Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

28 WIRTSCHAFT Freitag, 13. September 2019


Auf Georgiewa wartet ein Problemberg


Die Bulgarin wird voraussichtlich am4. Oktober neueChefin des Internationalen Währungsfonds(IMF)


ChristineLagarde tritt ab,


Kristalina Georgiewa ist auf der


Zielgeraden. Die neue


Geschäftsführerin des


Währungsfonds wird sich mit


einer schwachenWeltwirtschaft


und dem Krisenland Argentinien


herumschlagen müssen.


MARTIN LANZ,WASHINGTON


Am Donnerstag hatte ChristineLagarde
ihren letzten Arbeitstag als Geschäfts-
führerin des InternationalenWährungs-
fonds (IMF). Bei ihrem nächsten Be-
tät igungsfeld, der Europäischen Zen-
tralbank, warten bereits schwierige
Entscheidungen auf sie.Aber auch ihre
voraussichtliche Nachfolgerin beim IMF
hat es nicht leicht.Lagarde hinterlässt
der Bulgarin Kristalina Georgiewa ei-
nige Baustellen und eineWeltwirtschaft
in fragilem Zustand.
Der IMF-Sprecher Gerry Rice
sagte am Donnerstag vor der Presse,
dass Georgiewa als einzige Kandidatin
nächsteWoche vom IMF-Exekutivrat
angehört und die NachfolgeLagardes
spätestensam 4. Oktober definitiv fest-
stehen werde. Die neue IMF-Chefin
wird sich dann an derJahrestagung von
IMF undWeltbank inWashington Mitte
Oktober denFinanzministern und den
Zentralbankchefs aus allerWelt und der
Öffentlichkeit präsentieren.


KeineRezession, aber...


Georgiewa wird ihr Amt zu einem heik-
len Zeitpunkt antreten. Die IMF-Öko-
nomen erarbeiten derzeit ihre neusten
Wachstumsprognosen. Rice schickte an
der Medienkonferenz voraus, dass man
im Basisszenario nach wie vor nicht von
ein er Rezession ausgehe. Die Verlang-
samung desglobale nWirtschaftswachs-
tums, die Schwierigkeiten des Industrie-
sektors und die negativenAuswirkun-
gen der protektionistischen Handels-
politik seien aber nicht zu ignorieren.
Die OECD veröffentlichte am Don-
nerstagDaten, wonach sich in der G-20,
der Gruppe der wichtigsten Industrie-
und Schwellenländer, das Wirtschafts-
wachstum im zweiten Quartal 20 19
auf 0,7% abgeschwächt hat. Rück-
gänge waren dabei in Grossbritannien
und Deutschland festzustellen,während
sich Verlangsamungen in derTürkei,
Indien, den USA,Japan, Italien und in
der EU als Block zeigten. Bescheidene
bi s grössereWachstumsbeschleunigun-


ge n gab es dagegen in Südafrika, Süd-
kore a, Brasilien und Mexiko (in allen
vier Ländern nach Schrumpfungen im
ersten Quartal 2019) sowie in Kanada,
China und Indonesien.
Nochkeine neuenDaten liegen für
Argentinien vor, das derzeit das grösste
IMF-Sorgenkind ist. Allerdings ist klar,
dass sich im südamerikanischenLand
die Rezession noch weiter verschärfen
wird.Der IMF-Sprecher Rice wollte sich
nicht dazu äussern, wie es mit dem be-
reits einmal aufgestockten IMF-Kredit
weitergehenkönnte.Auchzur jüngsten
Verschärfung der Kapitalkontrollen zur
Stabilisierung derLandeswährungPeso
durch die argentinischen Behörden
nahm derWährungsfondskeine Stel-
lung. Man verwies lediglich auf einen
noch für diesen Monat erwarteten Be-
such vonFinanzminister HernánLa-
cunza inWashington, bei dem das wei-
tereVorgehen beraten wird.
Im Rahmen des gegenwärtigen Bei-
standskredits hat derWährungsfonds
bereits mehr als 44 Mrd. $ an Argenti-
nien überwiesen.Eigentlich wären dem-
nächst eine neuerliche Überprüfung des

Wirtschaftsprogramms und eine weitere
Kredittranche von mehr als5Mrd.$fäl-
lig. Da Argentinien dieKonditionen für
eine Auszahlung aber kaum erfüllt und
die politische Unsicherheit gross ist,
verzögert sich der Prozess. Gemeinhin
wirderwartet, dass der IMF dieWahlen
in A rgentinien von Ende Oktober ab-
zuwarten versucht, um mit der neuen
Regierung ein neuesReformprogramm
auszuhandeln.

Notorische Problemländer


Unter dem seit Juni 2018 laufen-
den IMF-Programm wurden insge-
samt 40,7 Mrd. Sonderziehungsrechte
(über 55 Mrd. $) bereitgestellt. Es ist
der grösste Kredit in der Geschichte
des Währungsfonds, der für die Insti-
tution und ihre Geldgeber erhebliche
finanzielle undReputationsrisiken birgt.
Es wird an der neuen IMF-Chefin sein,
diese Risiken zu begrenzen und Argen-
tinien wieder auf die Beine zu helfen.
Rice meinte, der IMF bleibe voll enga-
giert inArgentinien und sei dialogbereit.
Gleichzeitig versuchte er, die Institution

in Schutz zu nehmen. Man habe immer
darauf hingewiesen, dass die Risiken
hoch seien.Vorwürfe, dass dieRegeln
gebogen worden seien, um den Kredit
zu gewähren, wies Rice zurück.
Die IMF-Ökonomen sind insofern
in Schutz zu nehmen, als aus geopoliti-
schen Gründen die Unterstützung der
argentinischen Macri-Regierung nie in-
frage stand. Die Nähe derFamilieTrump
zur Familie Macri tat ein Übriges dazu,
dass derWährungsfonds gegenüber dem
südamerikanischenLand einmal mehr
Nachsicht walten liess und einen gross-
zügigen Kredit sprach.
Neben Argentinien werden Krista-
lin a Georgiewa auch die notorischen
ProblemländerPakistan und Ukraine
beschäftigen. Inhaltlich wird sich die
Umweltökonomin und langjährigeWelt-
bank-Funktionärin aus Bulgarien fest-
legen müssen, wie sie sich zumThema
Handelskrieg positioniert. ChristineLa-
garde hat sich als Protektionismus-Geg-
nerinrecht stark exponiert, ohne den
Groll von DonaldTrump auf sich zu
ziehen. Georgiewa dürfte dem Beispiel
ihrerVorgängerin folgen wollen.

Die voraussichtliche Direktorin des IMF,Kristalina Georgiewa, wirdihr Amt zu einemheiklenZeitpunkt antreten. G. FUENTES / REUTERS

Der erste private Mondtourist verkauft seine Firma


Yahoo Japan will Amazonherausfordern und die Mehrheit amOnline-Modevertrieb Zozo kaufen


MARTINKÖLLING,TOKIO


Er will als erster Privatmann mit Elon
MusksFirma SpaceX zum Mond fliegen.
Doch im eigenen Berufsleben istYusaku
Maezawa hart gelandet. Seine Gründung
Zozo, ein globaler Online-Modevertrieb,
hatte zuletzt herbeRückschläge erlit-
ten.Am Donnerstag betätigte der exzen-
trische japanische Milliardär nun den
Schleudersitz.
«Ich werde Zozo einem neuen Prä-
sidenten anvertrauen und meinen eige-
nen Weg gehen», kündigte Maezawa
überraschend überTwitter an. Und er
gibt nicht nur dieFührung auf, sondern
auch seinen Einfluss. Er verkauft einen
Grossteil der Aktien der von ihm ge-
gründetenFirma an das führende japa-
nische OnlineportalYahoo Japan, ein
Unternehmen der Softbank-Gruppe.
Sein Anteil sinkt dabei von 37% auf
noch etwas über 6%.
De facto fädeln Maezawa und die Ein-
hei t desTechnikinvestors Softbank eine
der grössten innerjapanischen Übernah-
men der jüngeren Geschichte ein.Immer-
hin 400,7 Mrd.Yen (3,7 Mrd.Fr.) will
Yahoo Japan für rund 50,1% der Unter-


nehmensanteile ausgeben.Für die Über-
nahme ist das Onlineportal sogar bereit,
eine Prämie von 21% über den früheren
Aktienpreis von Zozo zu zahlen.
Auf den ersten Blick hat der Deal nur
Gewinner.Allen voran Maezawa, der
ein Studium gegen eine amerikanische

Rockband und dann die Gründung seines
Startups eintauschte.Der verschwenderi-
sche Milliardär, der 109 Mio. Fr. für Kunst
und einen von Hermès aufgepolsterten
Privatjet ausgab, füllt sich nach einerVer-
steigerung von zweiWerken seinerKunst-
sammlung im Mai wieder seineTaschen.
Vielleicht will er so liquide für andere
Extravaganzen bleiben, zum Beispiel
Golfen auf einem Gletscher, seine an-

gezahlte Mondreise mit demWeltraum-
unternehmen desTesla-Gründers Elon
Musk oder weitere Geschenke an seine
vier MillionenTwitter-Follower. Immer
wieder verlost er Geld. Seinen Twit-
ter-Kanal hat er in Anspielung auf sei-
nen VornamenYusaku prägnant «you-
suck2020» genannt.
Yahoo Japan sieht sich ganz offen-
sichtlich ebenfalls als Sieger. Das Unter-
nehmen fordert seit einigenJahrenAma-
zon und die japanische Online-Mall
Rakuten im E-Commerce heraus.2018
erzielte das Unternehmen, das sich am


  1. Oktober inZHoldings umbenennen
    wird, mehr als zwei Drittel seines umge-
    rechnet 8,7 Mrd.Fr. grossen Umsatzes im
    Online-Handel.
    Mit dem Zukauf stärkt das Unter-
    nehmen seinen Umsatz schlagartig um
    1Mrd.Fr. Mehr als die Einnahmen steigt
    die Reichweite: Zozotown,die Online-
    Mall von Zozo, zählte EndeJuni 1297
    Läden, 7349 Marken und 730000 Pro-
    dukte.YahooJapan begründet den Kauf
    mit Expansionspotenzial. Denn allein in
    Japan werden proJahr Modeartikel im
    Wert von14 Mrd.Fr. im Internethandel
    umgesetzt. Die Aktionäre jubelten daher


kurz nach der Nachricht den Aktienpreis
von Yahoo Japan um 5,7% in die Höhe.
Zozos Aktienkurs explodierte sogar
um mehr als15%. Ein Grund ist sicher-
lich das generöse Kaufangebot.Ein ande-
rer die Hoffnung, dass die neuen Eigner
bessere Geschäfte machen als zuletzt der
Gründer. Maezawa hat sein Unterneh-
men nämlich in eine Krise geführt.
Maezawa hatte mehrere ambitionierte
Projekte gestartet, die dem Management
auf dieFüsse fielen. So stellte das Unter-
nehmen denVersand von gepunkteten
«Zozosuits» wieder ein.Dabei handelte
es sich um eng anliegende Anzüge, mit
denenKunden ihrenKörper elektronisch
vermessen sollten, um dann besser pas-
sende Kleidung bestellen zukönnen.
Rabatte provozierten überdies Mode-
marken. Die Expansion imAusland kam
nicht so voran wie gewünscht. Und die
Zahl der Shops sank leicht, die Gewinne
allerdings stark um 22% auf 235 Mio. Fr.
Nun soll dasVerwaltungsratsmitglied
Kotaro Sawada das Unternehmen wie-
der aufWachstumskurs führen.Experten
meinen, dass dieFinanzkraft vonYahoo
Japan besonders bei derAuslandsexpan-
sion helfenkönnte.

Mobiliar lanciert


das Mieterportal


«aroov»


Die Versicherungstartet
das Projekt mit Garaio REM

WERNER ENZ

Die imJahr 1826 gegründete, genos-
senschaftlicheVersicherung Mobiliar
investiert fortgesetzt eine hohe Geld-
summe in die Digitalisierung des Ge-
schäfts. Als führende Anbieterin von
Hausratversicherungen setzt dieVer-
sicherung mit derLancierung des Mie-
terportals «aroov» jetzt den nächsten
Schritt. Diese digitale Plattform soll
den Kunden den direkten Zugang zu
ihrer Immobilienverwaltung ermög-
lichen. Das umfasst die Bewerbung
für eine neueWohnung,Vertragsunter-
zeichnung, Schadenmeldungen, Um-
zugsservice, Mietkautionen oder auch
Rechtsberatung.
Entwickelt wurde die Internet-
Lösung massgeblich vom Software-
Anbieter Garaio REM, an dem Mobi-
liar nunmehr eine Minderheitsbeteili-
gung hält.Das Startup-Unternehmen
«aroov» soll seinenCharakter behal-
ten und wird daher von derVersiche-
rung Mobiliar bewusst an der ganz lan-
gen Leine gelassen.

Marktanteile gewonnen

Im Übrigen setzte die Mobiliar ihren
forschen Wachstumskurs fort. Die
Bruttoprämien expandierten im ersten
Halbjahr leicht beschleunigt um 4,7%
auf 2,75 Mrd.Fr. Damit wurde das
vom SchweizerischenVersicherungs-
verband auf 2,4% geschätzte Markt-
wachstum markant übertroff en, was
bedeutet, dass die Mobiliarauf Kos-
ten einigerKonkur renten Marktanteile
gewonnen hat.Das ist über die vergan-
genen zehnJahre schon fast zu einer
Gewohnheit geworden.
Mit einem Prämienwachstumvon
2,2% lagen die Motorfahrzeugver-
sicherungen aber deutlich zurück,
was die Genossenschaft im Semester-
bericht mit dem starkenWettbewerbs-
druckerklärt.Viel dynamischer ent-
wickelten sich derAbsatz vonRechts-
schutzversicherungen, das Geschäft
mit Mietkautionen wie auch jenes
mit Unternehmenskunden.All diese
Aktivitäten werden dank «aroov» neue
Impulseerhalten.

Zunahme der Kapitalanlagen


Die Investitionen in die Digitalisierung
sind mit ein Grund, warum sich im ers-
ten Halbjahr derKostensatzvon 25,7 auf
26,5% erhöht hat.Weil gleichzeitig die
Schadenbelastung geringer war, wurde
wiederum ein hoher Gewinn erzielt; der
sogenannte technische Gewinn,der Ge-
winne auf Kapitalanlagen nicht umfasst,
legte um 6% auf151,8 Mio. Fr. zu. Ins-
gesamtwuchsder konsolidierteRein-
gewinn um 10,8% auf 293,3 Mio. Fr.,
weil sich dieFinanzmärkte günstig ent-
wickelten. DiePerformance von 4,8%
wie auch die starke Prämienentwick-
lung spiegelnsich ineiner Zunahme der
Kapitalanlagen um mehr als1Mrd.Fr.
seit Jahresende auf18,3 Mrd.Fr. bis zur
Jahresmitte.

Hoher Investitionsrhythmus

Die Mobiliar steht mit einem Kapi-
tal von etwas über 5,1Mrd. Fr. ge-
festigt da.Das schafftFreiheitsgrade.
DieTransformation desKerngeschäfts
wird forciert, indem über einen Zeit-
raum von fünfJahren (bis etwa Ende
2022) zusätzliche 250 Mio. Fr. inves-
tiert werden.Von 150 ausgeschriebe-
nen Stellen in den Bereichen Soft-
ware-Entwicklung sowie Business-
und Datenanalyse seien bereits 90%
besetzt worden.

Yusaku Maezawa
Gründer des Online-
EPA Modevertriebs Zozo

Mobiliar in Zahlen
Geldwerte in Mio. Fr.
Januar bis Juni 2018 2019 ± %
Bruttoprämien Nicht-Leben 2162 2263 4,7
Bruttoprämien Leben 486 491 1,2
Schaden-Kosten-Satz (%) 89,9 89,7 –
Reingewinn 264,7 293,3 11
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