Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

WIRTSCHAFT 19


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  1. August 2019 DIE ZEIT No 35


»Das ist keine Krise«


Obwohl die Wirtschaft schrumpft, entstehen neue Jobs. Enzo Weber vom Institut für


Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erklärt, warum


DIE ZEIT: Deutschlands Wirtschaft wächst nicht
mehr, es droht eine Rezession. Wirkt sich das
schon am Arbeitsmarkt aus?
Enzo Weber: Nicht so wie früher. Vor 15 Jahren
hätten wir in einer Abschwungphase wie dieser
viele Jobs verloren, heute ist das anders. Die Be-
schäftigung nimmt noch immer zu! Das beobach-
ten wir schon seit einigen Jahren: Ob die Wirt-
schaft stark wächst oder nicht, es kommen pro
Jahr Hunderttausende neue Arbeitsplätze hinzu.
Das heißt: Der Arbeitsmarkt hat sich von der
Konjunktur abgekoppelt. Nicht völlig, aber er
reagierte früher dreimal so stark auf die schwan-
kungen des Wachstums wie heute. Ein Prozent
weniger Wachstum bedeutete früher knapp 0,
Prozent weniger Beschäftigung, heute sind es nur
noch gut 0,1 Prozent.
ZEIT: Wie kommt das?
Weber: Zum einen entstehen heute viele Arbeits-
plätze in Bereichen, die gar nicht von der Kon-
junktur beeinflusst werden. Also zum Beispiel in
der Erziehung, in der Pflege und im gesund-
heitswesen. Da gibt es praktisch keine konjunk-
turellen schwankungen. Zum anderen sind Ar-
beitskräfte anders als früher heute knapp. Des-
halb ändern die Arbeitgeber ihr Verhalten.
Wenn sie zum Beispiel heute in Baden-Würt-
temberg einen Elektriker entlassen, müssen sie
damit rechnen, dass sie diese stelle nie wieder
besetzt bekommen. Daher verzichten viele Fir-
men lieber auf eine Kündigung, selbst wenn sie
vorübergehend zu wenige Aufträge haben. und
qualifizierte Arbeitskräfte bleiben knapp, das
wird sich sogar noch verschärfen.
ZEIT: sie meinen, weil die geburtenstarken Baby-
boomer-Jahrgänge bald in Rente gehen?
Weber: Ja, außerdem hatten wir in den vergange-
nen Jahren eine sondersituation, in der die
Knappheit noch gedämpft wurde. Wir hatten
eine sehr hohe Zuwanderung, und immer mehr
Frauen und Ältere beteiligten sich am Arbeits-
markt. Dies wird sich so nicht fortsetzen. Zu-
gleich rückt tatsächlich der Rentenbeginn der
Babyboomer-generation immer näher. Deshalb
beginnt in den nächsten Jahren erst richtig, was
wir heute schon spüren: eine Knappheit der
Fachkräfte.
ZEIT: Heißt das im umkehrschluss: Die Zeiten
der Massenarbeitslosigkeit sind endgültig vorbei?
Weber: Vorerst ja, jedenfalls dürfte ein Ab-
schwung uns nicht wieder in diese Zeiten zu-
rückkatapultieren. Dass die Arbeitslosenquote
gar nicht mehr steigt, darf man aber nicht er-
warten. unsere Frühindikatoren wie das IAB-
Arbeitsmarktbarometer sagen einen Anstieg vo-
raus, aber keinen dramatischen. Auch die Kurz-
arbeit hat schon leicht zugenommen, auf derzeit
gut 40.000 Betroffene. Das ist jedoch kein Ver-
gleich zu den 1,5 Millionen Kurzarbeitern, die
wir infolge der Finanzkrise hatten.
ZEIT: Wie schlimm ist denn der derzeitige Ab-
schwung überhaupt?
Weber: Konjunkturell ist die Lage kritisch. Das
Wachstum wird nach unserer Prognose dieses
Jahr bei nur 0,5 Prozent liegen. Das ist sehr we-
nig. Wie es weitergeht, hängt nicht zuletzt von
Leuten wie Donald trump oder dem britischen
Premierminister Boris Johnson ab. Wenn der
Brexit völlig chaotisch abläuft oder die interna-
tionalen Wirtschaftskonflikte extrem eskalieren,
kann es auch schlimmer kommen.
ZEIT: Befinden wir uns also am Beginn einer
neuen Krise?


Weber: Nein, das ist keine Krise, sondern ein nor-
maler Abschwung. Das ist etwas anderes. Dieser
Abschwung hat im Übrigen schon vor einem Jahr
begonnen. Im dritten Quartal 2018 ging das
Bruttoinlandsprodukt bereits um 0,1 Prozent zu-
rück. Aber wenn jetzt nichts besonders Dramati-
sches mehr passiert, werden wir diesen Ab-
schwung nächstes Jahr auch wieder überwunden
haben. Normalerweise endet so eine Phase näm-
lich spätestens nach ein oder zwei Jahren.
ZEIT: Was ist denn der unterschied zwischen ei-
ner Krise und einem »normalen Abschwung«?
Weber: Bei einer Krise spitzt sich eine kritische
Entwicklung extrem zu und stellt zumindest
teile des aktuellen Wirtschaftsmodells infrage.
Bei einem Abschwung liegt das Wachstum meist
infolge einer Nachfrageschwäche für einige Zeit
unter dem normalen trend, das wären in
Deutschland etwa 1,2 bis 1,3 Prozent pro Jahr.
Da liegen wir derzeit deutlich drunter ...
ZEIT: Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte zu-
letzt sogar wieder um 0,1 Prozent. Nun heißt es,
wir kämen in eine Rezession. Wie sehen sie das?

Weber: Es stimmt, bei zwei Quartalen mit nega-
tivem Wachstum in Folge spricht man von einer
Rezession. Ich halte diese Definition aber für
überflüssig. Wir haben einen Wirtschaftsab-
schwung, der wie gesagt schon länger läuft.
Dafür spielt es keine Rolle, ob einem Quartal
mit minimaler schrumpfung noch ein weiteres
folgt. Wichtig ist außerdem, auch andere grund-
legende Wirtschaftsdaten im Blick zu haben.
Da sieht es gar nicht so übel aus, etwa beim
Konsum, bei den Investitionen und vor allem
eben beim Arbeitsmarkt. so betrachtet, ist die
Lage also weniger dramatisch, als es das gerede
über eine Rezession nahelegt.
ZEIT: sie haben vor einiger Zeit gesagt: »Der Auf-
schwung am Arbeitsmarkt wird nicht dadurch
enden, dass die unternehmen keine Leute mehr
einstellen, sondern dadurch, dass sie keine mehr
finden.« Halten sie daran fest: Das größte Risiko
ist der Fachkräftemangel?
Weber: Das ist kein Risiko. Bei Risiken weiß man
nicht, ob sie tatsächlich eintreten. Hier ist das
aber sicher. Die Arbeitskräfte werden in den
nächsten Jahren aufgrund der Demografie immer
knapper werden, das ist unausweichlich. Es sei
denn, von irgendwoher bekämen wir noch einen
enormen Zuwanderungsschub. Ich bleibe dabei:
unsere größte arbeitsmarktpolitische Herausfor-

derung in den kommenden Jahren wird sein, dass
uns die Arbeitskräfte ausgehen.
ZEIT: Aktuell bereitet die Regierung sich aber erst
einmal auf einen stärkeren Abschwung vor. Bun-
desarbeitsminister Hubertus Heil will Kurzarbeit
und Qualifizierung im Fall einer Krise großzügi-
ger fördern. Was halten sie davon?
Weber: Das ist insgesamt vernünftig. Kurzarbeit
ist ein gutes Mittel, um Betrieben und ihren Mit-
arbeitern über eine Auftragsschwäche hinwegzu-
helfen. und es ist auch sehr sinnvoll, das mit Qua-
lifizierung zu verknüpfen. Wir erleben ja große
technische Veränderungen, etwa durch die Elek-
tromobilität oder die Digitalisierung. Wenn man
sich darauf nicht einstellt und seine Mitarbeiter
entsprechend schult, droht wirklich eine gefähr-
liche strukturelle Krise. Dann kommt man nicht
so einfach aus dem Abschwung wieder heraus.
ZEIT: Aber brauchen die Firmen deshalb geld
vom staat? sie sagten doch, die würden heute so-
wieso vor Entlassungen zurückschrecken.
Weber: Es gibt natürlich auch heute noch situa-
tionen, in denen eine Firma vor der Frage steht, ob
sie alle ihre Mitarbeiter behalten oder einige ent-
lassen soll. Da kann das Kurzarbeitergeld helfen,
Kündigungen zu vermeiden. Betriebe sichern sich
die Arbeitskräfte, und Kurzarbeit ist ja gerade ein
Mittel dazu. Aber selbst wenn es in einigen Fällen
nicht nötig sein sollte, wenn es also einen Mit-
nahmeeffekt gäbe, hielte ich das bei einer schlech-
ten Wirtschaftslage nicht für so schlimm. Denn in
diesem Fall fließt öffentliches geld in den Wirt-
schaftskreislauf, und damit ist es in so einer Kon-
junkturphase gar nicht so falsch angelegt.
ZEIT: Nach dem Plan von Hubertus Heil soll es
besonders viel geld geben, wenn Arbeitnehmer
während der Kurzarbeit schulungen absolvieren.
Lassen sich sinnvolle Weiterbildungen wirklich so
schnell – je nach Auftragslage – organisieren? Wie
sind die Erfahrungen damit aus der letzten Krise?
Weber: Damals gab es damit noch nicht viele Er-
fahrungen. Da müsste heute hoffentlich mehr
passieren. Ich glaube aber nicht, dass irgendeine
zentrale stelle beurteilen sollte, welche Qualifizie-
rung sinnvoll ist. Wir sagen ja auch nicht: Dieser
oder jener studiengang ist falsch, das sollte man
nicht studieren. solche Entscheidungen müssen
dezentral getroffen werden, man sollte also den
Betrieben und den Beschäftigten vertrauen, dass
sie sich für die Qualifizierungen entscheiden, die
aus ihrer sicht vielversprechend sind. unterstüt-
zung und Beratung dabei sind aber wichtig, denn
Betriebe sind auch keine Bildungseinrichtungen.
ZEIT: sie halten den Plan, Kurzarbeit großzügi-
ger zu fördern, also für rundum gut?
Weber: Am besten wäre es, wenn die Regeln für
Kurzarbeit nicht in jedem Abschwung geändert
würden. Erstens hätten die unternehmen dann
mehr Planungssicherheit, und zweitens gibt es
auch in gesamtwirtschaftlich guten Zeiten immer
Firmen, die in einer Krise stecken. Für sie ist es
genauso wichtig, zu welchen Bedingungen Kurz-
arbeit gefördert wird. Im Idealfall sollte die Politik
also einmal festlegen, wie dieses sicherheitsnetz
ausgestaltet wird, und dann sollten sich Firmen
darauf verlassen können.

Professor Enzo Weber leitet den Forschungsbereich
»Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen« am
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in
Nürnberg

Die Fragen stellte Kolja Rudzio

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Wachstum des Bruttoinlandsprodukts* (quartalsweise) Erwerbstätige**, in Millionen (quartalsweise)

»Der Arbeitsmarkt hat


sich von der


Konjunktur


abgekoppelt«


Enzo Weber

ZEIT-GRAFIK: Jelka Lerche, Quelle: Statistisches Bundesamt, *real, saison- und kalenderbereinigt, **Wohnort in Deutschland, saisonbereinigt; Foto: IAB
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