Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

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Ich liebe Museumsshops, schon als Kind habe ich sie geliebt.
Damals waren das Läden, in denen man vor allem Bücher kaufen
konnte. Manchmal gab es aber auch Mineralien, Haifischgebisse
und Ähnliches. Dinge, die ein bisschen seltsam waren, die es aber
nur in Museumsläden gab. Brauchte man den Kram? Bestimmt
nicht. Aber irgendwie war er gleichzeitig zauberhaft.
Heute führe ich meine Kinder gerne ins Museum, auch wegen der
Museumsshops, die wir besuchen, sobald wir mit den Ausstellungen
fertig sind. Neulich waren wir in einem botanischen Garten. Bota-
nische Gärten haben heute auch Shops. Ich sagte meinen Töchtern,
dass sich jede etwas aussuchen dürfe. Das ist eine Aufgabe, mit dem
keine meiner Töchter ein Problem hat – außer Greta. Wenn Greta
sich etwas aussuchen darf, beginnt sie eine betriebswissenschaftli-
che Studie. Jeder Preis im Geschäft wird verglichen. Vor allem um
herauszufinden: Ist das alles zu teuer? Etwas zu kaufen, das ihr zu
teuer erscheint, bereitet meiner Tochter nämlich geradezu körperli-
che Schmerzen. Dabei muss es sich nicht mal um Dinge handeln, die
man selbst bezahlen muss. Es reicht, dass jemand mit der Ungerech-
tigkeit durchkommt, unverschämte Preise zu verlangen. »Das kann
ja wohl nicht sein, was das kostet, das ist doch alles viel zu teuer!«
Greta entdeckte lauter Preiskatastrophen. Ein Stück vegane Bioseife:
sechs Euro! Eine pflanzliche Gesichtscreme: 24 Euro! Ich war mit ihr
schon einmal in einem Harry-Potter-Souvenir-Shop, Greta ist Harry-
Potter-Fan, sie durfte sich etwas aussuchen. Sie suchte. Schließlich
sagte Greta: »Komm, Papa, wir gehen.« Und, in einem entrüsteten
Ton, als wäre sie von Lord Voldemort persönlich beleidigt worden:
»Das sind unglaubliche Preise, ein Schlüsselanhänger für acht Euro,
acht Euro!« Das ist natürlich einerseits traumhaft: ein Kind, das aufs
Geld schaut, anstatt seine Eltern als Goldmine zu begreifen. Ich bin
sehr stolz auf meine sparsame Tochter. Meistens jedenfalls. Denn bis
Greta ihre Marktforschung im Laden be endet hat, dauert es lange,
so lange, dass man fast jeden Preis dafür zahlen würde, nur damit sie
sich endlich entscheidet. So ging es auch im Shop des Botanischen
Gartens. Eine pflanzliche Handcreme: 20 Euro! Greta konnte es gar
nicht glauben. Ich versuchte ihr zu erklären, dass die meisten Dinge
in so einem Laden teuer seien, schließlich sei das ja ein Museums-
shop und kein Ein-Euro-Laden. Ein-Euro-Läden nämlich sind das
Paradies für Greta. Dort bekommt man fast alles und bezahlt fast
nichts. Die Differenz zwischen dem, was man im Ein-Euro-Laden
und im Rest der Welt zahlt, spart Greta.
Eine meiner Sorgen ist, dass Greta mich für unzurechnungsfähig
halten könnte. Einmal war sie dabei, als ich in einem kleinen
Antikgeschäft ein niedliches Briefmarkenkästlein gekauft habe.
Etwa hundert Jahre alt, für 70 Euro. Greta war kurz davor, Hilfe zu
holen: »Bist du verrückt? Echt 70 Euro für so ein kleines Ding? Ich
bastel dir eine Schachtel, wenn du unbedingt etwas brauchst, um
deine Briefmarken zu verstauen!« Das nahm ich ihr sofort ab, denn
Greta macht gerne Geschenke. Sie ist nicht geizig, sondern sparsam.
Ich habe einmal gelesen, dass die erste Million, die man macht,
weniger eine Frage des Erfolges als eine Frage der Dis zi plin sei. Ob
man das Geld, das man nicht zum Leben brauche, auf den Kopf
haue oder in Anlagemodelle stecke. In dieser Hinsicht freue ich
mich auf den Lebensabend mit reicher Tochter, die mich bis dahin
hoffentlich noch nicht hat entmündigen lassen.

Prüfers Töchter MEINE 12-JÄHRIGE

Illustration Aline Zalko

Greta ist 12 Jahre alt. Ihr Vater Tillmann Prüfer schreibt


hier im wöchentlichen Wechsel über sie und seine
anderen drei Töchter im Alter von 19, 14 und 5 Jahren

»Das ist viel


zu teuer!«

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