Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

Freitag, 13. September 2019 SCHWEIZ


Dennoch wird Ihre Branche von der
WHO,der Weltgesundheitsorganisation,
ins Visier genommen.
Die WHO will bis 2050 denTabakkon-
sum ausmerzen. Geradeso gut kann
man fordern, dass die Leutekeinen
Alkohol mehrkonsumieren sollen. Ich
weiss nicht, was sich die WHO-Spitze
überlegt. Diese mächtige Organisation
kann in praktisch allenLändern aufra-
dikale Lobbyisten zählen.Das sind die
jeweiligen Gesundheitsminister, die sich
den Krieg gegen dieRaucher auf die
Fahne geschrieben haben. Im Gegen-
satz zu denVertretern derTabakindus-
trie stehen diesePolitiker nicht unter
Beschuss, sondern gelten als Anwälte
des Guten. Und der nächste Angriff
läuftbereits.

Was meinen Sie?
Die WHO nimmt nun auch Einfluss auf
die Landwirtschaftsministerien. Sie sol-
len in ihrenLändern darauf hinwirken,
dass dieBauernkeinenTabak mehr an-
bauen, sondern auf andere Produkte
ausweichen. Ich kaufe seitJahrzehnten
selberTabak ein.Daher weiss ich, dass
von dieserPolitik überwiegend Klein-
bauern in Afrika und Südamerika be-
troffen sind.Weltweit sind es rund 3 Mil-
lionen solcher Kleinproduzenten. Die-
sen Familienbetrieben bringt derTabak
ein en höheren Ertrag als jedes andere

Agrarprodukt. Es wäre daher verhee-
rend, wenn diese Einkommensquelle
wegfallen würde.

Zigarrenwerden immer mehr als Luxus-
produkt entdeckt.
In derTat. Sie finden unsere Produkte
heute bei Lidl, Aldi, Coop und Denner.
Nun steigen wir ins Geschäft mit den
handgemachten Zigarren ein.Wir pr o-
fitieren davon, dass wir in Deutschland
und in der Schweiz seit 30JahrenJoint
Ventures mit dem kubanischen Staats-
konzernTabacuba haben. Schliesslich
ist die Havanna derRolls-Royce unter
den Zigarren.Als nächsten Schritt haben
wir nunProjekte in Brasilien und Nica-
ragua, wo wir handgemachte Zigarren
fertigen lassen.

Wie gross sind dieWachstumschancen?
Der Markt mit handgemachten Zigar-
ren und damit das obere, teure Segment
boomt. Die USA sind für hochwer-
tige Produkte am wichtigsten. Unsere
Exporte dorthin haben sich im ver-
gangenenJahr gut entwickelt.Auch in
anderen Bereichen wächst der Markt
mit Luxusprodukten. Es gibt ja immer
mehrreiche Leute, die sich das leisten
können und wollen. So haben wir im
letztenJahr mehrere Luxus-Humidore
mit 50 Cohiba-Zigarren zum Preis von
199000 Euro verkauft.

An wen?
An Zigarren-Fachgeschäfte in Deutsch-
land und der Schweiz. Die Käufer sind
uns nicht bekannt.Aber die Schicht von
potenziellenKunden in diesem oberen
und obersten Segment wächst vor allem
in China.Neben Häfen,Eisenbahnlinien
und anderen Infrastrukturen wollen die
Chinesen auch alteingesesseneFirmen
kaufen, die hochwertige Produkte her-
stellen.Wir hatten beiVilliger schon
zwei- oder dreimal Gruppen vonchine-
sischen Geschäftsleuten zu Gast,die mir
die Firma abkaufen wollten.DieKunden
in China wollenkeine Zigarre aus hei-
mischer Produktion.Weressich leisten
kann, will natürlich eine echte Havanna
geniessen.Was wir an Havannas in der
Schweiz, aber vor allem in Deutschland
verkaufen, kann gar nicht alles hier ge-
raucht werden.Dazu kommt auch noch
das Geschäft in den sogenannten Bor-
der-Shops in Macau, Hongkong,Viet-
nam oderRussland an der chinesischen
Grenze.Die Kubanerkommen momen-
tan gar nicht nach mit der Produktion
von Cohibas und Montechristos.Vor
allem die teuren Zigarren fehlen uns.

Sie verteidigen das Rauchen als Genuss.
Auch Cannabis-Konsumenten sagen von
sich, sie seien Geniesser.
Ich habe auf meinem Pult die ersten Can-
nabis-Zigarillos aus unserer Produktion.

Sie schmecken ganz gut,aber ich bemerke
keine besondereWirkung. Gut,manmuss
natürlich beimAutofahren aufpassen...

Cannabis als Zukunftsmarkt für Sie?
Der Cannabis-Konsum ist in der Schweiz
unter einem bestimmten THC-Wert
legalisiert, und es gibt bekanntlich be-
reits viele Produkte in diesem Bereich.
Die grossenKonzerne experimentieren
weltweit und investieren in diese Ent-
wicklung grosse Beträge. Für mich war
schnell klar, dass wir nachziehen muss-
ten. Im Herbst steigen wir nun mit unse-
rem Cannabis-Produkt in dieses Segment
ein.Wie es sich entwickeln wird,weiss ich
natürlich nicht. Aber ich bin überzeugt,
dass die Legalisierung weitergehen wird.
Es wird sich ein Markt etablieren.

Vor kurzem hat das geplante Sponso-
rin g für dieWeltausstellung inDubai
für Aufsehen und scharfe Kritik gesorgt.
Was ging Ihnen da durch denKopf?
Ich habe nur denKopf geschüttelt. Der
Marketingleiter von Philip Morris muss
doch wissen, dass dies angesichts des
weltweiten Kampfs gegen denTabak als
Provokation aufgefasst wird! Ich kann
auch nicht glauben,dass Ignazio Cassis
als zuständiger Bundesrat nichts davon
gewusst hat. Diese Aktion beeinflusst
die laufende Diskussion über dasTabak-
produktegesetz natürlich sehr negativ.

Vor ein paarJahren hatVilliger dieVelo-
fabrikverkauft, diezum Unternehmen
gehört hat.Wäre es im Nachhinein nicht
klügergewesen, auf Fahrräder zu setzen,
die sehr imTrend liegen?
Fehler, die man vor 30Jahren gemacht
hat, kann man später nicht mehrkorri-
gieren. Mein Bruder KasparVilliger ist
ein begeisterterVelofahrer und fuhr oft
von Bern140 Kilometer zu seinemWohn-
ort Pfeffikon im Kanton Luzern. Doch

dieses Geschäft war für uns fremd.Wir
konnten damals in einem Nachbardorf
eineFahrradfabrik kaufen, deren Besit-
zer aus Altersgründen aufgab. Das war
eigentlich eine gute Gelegenheit, ein
zweites Standbein zu schaffen für eine
Firma,deren Kerngeschäft unterDauer-
beschuss steht. Später habe ich von der
Treuhand noch die zweitgrössteFahrrad-
fabrik der DDR übernommen. Anfäng-
lich lief es gar nicht schlecht, doch dann
hat ein Grossbrand unsereAnfangsinves-
titionen zunichtegemacht. Wir machten
jahrelangVerluste, so dass das ganze
Unternehmen in Schieflage zu drohen
geriet. So entschieden wir uns schliess-
lich zu verkaufen.

Wasrauchen Sie am liebsten von Ihren
Produkten?
Ich bin Brasil-Fan.Für mich ist derTabak
aus Brasilien derjenige, der am meisten
Aroma hat. Er brennt besser als der
kubanischeTabak. Alles entscheidend
ist die Qualität desTabaks. Deshalb be-
schäftige ich mehrere Agraringenieure.

Kaufen Sie eigentlich immer noch selber
Tabak auf demFeld ein?
Ja, denn ich bin lieber auf demFeld als
im Büro. In diesemFrühjahr war ich in
Brasilien. Dort hat es mich erwischt.

Wie erwischt?
Ich hatte einen kleinen Zwischenfall und
wurde bewusstlos. Daraufhin musste ich
mir im Spital von Salvador einen Herz-
schrittmacher einbauen lassen.

Sie waren in Salvador im Spital?
Ja. Die medizinischeVersorgung war
ausgezeichnet. Die grösste Schwierig-
keit war die Sprache.Ich spreche ein
paar Brocken Spanisch,aber das brasi-
lianischePersonal hat nichts verstanden.
So habe ich mit meiner Krankenschwes-
ter über das Smartphonekommuniziert.
Sie hat zum Beispiel eingetippt: «Ich bin
Gabriela.Wie heisst du?» (lacht) Und
am Abend hat sie dann geschrieben:
«Ich gehe jetzt heim. Gute Nacht!»

wird sich auch damit abfinden, dass
demnächst dasFahren mit demTrotti-
nett verboten wird. Ich will damit sagen:
Die Bürger sind daran gewöhnt, dass sie
vom Staat immer mehr eingeschränkt
werden.Wir haben uns mit den Anti-
Tabak-Aufklebern deshalb längst arran-
giert. Eine andereFrage ist, was solche
Verbote bringen.


Sie sollen die Leute davon abhalten, zu
rauchen,weil es gesundheitsschädlich ist.

Richtig, es gehtum den Gesundheits-
schutz.Tabak ist nichtgesund, aber es ist
immer dieFrage,wie man damit umgeht.
Auch Alkohol ist nicht gesund, trotzdem
hat niemand etwas gegen ein GlasWein.
Der Zigarrenliebhaber ist ebenfalls ein
Geniesser, er ist ein bewussterRaucher.


Aber Hand aufs Herz:Was ist die grös-
sere Bedrohung für Ihre Branche?
Die strengere Gesetzgebung oder die
E-Zigarette?

Für unsist es eindeutig die Anti-Tabak-
Ges etzgebung. Das hat aber mit unse-
rem Produktzu tun:Die Zi garrenraucher
steigen nicht auf die E-Zigarette um.


Haben Sie schon jemals eine E-Zigarette
geraucht?

Nein, ich habe noch nie eine E-Ziga-
rett e ausprobiert.Ich bin und bleibeein
Zigarrenraucher.


Aber könnten Sie sich vorstellen,in Ihrer
Firma eine E-Zigarre zu entwickeln?

Es gibt in den USA bereits ein solches
Produkt.Aber ehrlich gesagt: Ich glaube
nicht,dass sich Zigarrenraucher davon
angesprochen fühlen.


Was macht denn den Zigarrenliebhaber
aus?Wodurch unterscheidet er sich vom
Zigarettenraucher?

Einen Genuss zu beschreiben, istre-
lativ schwierig.MeineFrau trinkt nur
Rotwein, ich nurWeisswein. Aber wes-
halb ihr derRotwein besser schmeckt,
weiss ich auch nicht. Es ist Geschmacks-
sache.Aber lassen Sie es mich so sa-
gen: Zigarrenliebhaber sindPersönlich-
keiten – schauen Sie sich nurWinston
Churchill oder Gerhard Schröder an.
Es waren stets die Eliten, die Zigarren
geraucht haben.Das zeigt sich auch im
Preis der Produkte. Eine gute Zigarre
kostet schnell 25Franken oder mehr.
Die Zigarette ist dagegen ein Massen-
produkt. Die beiden Märkte sind funda-
mental verschieden.


Sie grenzen sich ab. Sind Sie besorgt,
dass die Zigarettenindustrie die Zigar-
renhersteller mit in den Abgrund zieht?

Wenn die Zigarett e nicht aufgekommen
wäre, gäbe es wahrscheinlichkeine Ge-
sundheitsprobleme, oder sie wären viel
geringer. Die Zigarette ist ein billiges
Massenprodukt, das zudem inhaliert
wird.DerSiegeszug der Zigarette hat
den Tabak inVerruf gebracht und den
Genussbegriff verändert.


Aber auch Zigarren können Krebs aus-
lösen.

Ja, aber die Gefahr ist viel kleiner. Ich bin
bald 90Jahre alt und habe während mehr
als 60Jahren jedenTag Zigarren geraucht.
Heute etwas weniger als früher. Es ist wie
bei anderen Dingen: Der eine verträgtes,
der andere nicht.Schauen Sie sich an,wel-
che Schäden der Alkohol anrichtet – und
trotzdem hat es sich die WHO nicht zum
Ziel gesetzt,den Alkoholkonsum zu eli-
minieren. Wir trinken selbstverständlich
weiterhinWein und Schnaps, obwohl wir
wissen, welcheFolgen dasTrinken von
Alkohol haben kann.Tabak aber wird
verteufelt. DieWinzer dagegen machen
in Vevey ein Riesenfest mit einer halben
Million Zuschauern, das erst noch vom
Fernsehen übertragen wird. DerWeinge-
nuss wird öffentlich zelebriert, während
die Zigarrenliebhaber unter dem Ein-
fluss der Anti-Tabak-Kampagnen unter
sich bleiben müssen.


Sie verlangen, dassweisser und brauner
Tabak von derPolitik differenziert be-
handeltwerden.

Die alles entscheidendeFrage lautet:
Wo beginnt die Sucht, und wo hört der
Genuss auf? Die meisten Zigarett en-
raucher sindaufgrund ihresKonsumver-
haltens stark süchtig. Sie nehmen das Ni-
kotin über die Lunge auf. Der Zigarren-
raucher inhaliert nicht, weil derRauch
im Hals kratzt. Er nimmt das Nikotin
über die Schleimhäute auf.Ich kenne
keinen Zigarrenraucher, der süchtig ist.


HeinrichVilligerraucht seit 60JahrenjedenTagZigarren: «Der eine verträgt es,der anderenicht.» JOËLHUNN/ NZZ

«Die alles
entscheidende Frage
lautet:Wo beginnt
die Sucht, und wo
hört der Genuss auf?»
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