Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1
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  1. August 2019 DIE ZEIT No 35 WIRTSCHAFT 25


D


er südwesten Frankreichs ist be-
kannt für Bordeaux. Er dürfte
reichlich fließen, wenn am Wo-
chenende die staats- und Regie-
rungschefs der g7 in Biarritz zu-
sammenkommen, dort, wo schon Otto von Bis-
marck und Napoleon III. im Jahr 1865 wenig er-
folgreiche Friedensgespräche führten. Französi-
scher Wein ist nun auch auf die gipfelagenda ge-
rückt, denn zwischen Frankreich und den usA ist
ein streit entbrannt: Paris besteuert seit dem 1.
Januar 2019 rückwirkend digitale großkonzerne
wie google und Amazon. Dagegen will Washing-
ton mit höheren Zöllen auf französischen Wein
vorgehen.
Zu Wochenbeginn lud das amerikanische Han-
delsministerium die Vertreter großer technologie-
konzerne zu einer Anhörung. sie sollten sich zur
Digitalsteuer äußern. Ihre Antworten klangen dra-
matisch: »Beunruhigender Präzedenzfall«, »diskrimi-


nierende steuer«, »brutaler Bruch lange etablierter
Regeln«, hieß es von google, Amazon, Facebook und
Co. Aus Frankreich meldete sich nur ein einsamer
Vertreter der Organisation französischer großkon-
zerne zu Wort. Er sagte, die usA sollten doch vor der
Welthandelsorganisation klagen. Doch Donald
trump denkt gar nicht daran. Er brachte im gegen-
zug Zölle auf französischen Wein ins spiel. Mit
dieser Idee reist er nun ins Land des Bordeaux.
Für den gastgeber Macron bietet die Begeg-
nung mit trump in Biarritz eine ausgezeichnete
gelegenheit: Er könnte sich als Kämpfer für die
französischen Weinbauern gegen die Macht der
amerikanischen Digitalkonzerne präsentieren. Als


B


ürgerinitiativen protestieren seit
Jahren gegen stromtrassen, die
künftig Energie von Nord- nach
süddeutschland transportieren
sollen. sie wollten zwar die Ener-
giewende, heißt es da, aber eine
andere: mit dezentraler Erzeugung
aus erneuerbaren Energien und speichern, mit ei-
ner Optimierung der Netze und einer flexiblen
Nachfrage. Vergangene Woche schrieb Claudia
Kemfert in der ZEIT, eine solche Energiewende
biete Alternativen zu den bisherigen Plänen. und
verspricht damit, was die Bürgerinitiativen wollen:
Weniger Netze. Leider ist es nicht so einfach.
Ende 2022 wird das letzte Atomkraftwerk in
Deutschland abgeschaltet, der Ausstieg aus der Kohle-
verstromung ist schon beschlossen. Wollen wir diesen
strom danach durch Wind- und sonnenenergie er-
setzen, brauchen wir die neuen Leitungen, um Ent-
fernungen zu überbrücken. Denn die meisten dieser
großkraftwerke stehen rund um die Industrie-
regionen mit ihrem hohen stromverbrauch im
Westen und süden Deutschlands oder direkt neben
den Braunkohle-Abbaugebieten. Erneuerbarer strom
wiederum wird vor allem dort erzeugt, wo weniger
Verbraucher zu finden sind – Windstrom zum Bei-
spiel in den ländlichen Regionen im Norden und
Nordosten Deutschlands und auf hoher see.
Es stimmt, die Betreiber der stromnetze sind
Monopolisten, die ihr geld mit Leitungen verdienen.
Die schlussfolgerung von Frau Kemfert allerdings,
dass der Ausbau des Netzes deswegen oftmals zu
massiv geplant sei, stimmt nicht. Die Netzbetreiber
unterliegen einer strengen Kontrolle durch die Bun-


Auf den Frieden


So einfach ist es nicht!


Bei der Energiewende gibt es keine Alternative zum Bau neuer stromtrassen. Eine Antwort auf Claudia Kemfert VON JOCHEN HOMANN


ANALYSE

FORUM

ANALYSE UND MEINUNG


Das Potenzial von solarenergie wird ebenfalls
überschätzt. Natürlich ist die Förderung dezen-
traler solaranlagen auf gebäudedächern ein
wichtiger Bestandteil der Energiewende. Haus-
halte machen aber nur knapp ein Viertel am
deutschen stromverbrauch aus. und selbst wenn
sich die heutige Fotovoltaikleistung verdoppelt,
wie wir es der Netzplanung bis 2030 zugrunde
legen, wird sie nur etwa ein sechstel des prog-
nostizierten strombedarfs decken. Obwohl wir
also von erheblichen Zuwächsen bei der solar-
energie ausgehen, brauchen wir die Leitungen.
Daran ändern auch speicher nichts, die Frau
Kemfert anführt: um zum Beispiel den strom für
eine dreiwöchige Dunkelflaute in der Metropol-
region Nürnberg mit 3,6 Millionen Einwohnern
vorzuhalten, entsteht ein speicherbedarf, der über
36 Millionen stehenden Elektroautos entspricht.
Das sind zehn Elektroautos pro Einwohner. Oder
man müsste in der Region 130 große Pumpspei-
cher errichten und zum Ausgleich der Flaute ge-
füllt vorhalten. Heute gibt es 36 Pumpspeicher –
bundesweit! selbst in den Bergen lassen sich die
nötigen speicherkapazitäten weder zu vernünfti-
gen Kosten noch mit vertretbaren Eingriffen in
Landschaft und Natur schaffen. ganz abgesehen
davon sind die Berge von Nürnberg weit entfernt.
uns ist wichtig, dass nur Leitungen gebaut
werden, die auch nach einem Kohleausstieg ge-
braucht werden. Die Behauptung von Frau Kem-
fert aber, die Leitungen seien entbehrlich, weil die
Windproduktion im Norden lediglich die dort
wegfallende Kohle ausgleiche, hält einer genaueren
Prüfung nicht stand. sie lässt nämlich das Kern-

problem ungelöst, dass vor allem im süden die
Erzeugungsanlagen fehlen werden, während die
prognostizierte Winderzeugung im Norden mit
knapp 160 terrawattstunden den dortigen Ver-
brauch von nicht ganz 100 terrawattstunden sehr
deutlich übersteigt.
Bleibt schließlich der Wunsch, den Netzausbau
zu reduzieren, indem die strommenge durch
unterschiedliche tarife zu unterschiedlichen
Zeiten gesteuert und gedrosselt wird. Wir können
nicht erkennen, dass sich das Verhalten der Men-
schen in den nächsten Jahren in Richtung einer
flexiblen Nachfrage lenken ließe. Wenn über-
haupt, werden Haushalte und unternehmen nied-
rige strompreise nutzen, wenn viel Windenergie
eingespeist wird. Im Interesse der Vermeidung von
Kohlendioxid wäre das gut. Der Netzausbau aber
würde weiter steigen, weil der zusätzliche Ver-
brauch in Momenten entstünde, in denen das
stromnetz ohnehin ausgelastet ist.
Dezentrale Erzeugung, speichertechnologien,
flexible Nachfrage und Optimierung der Netze –
keines dieser Elemente ist falsch. Falsch ist das
Denken in gegensätzen: Wir werden alles brau-
chen, um die Ziele der Energiewende zu erreichen.
Allein um den Netzausbau nicht noch über die
aktuellen Planungen hinauswachsen zu lassen.
Frau Kemfert überschätzt jedoch das Potenzial der
einzelnen Elemente. Ein Verzicht auf die strom-
leitungen gefährdet nicht nur die sichere strom-
versorgung, sondern auch die Energiewende.

Jochen Homann ist seit 2012 Präsident der
Bundesnetzagentur in Bonn

Brunsbüttel
Wilster

Großgartach

Emden

Osterath

Wilhelmshaven

Uentrop

Heide

Polsum

Philippsburg

Grafenrheinfeld

Wolmirstedt

Isar

Die Gegenseite


Deutschland plane mehr stromleitungen,
als es wirklich brauche, schrieb
die Energieexpertin Claudia Kemfert
vergangene Woche an dieser stelle

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desnetzagentur und dürfen neue Leitungen nur
bauen, wenn Politik und Verwaltung diese für
erforderlich halten. Deswegen überprüfen Elek-
troingenieure und Wissenschaftler in der Netz-
agentur regelmäßig die Ausbaupläne der unter-
nehmen in aufwendigen Modellrechnungen.
Wir stellen die Ergebnisse ins Netz, und jeder-
mann hat die Möglichkeit, sie zu kommentieren.
In der Vergangenheit haben uns dabei über
30.000 stellungnahmen erreicht, mit denen wir
uns auseinandergesetzt haben. Zum schluss
stimmen Bundestag und Bundesrat über unsere
Empfehlung ab. Ein höheres Maß an fachlicher
und demokratischer Legitimation gibt es nicht.
Wir setzen bei der Überprüfung der Pläne
noch dazu immer auf die Hilfe externer Wissen-
schaftler, zum Beispiel der RWtH Aachen oder
der technischen universitäten in graz und Dort-
mund. Das Ergebnis dabei war immer wieder,
dass die Mehrzahl der von den Netzbetreibern
vorgeschlagenen Leitungen zwar erforderlich sind.
In der Regel aber haben wir die Planungen den-
noch um gut ein Drittel zusammengestrichen.
Alles Einsparpotenzial, technisches und wirt-
schaftliches, wird mitgedacht – auch in der Hoff-
nung auf künftige Innovationen. Das übersieht
Frau Kemfert in ihrer Argumentation – von einem
zu massiven Netzausbau kann keine Rede sein.
Auch die Idee, man könne den Ausbau mit
dezentraler Erzeugung und speichern reduzieren,
ist unrealistisch. Die Ballungszentren lassen sich
nicht nur mit regional erzeugtem erneuerbaren
strom versorgen. Dazu fehlen die Flächen und
gelegentlich auch die politische unterstützung.

einer, der sich traut, die bisher für den Fiskus
unerreichbaren zu ärgern.
seit seinem Amtsantritt hat Macron eine
Digitalsteuer zur zentralen gerechtigkeitsfrage
seiner Wirtschaftspolitik erklärt. sie ist zudem
Ausdruck einer verstärkten Kapitalismuskritik,
die Macron und sein Finanz- und Wirtschafts-
minister Bruno Le Maire seit der französischen
gelbwesten-Krise vor sich hertragen. »Der Ka-
pitalismus des 20. Jahrhunderts hat zur Zer-
störung unserer natürlichen grundlagen, zum
Wachstum der ungleichheit und zum Aufstieg
autoritärer Regime geführt. Wir müssen ihn
ändern«, sagte Le Maire kürzlich dem Pariser
Magazin Le Point. Also wollen Macron und Le
Maire das Problem anpacken und mit den
größten Profiteuren von heute anfangen: den
technologiekonzernen.
Ob die steuer tatsächlich ein starker Angriff
auf google und andere unternehmen ist, lässt
sich freilich bezweifeln. Die steuer umfasst drei
Prozent des französischen umsatzes von unter-
nehmen, die weltweit mehr als 750 Millionen
Euro im Jahr umsetzten und davon mehr als 25
Millionen Euro in Frankreich. Betroffen dürften
schätzungen zufolge rund 30 unternehmen sein,
davon die große Mehrzahl aus den usA. Diese
tatsache brachte Donald trump auf: »Wenn ir-
gendjemand sie besteuert, dann ihr Heimatland
usA. Wir werden substanzielle Maßnahmen
gegen Macrons Dummheit in Kürze verkünden.
Ich habe immer gesagt, dass amerikanischer Wein
besser ist als französischer«, twitterte er.
unklar ist auch, welche Allianzen Macron
für seine steuer schmieden kann. Deutschland
verwehrt ihm bislang die unterstützung, aus
Rücksicht auf die heimische Autoindustrie, die
us-strafzölle fürchtet. Das britische Finanz-
ministerium stellte dagegen Anfang Juli eine
eigene steuer vor, die der französischen ähnlich
ist. umso spannender war vor dem g7-gipfel
die Frage, ob der neue britische Premierminis-
ter Boris Johnson den Plan wieder kassieren
würde. Auch Österreich, spanien und tsche-
chien haben sich auf Macrons seite gestellt.
Macrons eigentliches Ziel ist es, aus der na-
tionalen eine globale steuer zu machen. Dafür
bedarf es der Zustimmung der anderen staats-
und Regierungschefs. Das sei der »schwierigste
schritt«, sagte Le Maire. gelänge dies, wäre
womöglich sogar der Weg für eine von der In-
dustriestaatenorganisation OECD geplante,
weltweite Digitalsteuer ab Ende 2020 frei.
Allerdings spricht wenig dafür, dass die fran-
zösischen gastgeber ihre kritischen gäste um-
stimmen können. 1870, fünf Jahre nach dem
treffen zwischen Bismarck und Napoleon III.,
herrschte Krieg zwischen Frankreich und
Deutschland. Der amerikanisch-französische
Handelskrieg könnte schon im nächsten Mo-
nat beginnen.

Warum die g7-Chefs in Biarritz neben der neuen französischen Digitalsteuer
auch über Wein streiten werden VON GEORG BLUME

Illustration: Carolin Eitel für DIE ZEIT
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