungsorgani-
sation, die vor über 25Jahren von einer
Gruppe von Schweizer Ärzten gegrün-
det wurde, betreibt aufKubamedizi-
nischeAufbauhilfe–etwa in der HIV-
Prävention, der Behandlung autistischer
Kinder oder derFrüherkennung alters-
bedingter Demenz.
DerVerein überweist jährlich einen
sechsstelligenFrankenbetrag vom eige-
nenPostfinance-Konto auf einKonto in
Havanna.Das Geld stammt von privaten
Spendern, Gemeinden, Kantonen und
vom Bund.Nunwirdder Geldtransfer
zur Bezahlung von medizinischerAus-
rüstung sowie von Löhnen der Mitarbei-
ter vor Ort gestoppt. Medicuba darf nur
noch bis Ende Monat Geldzahlungen tä-
tigen.Für die NGO gibtes vielleicht noch

einenAusweg. Für gemeinnützige Orga-
nisationen sieht die US-Sanktionspolitik
Ausnahmebestimmungen vor. Man ver-
suche derzeit, eine individuelle Lösung
auszuhandeln, sagtWüest.
«Der potenzielle Schaden für unsere
Mitglieder ist immens», sagt Andreas
Winkler, Präsident der Schweizerisch-
Kubanischen Handels- und Industrie-
kammer. Mit dem Entscheid derPost-
financekönnten viele der fünfzig Mitglie-
derfirmen – das Gros davon Schweizer
KMU – bereits abgeschlosseneVerträge
nicht erfüllen.Winkler hofft auf Suk-
kurs vonPostministerin Simonetta Som-
maruga.Das Departement für Umwelt,
Verkehr, Energie undKommunikation
(Uvek) müsse Massnahmen ergreifen,
damit Schweizer Organisationen und
Bürger ihrRecht aufBankgeschäfte in
Kuba ausübenkönnten. DiePostfinance
sei schliesslich per Gesetz verpflichtet, die
Grundversorgung von Bevölkerung und
Wirtschaft mit Dienstleistungen des Zah-
lungsverkehrs zu erbringen.
Unterstützung erhältWinkler von der
Auslandschweizer-Organisation (ASO).
«Wir sind sehr überrascht von der Ent-
scheidung vonPostfinance», sagt dieVer-
bandsdirektorin ArianeRustichelli. Sie
fordert, dass diePostfinance dazu ver-

pflichtet wird, allenAuslandschweizerin-
nen und -schweizern einKonto zuVer-
fügung zu stellen – und zwar zu den glei-
chenKonditionenwieInlandschweizern.

Ausschluss vomUS-Markt droht


DiePostfinance widerspricht den Kri-
tikern. «Der Grundversorgungsauftrag
im Zahlungsverkehr beschränkt sich auf
Dienstleistungen in Schweizerfranken
im Inland», sagt derKonzernsprecherTi-
bolla.Für Kunden imAusland würden
somitrestriktivere Bedingungen gelten


  • unabhängig von ihrer Nationalität. Nach
    Möglichkeit würden Geschäftsbeziehun-
    gen aber weitergeführt, sofernkeineregu-
    latorischen Risiken entgegenstünden.
    DiePost-Tochter kann es sich nach
    eigenen Angaben nicht leisten, sich
    über die Sanktionsbestimmungen der
    USA hinwegzusetzen. «Als Schweizer
    Bank sind wir zwar nicht direkt dem
    US-Recht unterstellt», sagtTibolla,« je-
    doch nehmen wir am weltweiten Zah-
    lungsverkehr teil.» Deshalb sei man auf
    ein Netz vonKorrespondenzbanken so-
    wie auf den Zugang zum US-Zahlungs-
    verkehr angewiesen. Und darumkönne
    es zuAufhebungen von Geschäftsbezie-
    hungen oder Zahlungskanälenkommen.


GuidoBürgin
Leiter Produkt-&
Salesmanagement
Anlagenlösungen
zum
selbstbestimmten
Leben

«Eine selbstbestimmte
Zukunftbeginnt schon
in der Gegenwart.»
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