Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

Freitag, 13.September 2019 WIRTSCHAFT 25


Der Preis für Schweinefleisch steigt rasant –


Chinas Regierung ist beunruhigt


Das Afrikanische Schweinefieber hat den Nutzierbesta nd stark dezimiert – Peking versucht, das Volk zu beruhigen


MATTHIAS MÜLLER, PEKING


In den vergangenenWochen haben
Meldungen über die Proteste in Hong-
kong und den Handelskonflikt mit den
Vereinigten Staaten Chinas Medien
dominiert. SeitTagen bewegt jedoch
ein anderesThema die Chinesen, weil
es sie direkt betrifft und es sich in ihrem
Portemonnaie bemerkbar macht:Das
asiatischeLand bekommt das Afri-
kanische Schweinefieber nicht in den
Griff. Der Bestand an Schweinen sinkt
kräftig,was sich in stark gestiegenen
Preisen spiegelt:Laut den Zahlen des
Landwirtschaftsministeriums aus sech-
zehn Provinzen betrug EndeAugust
der Preis für ein Kilogramm Schweine-
fleischYuan (Y) 35.63; gegenüber der
Vorwoche entsprach dies einem Zu-
wachs von mehr als 9%, imVergleich
mit derVorjahresperiodehatte der
Preis gar um 92,3% zugelegt.


China suchtdie Muttersau


Chinas Machthaber verfolgen die Ent-
wicklung mit Argusaugen. Schweine-
fleisch ist aus der chinesischenKüche
nicht wegzudenken, und in denkom-
menden Monaten werden wichtigeFeste
in China gefeiert,bei denen esannichts
fehlen sollte. Den Anfang derFestlich-
keiten macht an diesemFreitag das
Mittherbstfest,bevor dieVolksrepublik
am1. Oktober ihren 70. Geburtstag fei-
ert. Und alle Anzeichen deuten darauf
hin, dass der Preis für Schweinefleisch
erst AnfangkommendenJahres seinen


Höhepunkt erreicht haben wird. Dieser
Umstand würde den Chinesen ihr nach
dem Mondkalender berechnetes Neu-
jahrsfest, das 2020 EndeJanuar gefeiert
wird, vermiesen.
Der für das Dossier verantwortliche
stellvertretende chinesischeRegierungs-
chef Hu Chunhua verhält sich so aktio-
nistisch, wie esPolitiker weltweit eben-
falls machen würden. Erreist durchs
Land, besichtigt landwirtschaftliche Be-
triebe sowie Schlachthöfe, hält anschei-
nend wichtige Reden und gibtRat-


schläge. Hu ist nervös. In einem inter-
nen Dokument, das von der in Hong-
kong beheimatetenTageszeitung «South
China MorningPost» publiziert wor-
den ist, wird Hu mit denWorten zitiert,
durch die steigenden Schweinepreise
werde das Ansehen derPartei und des
Staates geschädigt.
Das Virus ist zwar für Menschen
nicht gefährlich, für Haus- undWild-
schweine stellt es jedoch eine grosse
Gefahr dar. Es verbreitet sich unter den
Tierenrasend schnell und kann durch
direktenKontakt der Schweine unter-
einander, durch infizierte Kleidungsstü-
ckeund Schuhe der auf den Höfen Be-
schäftigten oder durch Geräte übertra-
gen werden. Gegen den Erreger gibtes
nochkeinen Impfstoff. Die erkrankten
Tierekönnen auch nicht behandelt wer-
den und sterben in fast hundert Prozent
derFälle nach der Infizierung innerhalb
von zwei bis zehnTagen.

Wieviele Schweine seit dem offiziel-
lenAusbruch des Afrikanischen Schwei-
nefiebers vor etwas mehr als einemJahr
gekeult worden sind, ist unbekannt. Die
Branche ist wegen einerVielzahl klei-
ner Betriebe nur schwer zu erfassen,
weshalb es auch schwierig ist, dasVirus
unterKontrolle zu bringen.Der ame-
rikanische USDAForeign Agricultural
Service prognostiziert, dass der Bestand
an Schweinenzwischen 20 18 und 2020
um 23% vonannähernd 44 2 Mio. auf
etwas mehrals 340Mio.Tierezurück-
gehen wird. Und eine kurzfristige Bes-
serung ist nicht in Sicht.Laut Schätzun-
gen wird in dem Zeitraum der Bestand
an Muttersauen gar um rund 40% auf 26
Mio. schrumpfen.
ChinasRegierung ist, wie dieWorte
Hus zeigen, alarmiert und will nun di-
verse Massnahmen ergreifen, um den
Druck auf den Schweinepreis zu lin-
dern und dieLandsleute wieder gnädig

zu stimmen. Sie handelt jedoch inkon-
sistent. Seit 20 16 geht sie aus Umwelt-
schutz- sowie Effizienzgründen gegen
kleine Betriebe vor, die Schweinezucht
betreiben. Mehr als 150000 sollen seit-
dem geschlossen worden sein.In der
Not erfolgt nun jedoch dieKehrtwende.
Regierungschef LiKeqiang hat die
Lokalregierungen aufgefordert, die Be-
seitigung der Kleinbetriebe zu stoppen
und bestehendeRestriktionen kleine-
rer landwirtschaftlicher Zuchtbetriebe
in den ländlichenRegionen aufzuheben.
Dass daraus Anreize für mittelständi-
sche Produzenten entstehen, ist jedoch
zu bezweifeln. Sie werden derRegie-
rung nach den vor dreiJahren begon-
nenen Schliessungen nicht mehr trauen.
Zudem heisst es in den Dokumenten
derRegierung auch, dass bis 2025 der
Anteildergrossen Schweinefarmen auf
65% ansteigen soll. Allerdings bleibt
unklar,was Chinas Regierung unter

«gross» versteht.Zahlen des niederlän-
dischenFinanzinstitutsRabobank zei-
gen, wie kleinteilig der Sektor ist. 20 16
hatten nur18% der Betriebe mehr als
10000 Schweine.

Brasilienals Profiteur


Zudem greifen die Provinzregierungen
inzwischen auf ihre eisernenReserven
an Schweinefleisch zurück. Mit gutem
Beispiel gingdie Hauptstadt derPro-
vinz Guangdong, Guangzhou, voran.
Sie gab 16 t aus ihrem Bestand an ge-
frorenem Schweinefleisch frei. Die-
ses ging anRestaurants, Schulen so-
wie Supermärkte und wurde 10% unter
dem Marktpreis verkauft.Darüber hin-
aus hat die Zentralregierung inPeking
versichert, dass man einen Mechanis-
mus erarbeiten wolle, durch den soziale
Unterstützung an steigende Schweine-
preise gekoppelt sein soll.
Die Nationale Entwicklungs- und
Reformkommission hat auch jenen
Landwirten mit Schweinebestand Sub-
ventionen von bis zu5Mio.Yver-
sprochen, die ihren Betrieb wieder-
aufbauen oder erweitern und ihren
Standort aus jenen Gebieten verlagern
wollen, woderzeit wegen des Afrikani-
schen Schweinefiebers Züchtung ver-
boten ist. Und bis EndeJunikommen-
denJahres müssen mit Schweinen be-
ladene LastwagenkeineAutobahn-
gebühren mehr zahlen.
Linderung soll auch der Import von
Schweinefleisch bringen. Das deutsche
Boulevardmedium «Bild» hatte bereits
im April in tendenziöser Manier ge-
titelt:«Brutzel-Sommer in Gefahr –Chi-
nesen kaufen unser Grillfleisch weg».
Von Januar bisJuli stieg die von China
importierte Menge an Schweinefleisch
auch um 36% an. Allerdings beläuft
sie sich auf insgesamt gerade einmal
1Mio.t, was inRelation zumKonsum
der Chinesen eine zu vernachlässigende
Grösse darstellt. In der Vergangen-
heit habe der Anteil des importierten
Schweinefleisches imVerhältniszur chi-
nesischen Produktion maximal 2% be-
tragen, sagte jüngst der stellvertretende
LandwirtschaftsministerYuKangzhen.
Die Ängste der «Bild» vor kaufwüti-
gen Chinesen wurden jedoch nicht be-
stätigt.Vor allem der Import von brasi-
lianischem Schweinefleisch zog in die-
semJahr kräftig an.Laut den Amerika-
nern des USDAForeign Agricultural
Service gingen dagegen in den ersten
vier Monaten des laufendenJahres die
Einfuhren von deutschem Schweine-
fleisch um 6% gegenüber derVorjahres-
periode zurück. Dabei war Deutschland
bisher der traditionell wichtigste auslän-
dische Lieferant für China.

Bankiervereinigung fordert Abkehr von Negativzinsen


Der Verband der Schweizer Banken ist um die hiesige Wirtschaft besorgt – er verlangt von der Nationalba nk Gegensteuer


ERMESGALLAROTTI


Für einmal hat die stets umKon-
sens und Einigkeit bemühte Schwei-
zerischeBankiervereinigung (SBVg),
derVerband der SchweizerBanken,
harsche Kritik an den Negativzinsen
und damit indirekt an der Geldpoli-
tik der Nationalbankgeübt. In einer
Rede am SchweizerBankiertag warnte
SBVg-PräsidentHerbert Scheidt vor
strukturellen SchädenfürdieWirt-
schaft, solltelängerfristigkeine Ab-
kehr vom Negativzinsumfeld erfolgen.
Denn aus der Sicht der SBVg be-
lasten die Negativzinsen zusehends
die Ertragslage der Banken. Der
Zinserfolg,die gewichtigsteErtrags-
quelle von inlandorientierten Insti-
tuten wieRegional- oderKantonal-
banken,kommt unter Druck. Um der
Margenerosion entgegenzuwirken und


das Ertragsniveau zu verteidigen, wei-
ten dieBanken ihr Kreditvolumen aus,
was zu Überhitzungssymptomen im
Immobilienmarkt führt und derSys-
temstabilität abträglich ist.
Um solchenSymptomen entgegen-
zuwirken,werdenregulatorischeVor-
kehrungen nötig, die ihrerseits auf die
Ertragslage derBanken durchschla-
gen. Beispielhaft dafür ist die un-
längst beschlosseneVerschärfung der
Anforderungen an Hypothekarkredite
für sogenannteRenditeliegenschaften.
Dass die neuen Bestimmungen unter
demDach der SBVg auf demWeg der
Selbstregulierung eingeführt wurden,
ist einschwacherTr ost – auch Selbst-
regulierungistRegulierung.
Negativzinsen fördern nicht nur das
Volumenwachstum im Kreditgeschäft,
sondern schlagen auch direkt auf das
Zinsergebnis und damit auf die Pro-

fitabilitätdurch. Die SBVg schätzt,
dass die SchweizerBankenjährlich
rund2Mrd.Fr.an Negativzinsen an
die SNB abliefern, was rund 5% des
aggregierten Brutto-Zinserfolgs und
rund 9% des umWertberichtigun-
gen und Abschreibungen bereinigten
Netto-Zinsergebnisses entspräche. Das
sind alles andere als vernachlässigbare
Nebenwirkungen.
Hinzukommt, dass Negativzinsen
ihre stimulierendeWirkung zu verlie-
ren drohen, wenn ein kritisches Niveau
unterschritten wird. Ist dies derFall,
greiftVerunsicherung um sich, und
Unternehmen verzichten aus Risiko-
überlegungen darauf, niedrige Zinsen
als Gelegenheit für Investitionen zu
begreifen. Damit schaden Negativ-
zinsen ab einemgewissen Punkt der
Wirtschaft mehr, als sie ihr Nutzen stif-
ten. Dies unter anderem auch, weil sie

den Marktaustritt unrentablerFirmen
unnötig hinauszögern.
Und schliesslich belasten Nega-
tivzinsen nicht nur Unternehmen,
sondern verunsichern auch Sparer
und machen esPensionskassen und
Lebensversicherungen schwer, ihre
vertraglich vereinbarten Verpflich-
tungen zu erfüllen.Vor diesem Hin-
tergrundrät SBVg-Präsident Herbert
Scheidt, sonst eher ein verbalerVer-
packungskünstler, für einmal dezidiert
davon ab,die bereits negativen Zin-
sen nochmals zu senken.
Die SNB hat vielVerständnis für
diese Argumentation und bestreitet
nicht,dass Negativzinsen unliebsame
Nebenwirkungen entfalten können.
Sie gibtallerdings zu bedenken, dass
der Abwärtstrend der Zinsen bereits
vor einemVierteljahrhundert weltweit
eingesetzt hat. Das Zinsniveau wäre,

wie SNB-PräsidentThomasJordan im
April in einerRede festhielt, im gegen-
wärtigen Umfeld auch ohne Negativ-
zinsen niedrig und zeitigte die erwähn-
ten Nebenwirkungen.
In einem Gedankenexperiment
kommt Jordan in derselben Rede
zum Schluss, dass eine Aufhebung
der Negativzinsen derSchweizerWirt-
schaft heftig zusetzen würde. Dem-
nach würde ein zur Stärke neigen-
derFranken dieWirtschaftsdynamik
bremsen, zu mehr Arbeitslosigkeit füh-
ren und deflationäreEntwicklungen
begünstigen.Das würde die Unter-
nehmensgewinne schmälern und da-
mit die Aktienkurse belasten. Unter
dem Strich wäre,so die Schlussfolge-
rung, dieLage von Sparern,Pensions-
kassen, Lebensversicherungen und
Banken heute kaum wesentlich bes-
ser,als dies derzeit derFall ist.

NZZ Visuals/efl.

Geflügel Schwein Rind Schaf

QUELLEN: OECD, USDA FOREIGN AGRICULTURAL SERVICE, MINISTRY OF AGRICULTURE AND RURAL AFFAIRS

Schweinefleisch ist aus derchinesischen Küche nichtwegzudenken


Viele Kilogramm Fleisch pro Jahr
Fleischkonsum, 2018, in Kilogramm pro Kopf

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2014 15 16 17 18 19

Schweinefleisch wird in China immer teurer
Preis in Yuan pro Kilogramm

Nirgends wird so viel Schwein konsumiert wie in China
Konsum von Schweinefleisch, Prognose für 2019, in Mio. t

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USA China OECD EU-28 Welt

China EU USA Russland Brasilien

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DasVirus ist zwar
für Menschen nicht
gefährlich, für Haus-
undWildschweine
stellt es jedoch eine
grosse Gefahr dar.
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