Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

Ein junger Mann parkt seinen Audi V8 an der Sparkasse, auf


der Heckscheibe prangt in Frakturschrift »Sachsen – ewig
treu«, vor dem Rathaus trudelt eine Hochzeitsgesellschaft


ein. Es könnte ein gewöhnlicher Samstagmorgen in Anna-
berg-Buchholz sein. Aber es sind die letzten Wochen vor der


Landtagswahl – und in der Erzgebirgsstadt macht das Bünd-
nis #WannWennNichtJetzt Sta tion, anders als die groß-


städtischen Unteilbar-Demonstrationen konzentriert es sich
eher auf die Provinz. Mit Konzerten und Infoständen will


das Bündnis Zeichen setzen. Stina Ochner, Mitte zwanzig,
mit Funkgerät in der Hand, erzählt von den Anfängen. Letz-


ten Sommer hätten sich mehrere Vereine zusammengetan,
die sie als links, emanzipatorisch, antirassistisch beschreibt.


»Unser Interesse war: Es muss was passieren im Osten.«
Es sind vorwiegend junge Menschen, die auf dem Markt-


platz Tische rücken, Zwiebeln fürs vegane Gulasch schnei-
den, den Pavillon des »Feministischen Streikbündnisses«


aufbauen. Viele studieren in Leipzig, Dresden, Berlin, aber
die teilnehmenden Gruppen kommen auch aus den Dör-


fern und Kleinstädten der Umgebung.
»Wir wollen nicht die Leute aus der Stadt sein, die denen in


der Peripherie erklären, was sie zu denken haben, wir wol-
len ins Gespräch kommen«, sagt ein Student am Stand von


»Aufbruch Ost«, der die Umbrüche seit 1989 thematisiert.
Nach den ersten Terminen, die eher mäßig besucht waren,


hätten sie nachgebessert, sagt Ochner. »Es gibt jetzt mehr
niedrigschwellige Angebote«, sie nennt Tombola und


Dosenwurf. Auf den Dosen kleben die Logos von Pegida,
Hogesa, Frontex, AfD. Ein paar Familien bleiben stehen,


damit die Kinder Seifenblasen fangen und sich Tiergesichter
schminken lassen können. Ansonsten müssen die Aktivisten


Passanten ansprechen, um ihre Flyer loszuwerden. An den
meisten Annabergern gehe die Veranstaltung »relativ spur-


los vorbei«, vermutet Martin Ullmann, Mitte dreißig. Er ist
mit Procovita da, der Verein betreibt Gemeinschaftsgärten.


Wirksamer als politisch aufgeladene Aktionen sei es viel-
leicht, Flüchtlinge auf die Dorfkirmes mitzunehmen, um


gegen Intoleranz vorzugehen, sagt Ullmann. Als er beim
Einkaufen einen Kongolesen traf, grüßten sie sich herzlich.


»Einen Afrikaner umarmen – das sorgt hier bei Passanten für
Aufsehen.« Die Meinungsbildner seien die Dorf-Feuerwehr


und der Fußballverein, an anderen Sichtweisen mangele es.
»Das ist ja unser Problem: Die coolen Leute ziehen alle weg.«


Wie die Leute von der »Agenda Alternativ«, die sich einst in
dem Städtchen Schwarzenberg gründete. Die meisten ihrer


Mitglieder hätten ihre Heimat längst verlassen, ihren Verein
führten sie aber weiter, um ein jährliches Festival zu organi-


sieren und Jüngeren im Ort einen Anlaufpunkt zu bieten,
erzählt Louisa Lippert, eine der Gründerinnen.


Doch sie und die anderen machen sich ernsthaft Sorgen,
wie es weitergehen wird:


»Falls wir bald von Schwarz-Blau regiert werden, wird es
schwierig, noch Fördermittel zu erhalten.«


Marktplatz-Tour,
Annaberg-Buchholz, 3. August 2 019

22.8.19 N^0 35
Free download pdf