Neue Zürcher Zeitung - 13.09.2019

(Romina) #1

48 WOCHENENDE Freitag, 13. September 2019


Auto nicht stimmt, sokomplex und digi-
tal ist es geworden. Kotflügel dengeln,
Zentralmuttern lösen und anziehen,
Vergaser einstellen, das alles ist heute
bei modernenAutosmit Verbrennungs-
motor nicht mehr gefragt, von Elektro-
autos ganz zu schweigen.Auf diese an-
gesprochen, sagt Costantini zwar, dass
sie die Zukunft seien,aber: «Das ist
nicht meineWelt.»
Und doch gibt es noch viele alte
Fahrzeuge, nicht nur in der Schweiz, die
äusserst gepflegt und in tadellosem Zu-
stand sind. BeiProblemen, etwa mit dem
Motor oder dem Getriebe, sindFach-
leute gefragt, die das Problem ohne
Diagnosegerät und Abgas-Computer
behebenkönnen. Nur werden es immer
weniger.«Wissen Sie, Menschen wie
Antonio Costantini sterben aus», sagt
einer seiner wichtigstenKunden. «Sie
haben dieAutos noch selbst aufbauen
ge lernt undkennen jedesTeil derWa-
gen im Original.»
Bei geöffneter Motorhaubehat
Costantini soeben den Motor seines
letzten Projekts, desFerraris 275 GTS,
gestartet. Er springt sofort an.Jetzt
setzt der Mechanikermit dem langen
Schraubenzieher an, gleichzeitig hat
er ein Stethoskop aufgesetzt und prüft
nun die feinsten Nebengeräusche im
Motorblock. Laufen alle Zylinder ge-
mäss Zündabfolge?Verläuft die Zün-
dungkorrekt? Ist wirklich alles für die
baldigeFahrzeugübergabe bereit? Si-
cher ist sicher.


Schritt in die Selbständigkeit


Immer wieder bearbeitetenKunden den
Süditaliener, er solle doch auf eigene
Rechnung arbeiten. Als Costantini bei
KarlFoitek schliesslich seineKündigung
einreichte,daerfortan auf eigenen Bei-
nen stehen wollte, lachte ihn dieser aus.
Drei Monate werde es dauern, prophe-
zeite er ihm, bis er ihn wieder umWie-
deranstellung bitten werde. DochFoi-


tek irrte. DieKunden blieben Costan-
tini auch in seiner neuenFirma mit dem
Zusatz«Werkstätte für Hochleistungs-
fahrzeuge» treu.
Ein solches Hochleistungsfahrzeug
steht neben demAuto, das Costantini
geraderestauriert hat. Es ist einroter
Ferrari 30 8 GTB, und ein Streicheln
über dessenKotflügel verrät, dass der
Maestro eine besondere Beziehung zu
ihm hat. Es ist sein eigenerWagen. Er
steht in derWerkstatt, so scheint es,
weil er sich einfach gut macht undes
besser aussieht, wenn da etwas steht.
In derTiefgarage steht sein zweiter
Wagen, einFerrari512 BB mitflachem
V12-Zylindermotor.
Vieles hat Costantini seiner Ehefrau
Margret zu verdanken, aber als bessere
Hälfte sieht sich die Zürcherin nicht.
Seit bald sechzigJahren sind die beiden
zusammen.Auch dank seiner beharr-
lichenFrau schaffte es der Süditaliener,
in der SchweizFuss zu fassen. «Ich bin
kein geborener Diplomat», sagt er und
denkt an Momente, wo Margret Costan-
tiniWogen glättete, wenn er mit schwie-
rigenKunden zu tun hatte, oder ihn von
jenen abschirmte, die zu forsch waren.
Margret ist seine Assistentin, Buchhal-
terin,Telefonistin undKundenbetreue-

rin. Sie hat in derWerkstatt vieleFotos,
Schilder,Startnummern und Zertifi-
kate aufgehängt, um der zweckmässi-
gen Einrichtung etwas von der mensch-
lichen Atmosphäre zu verleihen, die das
Ehepaar Costantini zumPower-Team
gemacht hat.Auch dank Margret sind
mancheKunden zuFreunden geworden.
An denWänden hängen weiter al-
lerlei seltsam anmutende Stahlteile.
«Das sind alles Spezialwerkzeuge,die
ich selbst entwickelt und zusammen-
geschweisst habe, um mir einige Hand-
griffe zu erleichtern und dieFahrzeuge
bei derRestauration zu schützen», sagt
Costantini, der von einemTeil zum
nächsten geht und dabei erzählt, dass
Ferrari eine Entlüftungsanlage für die
Bremsleitungen von ihmkopiert, man
inMaranello an den anderen Dingen
jedochkein Interesse gezeigt habe.Was
wird mit all diesen Gerätschaften pas-
sieren,wenn hier die Lichter ausgehen?
«Weiss nicht.»

Verbessern statt restaurieren


«Ich bin ein Puritano», sagt Costan-
tini, einPerfektionist. Doch wenn er er-
gänzt, dass bei ihm «alles original» sein
müsse, stimmt das nur halb. Denn an vie-
len Details – etwa an der ordentlichen
Führung und Bündelung von Schläu-
chen und Leitungen im Motorraum –
lässt sich erkennen, dass der Mechani-
ker im Sinne des funktionalen Zwecks
weiter verbessern will, was in Mara-
nello, Modena oder Sant’A gatakonstru-
iert wurde.
Costantini zeigt uns jetzt alle
Schrankfächer und Schublädchen, die
in verschiedenenWerkstattmöbeln ver-
sorgt sind. Antoniokennt jedes ein-
zelne Steckschlüssel-Set, den Inhalt
jedes Schubfachs.Warum so vieleTeile?
Er antwortet: «Dumusst von allenTei-
len zehn Stück haben, auch wenn du nur
eines brauchst.»
Den eigenen Perfektionsanspruch
stellt der Mechaniker auch an seine
Kunden. Einmal beklagte sich der Be-
sitzer einesFerrarisTestarossa aus den
1980erJahren, dass Costantinis Arbeit
amZylinderkopf imVergleich zurKon-
kurrenz zu teuer sei. «Einen Apothe-
ker hat der mich genannt. EinenTesta-
rossa fasse ich seither nicht mehr an.»
Und überhaupt:Wenn sich einKunde

meldet, dem es an Stil oder Manieren
fehlt, winkt Costantini ab. «Pizzaioli»
nennt er solche Menschen verächtlich
und meint damitKunden, dierasch zu
viel Geld gekommen sind und das mit
einem Oldtimer-Klassiker auchzeigen,
ohne die Geschichte ihres Gefährts zu
kennen. Antonios SohnRenato sagt:
«MeinVater weiss genau, wer einAuto
nur als Schaueffekt hat, aber seine Seele
nichtversteht.»
Für die Übergabe seines letztenrepa-
riertenFahrzeugesist nun allesparat.
Damit endetauch die Ära der Costantini
AG–Werkstätte für Hochleistungsfahr-
zeuge. Costantini zögert mit der Heraus-
gabe des 275 GT. Erst noch müssen die
Bücher fertiggestellt werden, je eines
für den Eigner und eines fürsWerkstatt-
archiv. Berge vonFotos existieren von
jedem einzelnen Arbeitsschritt.Dann ist
es so weit, derKunde wird eingeladen.
Empfang, Begutachtung der Arbeiten,
Probefahrt und zum Abschluss Costan-
tinis schönes Ritual: Ein Schluck Pro-
seccokommt insKühlwasser.
Und jetzt, was bleibt mit fast acht-
zigJahren? Er sei zwar nichtreich ge-
worden, sagt Costantini, aber er sei zu-
frieden.«Immerhin hat es gereicht, um
beide Kinder auf die Universität zu

schicken.» Diese haben akademisch
und beruflich Karrieregemacht.Das
ist es denn auch, was derVater bei sich
selber bedauert. Er sagt:«Würde ich
noch einmal geboren, würde ich alles
genauso machen, ausser das mitder
Schule:FünfJahre Primarschule sind
einfach zu wenig.»

Fragliche Endgültigkeit


Es ist Zeit, sich zu verabschieden. Mar-
gret ist bereits nach Hause gegangen,
um Mittagessen zukochen. Antonio
aber möchte jetzt noch einen Apéro.Aus
demKühlschrank holt er Prosecco und
Parmigiano und stösst auf einen halben
Arbeitstag an. Er lädt den Besuch auch
gleich noch zumregelmässigen Sams-
tags-Umtrunkein, wennes für seine
Freunde Prosecco,Wein und Zigarren
gebe – «das ist eben Costantini!».
Am Schluss wollen wir es noch ein-
malgenau wissen.Wie also ist das mit
einem möglichen Nachfolger? Costan-
tinizeigt sich wählerisch.Soschnell gibt
er nicht her, was er so sorgfältig und mit
viel Herzblut aufgebaut hat. «Ich hatte
einen Interessenten,der zwar etwas
konnte, aber zurasch wissen wollte,
wie viel man bei dieser Arbeit verdie-
nen kann.»Auch einePartnerschaft mit
einemFerrari-, Maserati- oderLambor-
ghini-Händler kam mangels atmosphä-
rischer Zusammenarbeit nicht infrage,
genauso wenig wie seine Kinder, die in
anderen Branchen arbeiten. «Also ist
fertig», sagt er.
Doch schon am Gehen,kommt er
noch einmal zurück und verrät: «Schön
wäreein Museum,woich all dieWerk-
zeuge aufhängenkönnte, die ich im
Lauf der Zeit selbst entwickelt habe. So
einekleine Modellgarage,woaber nicht
mehr gearbeitet wird.»Das müsste aber
anderswo sein, denn dieWerkstatt wird
abgerissen, stattdessen werdenWoh-
nungen gebaut. Doch in die Agglome-
ration will Costantini sein Lebenswerk
nicht verpflanzen, zu sehr ist er mit dem
Quartier verwurzelt. Antonio zuckt die
Schulternund geht nun endgültig, nach
Hause,wo seineFrau Margret auf ihn
wartet. Ob das mit der Geschäftsauf-
gabe wirklich so endgültig ist?Dawar
doch die Einladung zumregelmässigen
Apéro.Die vermutlich beste Antwort
darauf: Schulterzucken.

Jedes Fahrzeug hat ein Buchmit Fotos allerRestaurierungsschritte. SeineEhefrau Margretist Antonios Stützeund Schutz.

«MeinVater weiss


genau,wer einAuto


nurals Schaueffekthat,


aberseine Seelenicht


versteht.»


Renato
Sohnvon AntonioCostantini

ImZugeseinerArbeit


lernteCostantiniEnzo


Ferrari und Ferruccio


Lamborghini persönlich


kennen.Letzterer hat


ihn mit einemstottern-


den Zwölfzylindermotor


aufdie Probe gestellt.


Fortsetzung von Seite 46


Ein Autoverste her


macht Schluss

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