Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

20 WIRTSCHAFT


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AB FREITAGIMHANDEL

DerFluch


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Während der Finanzkrise stand Axel A. Weber als Präsident der Deutschen Bundesbank im Auge des Orkans.
Gemeinsam mit Angela Merkel und dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück rettete er deutsche Banken
vor der Pleite und bewahrte die Wirtschaft vor dem Kollaps. In seiner Rolle als oberster Aufseher der Banken half
er federführend mit, strenge Regularien für die Branche auf den Weg zu bringen. Die Auswüchse der Branche vor
der Krise sieht er bis heute kritisch. In den letzten acht Jahren hat Weber als Präsident des Verwaltungsrats von
UBS den Umbau der größten Schweizer Bank zu einer der erfolgreichsten europäischen Banken verantwortet
und mit neuen Regeln die Leitplanken für einen tief greifenden Kulturwandel gesetzt.
Im Gespräch mit ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo spricht Axel A. Weber über diesen Rollentausch
und darüber, wie es ist, in den weltwirtschaftlichen Abgrund zu schauen, und wie Banken beim Klimawandel
eine tragende Rolle spielen können.
Ort: Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich | Beginn: 20.00 Uhr | Eintritt: CHF 25,– / ermäßigt CHF 15,–
Tickets unter: http://www.kaufleuten.ch | Folgen Sie uns: @ZEITvst | @zeit_veranstaltungen
Genießen Sie vor dem Gespräch ein feines Abendessen im Kaufleuten Restaurant. Reservationen: +41-44/225 33 33

Axel A. Weber Giovanni di Lorenzo

Eine Veranstaltung von:


  1. SEP TEM BER 2019 · ZÜ RICH


Fotos v. l. n. r.: © Martin Ruetschi, Jim Rakete für DIE ZEIT

Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg

AXEL A. WEBER


IM GESPRACH MIT


GIOVANNI DI LORENZO


SCHWEI ZER GIP FEL


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  1. August 2019 DIE ZEIT No 35


Hier gibt es


nichts zu sehen!


Der Mischkonzern general Electric, einst die Ikone der us-


Industrie, wehrt sich erbittert gegen den Vorwurf, seine Zahlen


geschönt zu haben. Die Aktie stürzt trotzdem ab VON HEIKE BUCHTER


D


ie Behauptung klang unge-
heuerlich: general Elec tric
(gE), der ewige siemens-
Rivale und ein schwerge-
wicht der us-Industrie, ver-
berge ein 38-Milliarden-
Dollar-Loch in seinen Bilan-
zen, behauptete Harry Markopolos. Der Mann ist
nicht irgendein Analyst. Er warnte früh vor einem
der größten us-Finanzskandale der vergangenen
Jahrzehnte und ist heute als eine Art Privatermittler
tätig. sein Wort hat gewicht. Auch deshalb stürzte
der Kurs der Aktie umgehend ab, nachdem er im
us-Fernsehen sagte: »gE steht vor dem Konkurs.«
Aber ist Markopolos auch so unabhängig wie frü-
her? gE-Chef Larry Culp glaubt das nicht. »Das ist
schlicht und ergreifend Kursmanipulation«, sagte
er dem Börsensender CNBC. Culp verwies darauf,
dass Markopolos seinen 175-seiten-Report im
Auftrag eines Hedge fonds geschrieben habe. Mar-
kopolos selbst legte dies in dem Bericht auch offen.
Der Fonds spekuliert auf fallende Kurse von
general Electric.
»gE arbeitet auf höchstem Niveau der Integrität
und steht zu seiner Finanzberichterstattung«, heißt
es in einer stellungnahme des unternehmens.
Dass man ihm nicht glaubt, kennt Markopolos
schon. Er hatte bereits Anfang der 2000er-Jahre die
us-Börsenaufsicht sEC auf ungereimtheiten bei
Bernard Madoffs angeblichen Anlageaktivitäten auf-
merksam gemacht. Markopolos hatte damals als
Börsenhändler bei einer Bostoner Investmentfirma
gearbeitet, die Kunden an Madoff verlor. sein Chef
forderte ihn auf, die strategie von Madoff nach zu-
ahmen. Doch das stellte sich – selbst nachdem Marko-
polos interne unterlagen bekommen hatte – als un-
möglich heraus. so gelangte er zu der Überzeugung,
Madoff sei ein Betrüger. Doch die sEC-Ermittler
glaubten dem unbekannten Händler nicht, sondern
vertrauten auf Madoffs Integrität. schließlich ge-
hörte dieser zu der Zeit zu den angesehensten Inves-
toren der Wall street und war unter anderem der Auf-
sichtsratsvorsitzende der technologiebörse Nasdaq.
Erst in der Finanzkrise brach Madoffs schneeball-
system zusammen: Zu viele Investoren forderten
2008 gleichzeitig ihr geld zurück, und nicht genü-
gend neue Anleger vertrauten Madoff ihr Kapital an.


so konnte er die alten Anleger nicht länger mit dem
geld der neuen Investoren auszahlen. Madoff wurde
2010 zu 150 Jahren gefängnis verurteilt, er soll tau-
sende Investoren um mindestens 18 Mil liar den
Dollar gebracht haben.
Markopolos’ jüngste Attacke gegen gE stützt sich
auf Berichte des unternehmens an Aktionäre und
Behörden sowie Datenbanken, die Markopolos und
sein team laut eigener Aussage mehr als sieben Mo-
nate lang durchstöberten. Im Kern geht es um zwei
Vorwürfe: Zum einen vertusche gE Milliardenver-
luste aus dem geschäft mit Pflegeversicherungen. gE
erklärt in seiner stellungnahme, die Rückstellungen
entsprächen den Vorschriften und seien ausreichend.
Die zweite große unregelmäßigkeit, die der
Finanzdetektiv aufgedeckt haben will, ist die Bewer-
tung von Baker Hughes. gE hatte den Öl- und gas-
fördertechnik-spezialisten 2017 übernommen. In-
zwischen hat der Konzern damit begonnen, seine
Anteile wieder abzustoßen. Laut Markopolos be-
wertet gE die Anteile in den Büchern um 9 Mil liar-
den Dollar zu hoch. gE weist die Behauptung zurück.
Noch vor nicht allzu langer Zeit wären Marko-
polos’ Vorwürfe Blasphemie gewesen. general Elec-
tric ist eine amerikanische Ikone.
Das unternehmen, von dem es hieß, es stelle mit
seiner breiten Produktpalette so etwas wie die us-
Wirtschaft im Kleinen dar, hat den modernen Alltag
geprägt wie kaum ein anderes. 1892 zwang der
Finanzier J. P. Morgan, der, begeistert von der neuen
technologie, als Erster seine stadtvilla in Manhattan
mit elektrischem Licht ausstatten ließ, thomas
Edison, mit einem Konkurrenten zu fusionieren. Der
Name des neuen unternehmens, das von dem Ban-
ker mit Kapital und vom Erfinder mit Ideen ange-
trieben wurde: general Electric. Es blieb nicht bei
der berühmten glühbirne. Es gab eine Zeit, da stell-
te gE vom Atomkraftwerk bis zur elektrischen
Zahnbürste so gut wie alles her, was mit Elektrizität
und Antrieb zu tun hatte. und wenn sie nicht der
erste Hersteller eines neuen Produktes waren, dann
setzten die Amerikaner zumindest alles daran, Markt-
führer zu werden. so wurde gE weltweit zum Vor-
bild – nicht zuletzt musste sich siemens dessen
Erfolge vorhalten lassen.
Doch der 127 Jahre alte us-Konzern hat zuletzt
enorm an glaubwürdigkeit eingebüßt. seine Aktie

gehörte zu den Werten, die Charles Dow 1896 zu
seinem ersten Marktbarometer zusammenfasste. Im
vergangenen sommer flog gE aus diesem Dow- Jones-
Index, in dem die Anteilsscheine der 30 wichtigsten
us-unternehmen versammelt sind.
Die schmach war noch das geringste Problem für
das gE-Management. Die us-Börsenaufsicht und
das us-Justizministerium untersuchen inzwischen
nicht nur die plötzlich notwendigen Rückstellungen
für die Pflegepolicen, sondern auch die Buchungs-
praktiken im geschäftsbereich Elektrizität. Die gE-
Aktie hat seit Anfang 2016 knapp 70 Prozent an Wert
verloren. Haben sich die Amtszeiten früherer gE-
Bosse in Jahrzehnten bemessen, wechselte nun der
Chef innerhalb von nur 14 Monaten gleich zweimal.
um die schuldenlast abzubauen, hat Culp, der aktuell
an der spitze steht, mit der Zerschlagung des tradi-
tionskonzerns begonnen. Die über hundert Jahre alte
Eisenbahnsparte und die Bio-Pharma-sparte sind
bereits verkauft. selbst das geschäft mit den klassi-
schen glühlampen, mit denen general Electric einst
angefangen hatte, wäre wohl längst abgestoßen. Es
findet sich offenbar nur kein Käufer.
Für die 265.000 Mitarbeiter ist der Absturz
beängstigend. Aber auch 610.000 ehemalige gE-
Angestellte fürchten um ihre Rente. Diese speist sich
vor allem aus den Pensionskassen. Die Wertpapiere
von gE liegen zudem in Zigtausenden privaten
Pensionsfonds.
Nun könnte sich rächen, was gE seit Jahrzehnten
auszeichnet: ein Personenkult, wie ihn sonst wohl nur
die deutsche Autoindustrie zelebrierte.
Die Heimat von gEs Managerkult ist Cro ton ville.
Mit dem Pendlerzug sind es nur 50 Minuten von
Manhattan bis dort. Versteckt in einem seitental des
Hudson gelegen, ist es kein eigentlicher Ort, sondern
seit den Fünfzigerjahren die Kaderschmiede für gEs
top-Leute. Cro ton ville hatte in Managerkreisen einen
ähnlichen Ruf wie der Aschram bei Bhagwan-Jün-
gern. Die Anlage mit den flachen Backsteingebäuden
und dem fernöstlich anmutenden Landschaftsgarten
wirkt auf Besucher wie eine Mischung aus univer-
sitätscampus und sanatorium. Hier lernten die Füh-
rungskräfte des Konzerns jene fast schon mythischen
Methoden, mit denen sie gE profitabler und schlag-
kräftiger als die Konkurrenz machen sollten. Von der
schlichten Fortbildungsstätte zum Managermekka

hat es Jack Welch entwickelt. Niemand trieb den
starkult um die unternehmenslenker so auf die
spitze wie Welch. Als er 1981 die Führung von gE
übernahm, war er mit 46 Jahren der jüngste Chef der
Firmengeschichte. sein spitzname lautete Neutron
Jack (nach der Neutronenbome benannt). sein Wahl-
spruch hieß »Fix, close or sell«, und so feuerte er gna-
denlos Mitarbeiter oder sparte stellen in den Fabriken
ein, wenn die geschäfte nicht liefen. Mehr als
100.000 Arbeitsplätze strich Welch in den Achtziger-
jahren. Anteilseigner verwöhnte er hingegen mit
stetigem gewinnwachstum, die Aktie stieg in seiner
Amtszeit um sagenhafte 4000 Prozent. Welch erreich-
te das weniger mit Industrieprodukten wie turbinen
oder Waschmaschinen, sondern vor allem mit einer
internen Hausbank. Eine strategie, auf die sich gEs
heutige Probleme in erster Linie zurückführen lassen.
Zunächst war es eine sinnvolle Ergänzung – die
Kunden konnten ihre Windkraftanlagen oder Loko-
motiven über das konzerneigene Finanzinstitut
finanzieren. Doch bald bot die gE-Finanzsparte weit
mehr: Autokredite, Kreditkarten und Hypotheken


  • und ebenjene Pflegeversicherungen, die zu den
    heute umstrittenen Verlusten geführt haben. gE
    Capital wurde zu einem der größten us-Finanz-
    konzerne. Die Finanzsparte versetzte die Manager
    von general Electric in die Lage, die gewinnentwick-
    lung zu managen. Blieb das Ergebnis der Industrie-
    sparten unter den Erwartungen der Aktionäre, konn-
    te das unternehmen kurzfristig Finanzinstrumente
    veräußern. so ließen sich zuverlässig gewinne erzie-
    len und exorbitante Vorstandsgehälter rechtfertigen.
    In der Finanzkrise 2008 war damit schluss. Der
    staatliche Einlagensicherungsfonds, eigentlich nur
    für Banken zuständig, garantierte 140 Mil liar den
    Dollar an schulden des unternehmens. Zusätzlich
    half die us-Notenbank mit stützungsprogram-
    men. Nach der Krise kam gE Capital unter stren-
    gere Aufsicht. Das passte Jeffrey Immelt, Welchs
    Nachfolger, gar nicht. Er schrumpfte die Finanz-
    sparte und kündigte eine Rückbesinnung auf das
    industrielle Kerngeschäft an. Fortan investierte gE
    Mil liar den in Öl- und gasunternehmen wie Baker
    Hughes. Da allerdings stand der Ölpreis bei 120
    Dollar pro Barrel. Doppelt so hoch wie heute.
    Auch die Übernahme der Energiesparte des fran-
    zösischen Alstom-Konzerns erwies sich für Immelt


als Flop. Mit 17 Mil liar den Dollar wurde es 2015
die teuerste Akquisition in der unternehmens-
geschichte. Doch auch hier war Immelt zu spät
dran. Die Nachfrage nach Kraftwerken, Alstoms
wichtigster sparte, ging zurück.
Im Juni 2017 trat Immelt zurück. sein Nach-
folger wurde John Flannery. Als gE im vergange-
nen Oktober bekannt gab, 22 Mil liar den Dollar

für die angeschlagene Elektrizitätssparte, in die
Alstom integriert wurde, abzuschreiben, hieß der
CEO bereits Culp. Der 55-Jährige, der den hava-
rierten Konzern nun wieder flottmachen soll, ist
der Erste an der gE-spitze, der nicht aus den
eigenen Reihen kommt.
Ob er sich halten kann, hängt allein davon ab, ob
Markopolos recht behält. Die Aktie jedenfalls stürz-
te erst mal kräftig ab und erholte sich zunächst kaum.

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In der Mongolei guckt
ein Ingenieur aus
einem GE-Windrad

Foto: Taylor Weidman/Bloomberg/Getty Images
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