Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

Freitag, 13. September 2019 WIRTSCHAFT 23


Die Chinesen hadern mit dem angestiegenen Preis


für Schweinefleisch SEITE 25


Ein EU-Austritt ohne Vertrag mit Brüssel


hat für Grossbritann ien schwerwiegende FolgenSEITE 26, 27


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Die 120-Millia rden-Frage

Der Ständerat will den Steuerabzug für die Säule 3a ausbauen – doch dieser subventioniert grösstenteils die «Falschen»


HANSUELI SCHÖCHLI


Wie ein Steuersystem aussehen sollte,
weiss man in derTheorie: möglichst
breite Steuerbasis, möglichst tiefe
Steuersätze. Dies würde volkswirt-
schaftliche Verschwendungen auf-
grund vonFehlanreizen klein halten –
einschliesslich denBedarf für teure
Steuerberater. Doch im wirklichen
Lebenregiert diePolitik, undPolitiker
lieben Steuervergünstigungen:Damit
können sie ihre Klientele bedienen,
und dieKosten sind so diffus verteilt,
dass sie vonden Opfern kaum bemerkt
werden. Gäbe es bei der Einkommens-
steuer für natürlichePersonen über-
hauptkeine Abzüge, könnte derFiskus
ohne Einnahmeneinbussen die Steuer-
sätze etwa um die Hälfte oder noch
mehrreduzieren.
Das heisstnicht, dass man gleich
alleSteuerabzüge abschaffen sollte,
aber es heisst, dass Steuerabzüge oft
weit schlechter sind als ihrRuf. Ein
treffendes Beispiel dafür liefertder
Steuerabzug für Einzahlungen von Er-
werbstätigen in die privateVorsorge
(Säule 3a). Heuer liegt dasMaximum
der Abzugsfähigkeit für Einzahlun-
gen in die Säule 3a bei 6826Fr. für Er-
werbstätige mit Pensionskasse und
34 128Fr. für Erwerbstätige ohne be-
ruflicheVorsorge.


Mehr gespart alsinve stiert


Der Ständerat hat am Donnerstag be-
schlossen, dass dieser Steuerabzug noch
ausgebaut werdensoll. Er nahm mit 20
zu 13 Stimmen bei einer Enthaltung
gegen denWillen des Bundesrats eine
Motion des Obwaldner CVP-Ständerats
Erich Ettlin an.Wer in früherenJahren
nicht den Maximalabzug geltend ge-
macht hat,soll dies laut demVorstoss
noch nachholenkönnen – inForm von
Einkäufen, wie sie beiPensionskassen
schon möglich sind. Dies soll laut Ett-
lin jenenPersonen helfen, die in jünge-
ren Jahren mangelsFinanzmitteln oder
wegen anderer Prioritäten die Mög-
lichkeit des steuerbegünstigten Privat-
sparens nicht voll ausgenutzt hatten.
Sozialminister Alain Berset kriti-
sierte vergeblich,dass dieserAusbau vor
allem Steuerplanungsmöglichkeiten für
Gutverdiener biete. Besonders auffällig
war, dass die meisten anwesenden FDP-
Ständeräte demAusbau dieses Steuer-
abzugs zustimmten;die FDP hatte in der


Sonntagsschule schon wiederholt mit-
tels Vorstösseneine Vereinfachungdes
Steuersystems gefordert.Aber imTages-
geschäft ist die Sonntagsschule schnell
ve rgessen. Stimmt auch der Nationalrat
derAusbaumotion zu, mussder Bundes-
rat einekonkreteVorlage bringen.
Der Vorstoss ruft nach der grund-
sätzlichenFrage zum Sinn des Steuer-
abzugs für Einzahlungen in die Säule
3a. «Sparförderung» klingt zwar gut.
Aber eine solche Subvention ist nur
zu rechtfertigen, wenn die gesellschaft-
lichenVorteile höher sind als dieKos-
ten. Das staatlich befohlene Sparen
via AHV undPensionskasse ist bereits
umfangreich.Aus volkswirtschaftlicher
Sicht lässt sich nicht sagen, dass die
Sparquote der Schweizohne Steuer-
vergünstigung für das Privatsparen
«zu tief» wäre. Im internationalenVer-
gleich istdie helvetische Sparquote
hoch, undJahr fürJahr wird hierzu-
lande mehr gespart als investiert –
weshalb die Schweiz hohe Ertrags-
bilanzüberschüsse ausweist.

Immerhin liesse sich aus Sicht des
Sozialstaats etwa folgendeRechtferti-
gung zimmern: «Die Bürger denken zu
kurzfristig und sparen deshalb zu wenig,
weshalb einige später dem Sozialstaat
zur Last fallen. Eine staatlicheFörde-
rung des Privatsparens könnte deshalb
später Sozialkostensenken.» Theore-
tisch ist ein solcher Effekt möglich. Ob
er praktisch stark ins Gewicht fällt, ist
eine ganz andereFrage.

Giesskanne statt Zielfernrohr


Was sicher ins Gewicht fällt, ist das ge-
samte Sparvolumen in der Säule 3a.Laut
Nationalbank-Daten belief sich dieses
Ende 2017 auf rund 120 Mrd.Fr.Daten
der Eidgenössischen Steuerverwal-
tung zeigen allerdings, dass ausgerech-
net jene, die es vielleicht am «nötigsten»
hätten, das Angebotdes steuerbegüns-
tigten Privatsparens am wenigsten nut-
zen. Die unteren Einkommensklassen
zahlen insgesamt nur wenig in die Säule
3a ein – was naheliegt, daWenigverdie-

ner sich solche Einzahlungen weniger
leistenkönnen als Grossverdiener. Im
Jahr 2015 beanspruchten nur 13% der
Steuerpflichtigen den Maximalabzug.
Gut 30% der Steuerpflichtigen machten
im Stichjahreine abzugsfähige Einzah-
lung in die Säule3a.Auf die untereEin-
kommenshälfte entfiel dabei nur etwa
ein Sechstel der deklarierten Einzah-
lungsvolumen.
In absoluten Zahlen ist zudem die
Steuerersparnis pro einbezahltenFran-
ken bei den Gutverdienern wegen der
Steuerprogression deutlich höher als
bei denTiefverdienern. Gemessen an
der prozentualen Steuerersparnis pro-
fitierten laut einer Analyse von älteren
Daten (für 2005) tendenziell die steuer-
baren Einkommen zwischen 70000 und
150000 Fr. am s tärksten. Gemessen an
der prozentualen Steuerersparnis pro-
fitierte damit, grob gesagt, am meisten
das oberste Einkommensviertel ohne
die bestverdienenden 5%.
Das Instrument der Steuervergünsti-
gung der Säule 3a ist damit noch weniger

zielgerichtet als eine klassische Giess-
kanne. Zudemkommt ein erheblicher
Teil der Steuervergünstigung nicht den
betroffenen Steuerpflichtigen zugute,
sondern demFinanzsektor.Wegen der
Steuerersparnis stellen die Anleger den
Anbietern von Säule-3a-Lösungen lang-
fris tig Geld günstiger zurVerfügung, als
sie es sonst täten. Beim derzeit tiefen
Zinsniveau dürfte dies weniger ins Ge-
wicht fallen als vor zehnJahren. Beson-
ders interessant für dieFinanzanbieter
sind die Einzahlungen in Säule-3a-An-
lagefonds, die dem Anbieter jährliche
Gebühren von typischerweise 0,6%
bis über 1,5% einbringenkönnen. So
ist eskein Wunder, dass die imVerein
Vorsorge Schweiz organisierten Anbie-
ter von Säule-3a-Produkten den vorge-
schlagenenAusbau des Instruments be-
grüssen.

VersteckteKosten


Im Übrigen ist zu fragen, ob die steuer-
licheFörderung des Privatsparens über-
haupt eine wesentliche Zunahme der
Sparvolumen bringt oder vor allem zu
einer Umleitung von nichtbegünstigten
in begünstigteVehikel führt.Dies ist seit
Jahrzehnten ein Gegenstand der inter-
nationalenForschungsliteratur.
Das Bild ist nicht einheitlich, doch
die Tendenz ist deutlich: Ein erheb-
licherTeil der Sparvolumen in steuer-
begünstigtenVehikeln ist von nichtbe-
günstigtenVehikeln umgeleitet. Ein Be-
richt des globalenLändervereins OECD
nannte 2018 aufgrund einerAnalyse der
internationalenForschungsliteratur als
«vernünftige» Schätzung, dass etwa zwei
Drittel bis dreiViertel des Sparvolu-
mens in steuerbegünstigtenVehikeln
keine «neuen» Spargelder sind.
Das Gesamtbild ist somit ernüch-
ternd: Der gesellschaftliche Nutzen der
Subvention für Einzahlungen in die
Säule 3a ist bestenfalls minim.Und über
die Kosten ist damit noch nichts gesagt.
Die Einnahmeneinbussen fürden Fiskus
als Folge des Steuerabzugs sind zukom-
pen sieren durch Einsparungen oder die
Erhöhung anderer Steuern. Die Zeche
zahlt vermutlich vor allem der «Mittel-
stand» – der laut den Befürwortern am
meisten vom Säule-3a-Abzug profitie-
ren soll. Doch wer am Ende in welcher
Form wie viel derKosten dieses Abzugs
zahlt, lässt sich nicht direkt nachvollzie-
hen. Darum sind solche Steuerabzüge
für Politiker so attraktiv..

Die EZB will die Schmerzen der Banken lindern


Die Europäische Zentralban k führt einen Staffelzins ein, um die Folgen der Negativzinsen abzufedern


MIC HAEL RASCH, FRANKFURT


Mario Draghi hat gegen denWiderstand
einer grösseren Minderheit imRat der
Europäischen Zentralbank (EZB) ein
breites Massnahmenprogramm zur Sti-
mulierung derKonjunktur und der In-
flation im Euro-Raum durchgesetzt.
Damit gestaltet der EZB-Präsident das
ohnehin schon ultra-lockere monetäre
Umfeld noch expansiver. Zu den ver-
schiedenen Massnahmen gehören die
Senkung des Einlagensatzes fürBanken
von –0,4% auf –0,5% sowie dieWieder-
aufnahme derWertpapierkäufe.


SchweizerVorbild


DieVerschärfung des Negativzinses, der
auch als Strafzins fürBanken bezeichnet
wird, sorgt nicht nur für steigendeKos-
ten bei denBanken, sondern auch für
grossen Unmut bei den Kreditinstituten


und ihrenKunden.Deshalb hat die EZB
zwei Massnahmen beschlossen, um die
Folgen der Negativzinsen abzufedern.
Zum einen führt sie Staffelzinsen ein,
indem dieBanken grössereFreibeträge

erhalten, auf die siekeine Strafzinsen
zahlen müssen. Zum anderen verändert
sie dieModalitäten für die bereits früher
beschlossenen subventionierten lang-
fristigen Kredite fürBanken (TLTRO
III).Bei den Staffelzinsen haben sich die
Notenbanker für das Schweizer Modell
entschieden, das einen Mittelweg im
Vergleich zum dänischen Modell und
zum japanischen Modell darstellt.

Wie in der Schweiz will sich die EZB
bei derFestsetzung derFreibeträge an
der Mindestreserve des jeweiligen Insti-
tuts orientieren.DerFreibetrag wird be-
stimmtals einVielfaches der Mindest-
reserve-Anforderungen einerBank.Die
EZB will die Freibeträge zudem so fest-
legen, dass die Geldmarktzinssätze im
Euro-Raum durch sie nicht übermässig
beeinflusst werden.In der Schweizbe-
tragen dieFreibeträge vereinfachtge-
sagt das zwanzigfache der Mindest-
reserve, mindestens aber 10 Mio. Fr.

KontraproduktiveWirkung


Laut Beobachtern profitieren von einer
Staffelung der Zinsen vor allem dieLän-
de r,derenBankendiehöchstenNegativ-
zinsenandieNotenbankzahlen.Dassind
Deutschland,FrankreichunddieNieder-
lande.Wollemanhingegenvorallemden
notleidenden Instituten in Südeuropa

helfen, müsse die EZB die Modalitäten
der subventioniertenLangfristigkredite
ändern.DashatdieNotenbankamDon-
nerstagebenfallsgetan.DieBankenkön-
nen sich nun das Geld zum durchschnitt-
lichen Zuteilungsatz im Hauptrefinan-
zierungsgeschäftleihen.DerZinssatzgilt
dann für die gesamteLaufzeit. Letztlich
be kommenBanken somit längerfristig
Geld mindestens zum Nulltarif. Zudem
wurde dieLaufzeit der Kredite von zwei
auf dreiJahre verlängert.
BetroffeneBanken kritisieren, dass
die Staffelzinsen zwar die direktenAus-
wirkungenderNegativzinsenetwasmini-
mieren, dass die indirekten Belastungen
durch die expansive Geldpolitik für Kre-
ditinstitute jedoch erheblich grösser wür-
den. Beobachter wenden ein, der Staffel-
zins schwäche die erhoffte geldpolitische
Wirkung ab und sei daherkontraproduk-
tiv. Für Banken würden nämlich die An-
reize zur Kreditvergabe vermindert.

Die unteren Einkommensklassenwürden nicht vom Steuerabzug profitieren–sie zahlenwenig in die Säule 3a ein. C. RUCKSTUHL / NZZ

Die Medizin der EZB
ist zum Gift geworden
Kommentar auf Seite 11

WirhaltenWort.
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