Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 35


W


enn es wirklich wichtig
wird, stellt sich Fritz Keller
in den Dienst der Mann-
schaft. Zum Beispiel an
einem Freitagabend im
Februar 2014. Nach ei-
nem torlosen Bundesliga-
spiel in Berlin war der Freiburger Betreuerstab noch
nicht müde. Also zog er, angeführt vom Präsidenten
Keller, heute 62, in die Berliner Nacht. Als sie im
Restaurant Pauly saal ankamen, war dort die Küche
schon geschlossen, der Hunger jedoch groß. Keller
sprach mit den Kellnern. Er ist selbst gastronom,
auch Weinhändler und Winzer, in der Welt der
gastlichkeit kennt er sich aus. Bald darauf wurden
steaks von einem Lokal aus der Nachbarschaft ser-
viert. »Der Fritz kann so was«, sagt einer, der damals
dabei war.
Vergangenen samstag, kurz vor halb vier, erfüllt
Keller wieder präsidiale Pflichten. In wenigen Mi-
nuten beginnt für den sC Freiburg mit einem
Heimspiel gegen den 1. FsV Mainz 05 die Bun-
desligasaison. Die spieler machen sich gerade
warm, da betritt Keller den Rasen, um das
20.000ste Vereinsmitglied zu ehren. und dann soll
er sich zu einer sache äußern, über die er bislang
geschwiegen hat. Wie geht er damit um, als neuer
Chef des Deutschen Fußballbundes (DFB) vor-
geschlagen worden zu sein? »Ich hatte viele schlaf-
lose Nächte«, sagt er mit seiner weichen stimme.
»Der sC Freiburg wird immer mein Herzensverein
bleiben.« Applaus, selbst von den ultras auf der
Nordtribüne, von denen man doch erwartet hätte,
dass sie es ihm übel nehmen würden. Aber Keller
verzeihen sie hier viel, selbst wenn er nach einem
schiedsrichterpfiff einmal ausrastet. In Freiburg
war schon immer mehr Harmonie.


Keller ist Diplomat und vereint
Spitzenweine mit Massenware bei Aldi


Der sC ist ja auch ein besonderer Club, dessen
gehaltsetat für den gesamten Kader mit geschätzten
15 Millionen Euro etwa doppelt so hoch ist wie die
Ausleihgebühr für Bayerns neuen star Philippe Cou-
tinho. Das Breisgauer saisonziel seit Jahr und tag:
Nichtabstieg.
Die Freiburger Bescheidenheit hat offenbar die
Mitglieder der sogenannten Fin dungs kom mis sion
des DFB beeindruckt. sie schlägt vor, Keller im
september zum neuen Präsidenten zu wählen. Das
Votum hat ein derart braves Echo ausgelöst, dass
man denken könnte, ganz Fußballdeutschland sei
jetzt Freiburg. Leverkusens sportchef Rudi Völler


sagt: »Fritz Keller wird das Amt wunderbar aus-
füllen.« uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern,
sagt: »Eine sehr gute Entscheidung.« Hans-Joa-
chim Watzke, geschäftsführer von Borussia Dort-
mund, sagt: »Ein topvorschlag.«
In wenigen Wochen könnte Keller damit ein an
Affären reiches Amt antreten. so sind die früheren
Verbandschefs Wolfgang Niersbach und theo
Zwanziger in der schweiz wegen undurchsichtiger
Zahlungen im Zuge der Weltmeisterschaft in
Deutschland 2006 angeklagt. Reinhard grindel ist
abgetreten, weil er sich von einem ukrainischen
Oligarchen eine 6000 Euro teure uhr hat schen-
ken lassen. Der DFB braucht jetzt dringend einen,
der aufräumt und den Verband wieder sympa-
thisch macht. Letzteres kann Keller, er ist ein guter
Verkäufer. schwieriger wird es, die unterschiedli-
chen Interessen zwischen Profis und Amateuren
auszugleichen – erst recht, wenn man von außen
kommt. Keller selbst sagt dazu nichts, er will sich
erst den Landesverbänden vorstellen, ehe er den
Medien zu diesen Fragen Interviews gibt.
Wer mehr über Keller erfahren will, der muss
nach Oberbergen. Vom schwarzwald-stadion in
Freiburg sind es 24 Kilometer. Es geht raus aus der
stadt, durch die Ebene, hinauf auf die sanften
Hügel des Kaiserstuhls. Dort lebt Keller, und dort
liegt auch der schwarze Adler, für den seine Mut-
ter im Jahr 1969 als Autodidaktin einen Michelin-
stern erkochte, den das Restaurant seither unun-
terbrochen führt. Auf der anderen straßenseite
liegt der Rebstock, ein Restaurant mit preiswerter,
herzhafter Küche, das Keller vor Jahren hinzukauf-
te. Am Ortsausgang dann die Weinkellerei mit der
»Kellerwirtschaft«. Rund 40 Hektar Reben bewirt-
schaftet er, je nach Jahr produziert er etwa 300.000
Flaschen. Weißburgunder, grauburgunder, spät-
burgunder, alles im eher hochpreisigen segment.
Das ist gewissermaßen die Profiabteilung, aber er
kann auch Masse. seit mehr als zehn Jahren koope-
riert Keller mit dem Discounter Aldi. Rund 350
Winzerfamilien aus Baden halten sich an gewisse
Qualitätsstandards und bekommen dafür mehr geld
für ihre trauben. Der daraus gekelterte Wein wird
dann bei Aldi unter dem Namen »Edition Fritz Kel-
ler« verkauft. Anfangs war der Widerstand riesig. In
Winzergenossenschaften gab es Protestversamm-
lungen. Keller riskierte seinen guten Namen – setzte
sich aber durch. Der Absatz gab ihm recht.
Einmal gefragt, wie das zusammenpasst, Kulina-
rik, Wein und Fußball, sagte Keller: »Es sind Dinge,
die Menschen Freude machen.« und vielleicht muss
man es auch gar nicht überhöhen. Keller ist eben
Winzer und »Fußball-Freak«, wie es der sC-trainer

Christian streich ausdrückt. Wahrscheinlich war es
für Keller sogar unmöglich, alldem zu entkommen.
In der Kirche hinter dem schwarzen Adler wurde er
getauft. Ein Freund seines Vaters war der taufpate:
Fritz Walter, Kapitän der deutschen Nationalmann-
schaft, die 1954 Weltmeister wurde. und deshalb
wurde Keller der Name Friedrich Walter gegeben,
und auch er wird seither Fritz genannt.
Als 1954 die WM-sieger um Fritz Walter und
Helmut Rahn nach dem Finale in Ruhe feiern woll-
ten, versteckten sie sich in Oberbergen. Die Dorf-
bewohner nahmen sie in ihren Wohnzimmern auf,
gefeiert wurde im schwarzen Adler. Im Rebstock
hängt heute ein trikot von Rahn, der das entschei-
dende tor zum 3 : 2 gegen ungarn schoss. unter-
schrieben hat er darauf mit »herzlichen grüßen«.
Im schwarzen Adler begrüßt Keller die gäste
persönlich, selbst in diesen für ihn so turbulenten
tagen. Er führt dort auch diplomatische gesprä-
che. Regelmäßig lädt er Präsidiumsmitglieder von
gäste-Clubs am Vorabend von spielen dorthin
ein. Man lernt sich kennen, kann in Ruhe über
alles Mögliche reden. Da Oberbergen doch etwas
abgelegen ist, kriegen es dann auch nicht zu viele
Leute mit, wenn es mal um etwas Diskretes geht.
Als unternehmer führt er einen mittelständi-
schen Betrieb mit rund 120 Mitarbeitern. Ein
sohn ist Winzer, der zweite hat Koch gelernt, der
dritte ist Fußball-scout.
Als Präsident führt Keller einen »eingetragenen
Verein«, bei dem die Profi-Abteilung nicht in eine
Kapitalgesellschaft ausgelagert ist, eine seltenheit
in der Bundesliga. Wobei zur Vollständigkeit auch
gehört, dass der sC Freiburg im vergangenen
Herbst die satzung geändert und dem Präsidenten
das operative geschäft entzogen hat. Die inhaltli-
che Arbeit erledigen nun die Fachabteilungen,
während der Präsident vor allem repräsentiert.
Zuvor galt Keller als einer, der sich auch gerne ein-
mischt. Nicht alle in der geschäftsstelle scheinen
über die neue Arbeitsteilung unglücklich zu sein.
Beim DFB würde Keller ähnliche strukturen vor-
finden, er wird dort vor allem repräsentieren müs-
sen, was ihm entgegenkommen dürfte.
Vergangenen samstag kommt er gegen Mit-
tag mit dem Fahrrad zum Bundesliga-Auftakt
der Frauen gegen den FC Bayern München, ehe
er kurz vor halb vier bei den Männern ist, bei
Anpfiff auf seinem stammplatz hinter der gäs-
tebank, Block BB. Freiburg schlägt Mainz eini-
germaßen unverdient mit 3 : 0. Danach ist er
gelöst, marschiert durch die Menge. »glück-
wunsch, Herr Keller!« – »Können sie hier unter-
schreiben?« – »Ein Foto?« Er nimmt sich viel

Zeit, genießt die Aufmerksamkeit und schwitzt
im schwarzen Jackett.
Derweil treffen sich die ultras am Bierstand von
Chico unter der Nordtribüne. Es geht um den für
2020 angekündigten umzug ins neue stadion. Keller
hat hart dafür gekämpft, selbst bei Ministerpräsident
Winfried Kretschmann (grüne). Jahre hat es
gedauert, unterschiedliche standorte wurden dis-
kutiert. Am Ende gab es in Freiburg einen Bürger-
entscheid, zu dem nicht nur Keller und der Club,
sondern auch die ultras mobilisiert haben. Zum
ersten spieltag der neuen saison haben sie für das alte
stadion ein riesiges Abschiedsbanner gebastelt. Einer
der Organisatoren sagt über Keller: »Wenn er was
machen will, dann macht er’s. schade, dass er geht.«

Wenn es eng wird für seinen Club,
schmeißt er auch beliebte Trainer raus

Nicht immer war diese Bande so eng. Etwa als Keller
als Vorstandsmitglied in der saison 2006/2007 Vol-
ker Finkes Rausschmiss betrieb. Finke ist der Vater
des Freiburger Wunders. 1991 wurde er trainer, 1993
schaffte er zum ersten Mal in der geschichte des
Clubs den Aufstieg in die erste Liga. Dreimal stieg er
ab, aber immer wieder auf. 2006, nach einer
0 : 4-Heimniederlage gegen den Karlsruher sC, wur-
de vereinbart, dass Finke nach der saison nicht ver-
längern würde. Da hatte Keller plötzlich die halbe
stadt gegen sich. Im stadion skandierten Fans: »Wir
sind Finke!« Es waren harte Wochen für Keller, der
sich später sehr pragmatisch verteidigte: »Er hat viel
geleistet, er war 16 Jahre unser trainer. Das ist Bun-
desligarekord.«
Doch es dauerte Jahre, ehe sie in Christian streich
wieder einen hatten, der zu ihnen passt. Als streich
2015 absteigt, hält Keller zu ihm. »Wir hätten das
nicht gemacht, wenn wir uns nicht sicher gewesen
wären, dass wir mit ihm wieder aufsteigen«, sagte
Keller. Auch in Freiburg zählt der Erfolg. und wenn
der gefährdet ist, rastet Keller schon mal aus.
Etwa beim spiel gegen Herta BsC an einem
kalten Novembertag im Jahr 2011. In der 82.
Minute erkennt der schiedsrichter dem sC Frei-
burg den Ausgleichstreffer zum 2 : 2 ab. Da rennt
der Vereinschef wild fluchend zur Ersatzbank der
Berliner. »so etwas habe ich bei einem Funktions-
träger in der Bundesliga noch nicht erlebt«, schimpft
Hertha-Manager Michael Preetz nach dem spiel.
Doch das ist längst vergessen. Im ZDF sagte
Preetz gerade: »Wir in Berlin finden, dass das eine
sehr gute Wahl des DFB ist.«

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Wasser zu Wein


Fritz Keller ist Winzer, gastronom, Präsident des sC Freiburg und soll nun auch noch den Deutschen Fußballbund retten. Eine heikle Mission – für beide VON INGO MALCHER


Amateure


und Affären


Der Verband
Mit mehr als sieben Millionen
Mitgliedern ist der DFB der größte
sportverband Deutschlands. Es
gehören ihm über die
Landesverbände 24.544 Vereine an.

Die Skandale
Der DFB steht massiv unter Druck.
Wegen undurchsichtiger Zahlungen
im Zusammenhang mit der Vergabe
der Fußballweltmeisterschaft 2006 an
Deutschland hat die schweizer
staatsanwaltschaft Anklage gegen
frühere spitzenfunktionäre des
Verbandes erhoben. Anfang April trat
Reinhard grindel vom Amt des
Präsidenten zurück. Derzeit führen
den Verband Rainer Koch und
Reinhard Rauball kommissarisch.

Die Zukunft
Im september wird ein neuer
Präsident gewählt. Der soll die
gegensätze des Amateur- und Profi-
lagers überbrücken und erreichen,
dass der Verband vom Finanzamt als
gemeinnützig anerkannt bleibt.
Dieser status, der mit erheblichen
steuervorteilen einhergeht, wird von
vielen Experten angezweifelt.

Der womöglich bald wichtigste Sportfunktionär Deutschlands im Stadion des SC Freiburg

WAS BEWEGT FRITZ KELLER?


26 WIRTSCHAFT


Fotos: Patrick Seeger; Christof Koepsel/Getty Images (u.)
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