Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

Freitag, 13. September 2019 FINANZEN 29


Der raffinierte Handelskrieger

Ökonom ische Entscheide d euten darauf hin, dass Donald Trump einen machiavellistischen Plan B verfolgt


PATRICK HERGER


Manche Experten halten DonaldTr ump
für einen Blender, dessen Boshaftigkeit
nur durch seine Inkompetenz im Zaum
gehalten wird.Aber es gibt Hinweise dar-
auf, dass der US-Präsident vielraffinier-
ter ist, als ihm manche zutrauen. Insbe-
sondereseine Strategie im Handelskrieg
mit China spricht für diese Sichtweise.
Auf den ersten Blick mag das er-
staunen, denn zahlreiche Ökonomen
monieren, dass es überaus inkompe-
tent sei, überhaupt einen Handelskrieg
vom Zaun zu brechen; einige glauben
darüber hinaus, dassdie Art undWeise,
wie DonaldTr ump diesen Handelskrieg
führt, eine ganz erhebliche wirtschafts-
politische Inkompetenzverrate. Um ihre
Argumente zu verstehen, muss man sich
etwas eingehender mit den amerikani-
schen Zöllen beschäftigen.


Die Wirkung von Zöllen


Angenommen,Waschmaschinen aus
China haben einen Preis von 100$, wäh-
rendWaschmaschinen aus denUSA auf-
grund höherer Löhne 105 $kosten. Die
Konsumenten in den USA werden viele
chinesische Waschmaschinen kaufen
und nur wenige amerikanische.Aber
dann führt DonaldTr ump eine Zoll-
abgabe von 25% auf chinesischeWasch-
maschinen ein, und US-Konsumenten
müssen für diese nun 125 $ bezahlen.
Die US-Produzenten vonWasch-
maschinen werden nun ihre Preise an-
heben, beispielsweise auf 124 $. Obwohl
sie teurer produzieren als die chinesi-
scheKonkurrenz, können sie diesenun
preislich unterbieten, zumindest in den
USA; die Nachfrage verschiebt sich zu
amerikanischenWaschmaschinen. Zwar
wird der Markt kleiner (beihöheren
Preisenkönnen wenigerWaschmaschi-
nen verkauft werden), aber die US-An-
bieter kassieren pro Gerät 19 $ mehr.
Etwas anders verhält sich die Sache,
wenn die Zölle Zwischenprodukte be-
treffen und nicht Endprodukte wie
Waschmaschinen. Zwar ist dieWirkung
von Zöllen für die dadurch geschützte
Industrie positiv; für die nachgelagerte
Industrie,welchedieseZwischenpro-
dukte benötigt, erhöhen sich jedoch die
Kosten. Amerikanische Zölle aufAuto-
teile aus China etwa nützen zwar den
amerikanischen Produzenten vonAuto-
teilen, sie schaden jedoch denFahrzeug-
herstellern in den USA. Deswegen füh-
ren Zölle auf Zwischenprodukte netto
häufig zu einem Beschäftigungs- und
Wohlfahrtsverlust, im Gegensatz zu Zöl-
len auf Endprodukte.
Aus ökonomischer Sicht ist deswegen
klar: Kluge Handelskrieger müssten die
Zölle auf Endproduktekonzentrieren.
Die USA haben im letztenJahr jedoch
vor allem auf Zwischenprodukte aus
China Zölle erhoben. Deshalbsind viele
Ökonomen der Meinung, dass dieRegie-
rungTr ump überaus inkompetent sei.


Ökonomisch unbedeutend


Was mancheWirtschaftsexperten je-
doch eventuell zu wenig auf demRadar
haben, ist die politische Ökonomie. Die
wirtschaftliche Nettowirkung des Han-
delskriegs ist ausserordentlich klein.Für
das gesamteJahr 20 18 lagen die ameri-
kanischenWohlfahrtsverluste durch die
Zollzwistigkeiten mit China bei lediglich
0,04% des BIP (knapp8Mrd.$). Das
liegt im Bereich vonRundungsfehlern.
Gross dagegensindeventuell die politi-
schenVorteile für den Präsidenten. Der
Handelskrieg mit Chinakönnte Donald
Tr ump alsVehikel zurFortsetzung sei-
ner Präsidentschaft dienen.
In einem von mehreren möglichen
Szenarien erzeugt DonaldTr ump durch
seine Zölle mit voller Absicht künst-


lichen Druck auf dieWirtschaft und
schürtÄngste vor einer weiteren Eska-
lation des Handelskriegs. Einige Monate
vor derWahl am 3. November 2020, mit
einem fast perfektenTiming, verkündet
er dann eine Einigung mit China. Die
Wirtschaft, von einerschwerenLast be-
freit, wird kurzzeitig enorm prosperieren
und DonaldTr ump so die zweite Amts-
zeit sichern.Wer auf dieses Szenario
setzen will,könnte etwa sechs bis neun
Monate vor derWahl ein Index-Invest-
ment auf den US-Standardwerte-Index
S&P 500 kaufen.
Einen Handelskrieg anzuzetteln, nur
um ihnrechtzeitig vor den Präsident-
schaftswahlen zu beenden,könnte der
machiavellistische Plan B von Donald
Tr ump sein. Etwa für denFall, dass das
folgendeKalkül nichterfolgreich ist,
in welchem sich DonaldTr ump als ge-
schickter politischer Stratege offenbart.

Die Swing-Statesim Visier


Die USA sind ein politisch stark pola-
risiertesLand. Manche Staaten sind
fest in demokratischer Hand, andere
fest inrepublikanischer. Daneben gibt
es aber auch die sogenanntenSwing-
States, Staaten, die manchmal demokra-
tisch wählen, manchmalrepublikanisch.
Bei der Präsidentschaftswahl sind diese
Swing-States von überragender Bedeu-
tung. Denn da bei denrestlichen Staaten
im Prinzip bereits klar ist, wie sie wäh-
len, müssen die Präsidentschaftskandi-
daten vor allem dieWähler derSwing-
States auf ihre Seite ziehen.
Als DonaldTr ump seine China-Zölle
eingeführt hat, gab es in der amerikani-
schenWirtschaft zahlreicheVerlierer und
nur wenige Gewinner. Diese Gewinner
lagen jedochkonzentriert in denSwing-
States. Die Zölle des letztenJahreskönn-
ten daherAusdruck einer machiavellisti-
schen Strategiedes US-Präsidenten sein,
sich die zweite Amtszeit zu sichern, indem
er gezieltdie Wirtschaft beziehungsweise
einzelne wichtige Industrien oder Unter-
nehmen in denSwing-States bevorteilt.
In Florida etwakönnte er demTouris-
mus helfen, einer Branche, in der jeder
achte Beschäftigte arbeitet. In North
Carolina bietet sich eine Unterstützung
der chemischen Industrie an, in Arizona
könnte sichTr ump derKupferindustrie
annehmen. Möglicherweise sind manche

Hedge-Fundsgerade dabei, sich ein ent-
sprechendesPortfolio an Einzelwerten
zusammenzustellen.
Für die meisten Privatanleger ist das
aber kaum praktikabel. Siekönnen je-
doch versuchen, indirekt auf den Machia-
vellismusvon DonaldTr ump zu wetten.
So leben in denSwing-States überdurch-
schnittlich vieleVeteranen. Allein in den
Swing-Staaten Florida,Pennsylvania und
North Carolinasind esknapp3,5Mio. Das
sind mehr als 10% der insgesamt rund

33 Mio.Wahlberechtigten in diesen drei
Gliedstaaten, und bereits hofiertder US-
Präsident diese wichtigeWählergruppe.
Dass so vieleVeteranen in denSwing-
Statesleben,verdankt sich dem Umstand,
dass das Militär und dieRüstungsindus-
trie dort bedeutende Arbeitgeber sind.
In Arizona etwa gibt es 1200 Unterneh-
men,die dem Luftfahrt- undRüstungs-
sektor zuzurechnen sind, in Florida 2000.
Falls DonaldTr ump wirklich ein
Machiavellist ist, dürfte er daher das
Pentagon nutzen, um bestimmten Mili-
täreinrichtungen undRüstungsfirmen
GelderundAufträge zuzuleiten. Tr umps
Strategiekönnte deshalb dafür sorgen,
dassETF auf US-Rüstungsfirmen in den
Monatenvor der Präsidentschaftswahl
besser abschneiden als der S&P 500,
wenn die MärkteTr umps Chancen für
intakt halten.
Ein weiterer für dieWiederwahl
Tr umps wichtigerWirtschaftsbereich ist
die Gesundheitsbranche.Zum einen sind
die Gesundheitskosten in den USA in
den vergangenen zwanzigJahren enorm
gestiegen,und die Medikamentenpreise
sind bis zu dreimal höher als in vergleich-
barenLändern. Zum anderen ist die Be-
völkerung in den wichtigenSwing-States
überdurchschnittlich alt. Florida etwa
gilt als Altersresidenz der USA, und das

nicht zu Unrecht. Etwa jeder fünfte Ein-
wohner ist älter als 65Jahre, 30% mehr
als im amerikanischenDurchschnitt.
Aber auch inPennsylvania,Arizona oder
Wisconsin ist der Anteil der über 65-Jäh-
rigen überdurchschnittlich hoch.
Viele vonTr umps möglichen demo-
kratischen Herausforderern unterstützen
den Plan, die derzeit noch private Kran-
kenversicherung durch eine öffentliche
Krankenversicherung zuersetzen.Das
hätte eine enorme Negativwirkung auf
die Gewinne der Gesundheitsindustrie.
Die Chancen, dass diese öffentliche
Krankenkasse wirklich eingeführt wird,
gelten als gering.Aberdie Idee ge-
winnt bei denWählern an Beliebtheit.
Deswegen ist der S&P-500-Managed-
Health-Care-Index,der als Gradmesser
fürTr umps Siegchancen gilt,in den letz-
tenWochen deutlich gesunken. Der Prä-
sident muss den beliebtenVorschlägen
der Demokraten daher eine eigene Idee
entgegensetzen, und dazu soll es noch im
Septemberkommen.

Gesundheitsindustrie meiden


Taktische Erwägungenkönnten ihn dazu
bringen, jetzt oder später imWahlkampf
neue Ideen zu präsentieren, welche auf
die Gewinne der Gesundheitsindustrie
drücken.Wer einenETF auf die US-
Gesundheitsindustrie hält, trägt deshalb
enorme Risiken.Für die meisten Privat-
anleger ist esratsam, diesen Bereich zu
meiden und an der Seitenlinie zu warten,
bis sich die Dinge geklärt haben.
Natürlich ist das Szenario spekula-
tiv, wonach DonaldTrump gezielt be-
stimmteRegionen undFirmen begüns-
tigt, um so die Chancen auf seineWie-
derwahl zu erhöhen.Tr otzdemkönnen
Anlegereine wichtige Investment-Lehre
aus dem aufgezeigten Szenario ziehen:
Auch wervon dereigenen Meinung
überzeugt ist, sollte die Möglichkeit in
Betracht ziehen, falsch zu liegen.
2016 konnten sich die meisten Exper-
ten nicht vorstellen, dass DonaldTr ump
die Präsidentschaftswahlen gewinnt.
Wenn ihm derselbeTr ick nächstesJahr
wieder gelingt, wäre das ein Hinweis auf
eine Möglichkeit, die viele für undenk-
bar halten: dass DonaldTr ump der ge-
schickte Stratege ist, für den er sich hält.
Investoren sollten dieses Szenario nicht
völlig ausschliessen.

DonaldTrump ist auf bestemWeg, sichdie zweite Amtszeit als US-Präsiden tzusichern. CARLOS BARRIA / REUTERS

TAGESGESPRÄCH

Sunrise-Aktionär


AOC ist gegen


den UPC-Deal


Active Ownership Capital sieht im
Alleingang eine rosige Zukunft

STEFAN HÄBERLI

Der nächste Rebell kommtaus der
Deckung. Mit dem aktivistischen Inves-
torActive Ownership Capital (AOC)
spricht sich ein weiterer Sunrise-Aktio-
när gegen die geplante Übernahme des
Kabelnetzbetreibers UPC für 6,3 Mrd.
Fr. aus.DerAOC-Gründungspartner
Florian Schuhbauer sagte am Donners-
tag gegenüber der NZZ: «Der Deal ist
unseres Erachtens wertvernichtend.»
Seine Kritik beschränkt sich nicht auf
die Bedingungen, die mit dem UPC-Eig-
ner Liberty Global ausgehandelt wor-
den sind.Auch aus strategischer Sicht
hält er dieTr ansaktion für fragwürdig.
Die neue Mobilfunktechnologie 5G
habe vor allem dortPotenzial, wo es
keine Glasfasernetze gebe. Das seien die
Gebiete, in denen UPC stark sei.Durch
den 5G-Ausbau würde Sunrise somit
das eigene Geschäft auf dem von UPC
übernommenen Kabelnetz kannibali-
sieren. Die damit verbundenen negati-
venSynergien schätzt man beiAOC auf
rund 1 Mrd.Fr.Läge der Kaufpreis für
UPC rund2Mrd. bis 2,5 Mrd.Fr. tiefer,
könnte man laut Schuhbauer über die
Tr ansaktion diskutieren.

Verliert SunriseOlaf Swantee?


Warum sollte der Sunrise-Verwal-
tungsrat eineTr ansaktion befürworten,
die den Aktionären – angeblich – der-
art offensichtlich schadet? Schuhbauer
spekuliert, dass dahinter auch Eigen-
interessen des Verwaltungsrates ste-
henkönnten– etwadieAussicht einer
Aufnahme von Sunrise in den SMI. Be-
reits am Dienstag war bekannt gewor-
den, dass dieFondsgesellschaftAxxion
di eAbwahl vonPeterKurer undJesper
Ovesen aus dem Sunrise-Verwaltungs-
rat fordert. Über einenentsprechenden
Antrag sollanderausserordentlichen
Generalversammlung abgestimmt wer-
den, an der voraussichtlich überdie
UPC-Übernahme entschieden wird.
Schuhbauer zeigtVerständnis für den
Antrag, beteuert aber, dassAOC damit
nichts zu tun habe. Über Sunrise-Chef
OlafSwantee verliert er im Gespräch
kein schlechtesWort – obwohl auch
dieser den Kauf von UPC «um jeden
Preis» will.Dass ein AbgangSwantees
droht, falls der Deal Schiffbruch erlei-
det, glaubt Schuhbauer nicht.AOC habe
Swantee darauf angesprochen; er habe
das inkeinsterWeise bestätigt.

Zu 80 bis90 Prozent sicher


Neben GrossaktionärFreenet, der rund
25% an Sunrise hält, istAOC der ein-
zige Aktionär, der sich bisher öffentlich
gegen die UPC-Übernahme gestellt hat.
AOC selbst hält nach eigenen Angaben
einen «nennenswerten» Anteil an Sun-
rise,der allerdings unter 3% liegt. Um
eine einfache Mehrheit gegen den Deal
zu erreichen, braucht dasDuo weitere
Mitstreiter. Schuhbauer gibt sich zu 80%
bis 90% sicher, dass die UPC-Über-
nahme nicht stattfindet: «Wir haben
eine sehr guteVorstellung davon, wie
die anderen grossen Aktionäre denken.»
Wählen die Aktionäreden Allein-
gang, prophezeit er Sunrise eine blü-
hende Zukunft: «In dreiJahrenkönnte
Sunrise eine Dividende von 6Fr. pro
Aktie zahlen. Der Aktienkurs müsste
dann deutlich höher stehen als heute,
über 100Fr.» Angesichts dieserPers-
pektive stellt sich dieFrage, warum sich
AOC nicht mit einem grösseren Aktien-
paket eingedeckt hat.«Wir hätten lieber
eine 10%-Beteiligung aufgebaut, aber
dann ist derKurs angestiegen», erklärt
Schuhbauer.

Privatanleger können
versuchen, indirekt auf
den Machiavellismus
von DonaldTrump
zu wetten.

Euro/Fr.
1,09610.26%

Dollar/Fr.
0,9907-0.24%

Gold($/oz.)
1498,700.29%

SMI
10094,09-0.04%

DAX
12410,250.41%

DowJones
27182,450.17%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
60,46-0.92%
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