Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

B


lätter kräuseln sich, werden schon im
Sommer braun. Zweige und Triebe
sterben ab, am Ende ganze Baum-
gruppen. Das Wetter der vergange-
nen Monate hat dem Wald zugesetzt,
Fichten und Kiefern, Buchen und Ulmen ver-
trocknen. Jetzt schlagen die Waldbauern Alarm,
sie sorgen sich um ihre Bäume und um ihr Ein-
kommen. Der Präsident der privaten Waldbesit-
zer, Hans-Georg von der Marwitz, sagt: »So eine
dramatische Entwicklung hätte man sich doch
niemals vorstellen können.«
Aber stimmt das? Darüber, ob Försterinnen und
Waldbauern mit falscher Bewirtschaftung selbst
zum Problem beigetragen und die Bedrohung ver-
drängt hätten, wie es manche Naturschützer sehen,
ist Streit entbrannt – und mehr noch über die
Frage: Was muss geschehen, damit der Wald die
Auswirkungen des Klimawandels übersteht?
Waldbesitzer-Präsident von der Marwitz, selbst
CDU-Bundestagsabgeordneter, findet bei seinen
Parteifreunden Gehör. Die Landesforstminister der
CDU forderten in einer »Moritzburger Erklärung«
800 Millionen Euro vom Bund, damit Förster und
Bäuerinnen ihre Wälder von Schadholz befreien
und neu bepflanzen können. Bundeslandwirt-
schaftsministerin Julia Klöckner, ebenfalls CDU,
will 500 Millionen aus dem Energie- und Klima-
fonds abzweigen, unter anderem für ein »mehrere
Millionen Bäume« starkes Aufforstungsprogramm.
An den Wurzeln des Problems setze dies nicht
an, kontert Ulrike Höfken (Grüne), Umwelt-
ministerin von Rheinland-Pfalz. Gemeinsam mit
anderen grünen Landesministern, Fachpolitikern
und der Parteispitze plädiert sie für eine »Öko-
logisierung« der Wälder, einschließlich einer
»Urwald-Offensive«. In ihrem aktuellen Papier
fordert die Partei eine Milliarde Euro für einen
»Waldzukunftsfonds«. Zuletzt mischte sich die
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD)
ein. Sie forderte einen »Paradigmenwechsel im
Wald« – eine Provokation an die Adresse ihrer
Kabinettskollegin Klöckner.

Der Wald ist zum Politikum geworden. So
heftig wurde zuletzt in den Achtzigerjahren über
ihn diskutiert. Damals drohte ein Waldsterben als
Folge der Luftverschmutzung. Politiker schrieben
Filter für Autos, Kraftwerke und Fabriken vor, so
wurde die Katastrophe abgewendet. Mit dem
Klimawandel kehrt die Angst von damals zurück:
Ob der Wald diesmal wirklich stirbt?
Wie es aktuell um die Wälder in Deutschland
steht, weiß Allan Buras von der TU München.
Buras hat vor wenigen Wochen den »Waldzustands-
monitor« veröffentlicht. Dieses System wertet
Satellitendaten aus. Aus ihnen lässt sich anhand des
Spektrums des reflektierten Lichts messen, wie stark
Pflanzen unter Stress stehen. Kurz gesagt: Je weniger
grün, desto schlechter geht es ihnen.
Buras öffnet eine Website, es taucht eine
Landkarte auf. Wo in Deutschland Wald wächst,
sind bunte Punkte zu sehen. Die Messungen der
Vergangenheit erlauben es, auf Zeitreise zu gehen.
Buras spult vor, von Mai bis Ende Juli. Anfangs
sind große Teile blau gefärbt, den Wäldern geht
es gut. Dann werden mehr und mehr Punkte
gelb, hellrot, dunkelrot – also krank. Das letzte
Bild zeigt: So schlecht wie in diesem Sommer
ging es großen Teilen des deutschen Waldes
schon sehr lange nicht mehr. Besonders der
Harz, die Kiefernwälder im Osten und der Baye-
rische Wald sehen katastrophal aus.
Einen Dürresommer verkraften die meisten
Bäume, doch Klimakrise bedeutet, dass sich solche
Extremereignisse häufen. Im vergangenen Jahr-
hundert waren 1947 und 1976 besonders heiß und
trocken. Das neue Jahrtausend begann 2003 mit
einem Jahrhundertsommer, dann folgten 2015 und
2018 sehr trockene Jahre. Und nun schon wieder
viele Monate Hitze und Trockenheit.
Wie einzelne Pflanzen auf diesen Stress rea-
gieren, untersucht Buras’ Kollege Christian Zang
anhand von Bohrkernen aus Stämmen. Sein
Fazit: »Wenn man auf die Jahrringe schaut, sieht
man, dass es vielen Bäumen schon länger schlecht
geht.« Eigentlich bräuchten sie nach einem

Sommer wie dem von 2018 einige Jahre, um sich
zu erholen. Einen Überblick darüber zu bekom-
men, wie groß der Schaden ist, ist nicht ganz
leicht. Die Arbeitsgemeinschaft der Waldeigen-
tümer spricht von 70 Millionen vertrockneten
Festmetern Holz seit 2018 und 110.000 Hektar
kahlen Flächen durch Waldverlust. 2,1 Milliarden
Euro würde es kosten, die Schäden zu beseitigen,
Wiederbewaldung nicht eingerechnet.
Doch genau davon – im großen Stil neue Bäume
zu pflanzen – halten andere Fachleute nicht be-
sonders viel. Einer von ihnen sitzt in Eberswalde.
Die Kreisstadt im Nordosten Brandenburgs ist ein
Zentrum der Wald- und Forstforschung. »Niemand
weiß, wie sich das Klima genau entwickeln wird«,
sagt Pierre Ibisch, Professor für Naturschutz an der
Hochschule für nachhaltige Entwicklung, »das
Risiko, dass ein jetzt gepflanzter Baum wieder ein-
geht, ist groß. Warum also nicht darauf setzen, dass
der Wald selbst entscheidet, was ihm guttut?« Der
Boden sei voller unterschiedlicher Samen, die sich
zufällig verteilten. Lasse man sie wachsen, entstehe
jene Strukturvielfalt von allein, die den Wald
weniger anfällig für Dürre und Stürme mache.
Auch vom Plan, das tote Holz schnell abzutrans-
portieren, hält Ibisch nichts. Im Gegenteil. Er
fordert, einen Großteil der Stämme liegen zu lassen.
So werde der Boden beschattet und Feuchtigkeit
gebunden, die Biomasse könne die nächste Gene-
ration von Bäumen nähren.
Ibisch schaut als Naturschützer auf den Wald.
Forscher wie der Leiter des Eberswalder Thünen-
Instituts für Waldökosysteme, Andreas Bolte, haben
auch andere Aspekte im Blick, etwa die wirtschaft-
liche Bedeutung oder die Kohlenstoffspeicherung.
Er stimmt mit Ibisch höchstens darin überein, dass
eine politische Diskussion um den Wald überfällig
sei. Bolte hält nichts davon, den Wald selbst eine
Lösung finden zu lassen. Stattdessen solle man gezielt
aufforsten, Baumarten wie die nordamerikanische
Küstentanne oder die Douglasie seien Optionen. Sie
können mit Trockenheit umgehen. Dasselbe emp-
fiehlt auch der Waldbesitzerverband. Sie könnten

die Fichte ersetzen, die Verliererin des Sommers. Der
»Brotbaum« hiesiger Forstwirte wächst auf einem
Viertel der Flächen und macht die Hälfte des ge-
ernteten Holzes aus. Doch er hält Dürre nicht gut
aus, große Bestände sind abgestorben.
Die Trockenheit sei ein Signal dafür, dass es
mehr Vielfalt brauche, das sieht auch Bolte so: weg
von Monokulturen, hin zu mehr Mischwäldern.
Radikaler formulieren das die Grünen in ihrem
Papier – »Forstplantagen zu Ökowäldern«. Der Vor-
wurf dahinter: Die Waldbauern bekämen jetzt die
Quittung für die einseitige Ausrichtung auf die
Nachfrage der Holzmärkte.
Der Waldbesitzer-Präsident von der Marwitz
empfindet solche Vorwürfe als »Schlag in die
Magengrube«. Sie seien überholt, auch die Fichte
wachse längst in Mischwäldern, der Waldumbau
sei seit vielen Jahren in vollem Gange. Doch im
Wald brauche Wandel Zeit: »Was ich heute ernte,
das hat einst mein Urgroßvater gepflanzt.« Und
wenn die Grünen neue Urwälder fordern, geht von
der Marwitz auf die Palme: »Wir leben in der deut-
schen Kulturlandschaft und nicht im Märchen!«
Gerade wegen des Klimawandels müsse man den
Wald als Holzlieferanten nutzen: Denn Holzhäuser
und -möbel speicherten Kohlenstoff langfristig.
In diesem Punkt kann der Waldbesitzer-Präsi-
dent auf die Unterstützung des Landwirtschafts-
ministeriums rechnen. Auch die Grünen wollen,
dass mehr Holz verbaut wird. Zugleich mahnen sie
einen »Holzsparplan« an. An effizienten neuen
Materialien solle etwa geforscht werden, damit der
Nachfragedruck auf die Wälder nicht weiter steige.
All diese Fragen will Julia Klöckner bei einem
Fachgespräch Ende August diskutieren lassen. Am


  1. September sollen dann alle Interessengruppen
    zu einem großen Waldgipfel zusammenkommen.
    Die Ministerin will dort eine Strategie entwickeln,
    wofür die geplanten 500 Millionen Euro ausgegeben
    werden sollen. Sicher ist: Es wird stürmisch werden
    auf diesem Gipfel.


A http://www.zeit.de/audio

Lange Phasen der Trockenheit haben Wälder anfällig für Brände gemacht, so wie 2018 unweit des brandenburgischen Jüterbog

Foto: Mario Hagen/SZ Photo

Jetzt heißt es wieder Waldsterben


Viel Dürre in kurzer Zeit. Als Folge davon sind die Wälder in Deutschland


in schlechtem Zustand. Was folgt daraus? VON CHRISTIANE GREFE UND FRITZ HABEKUSS


Für uns Menschen ist es relativ einfach, mit alther-
gebrachten Gewohnheiten zu brechen. Beispiel
Kinderbetreuung: Ein bisschen guter Wille und
ein paar fördernde Gesetze reichen aus, schon neh-
men sich auch Väter Zeit für den Nachwuchs.
Vielleicht nicht in dem Maße, wie es sich manche
wünschen, aber immerhin.
Im Tierreich setzt die Biologie solchen Umwäl-
zungen häufig Schranken. Etwa beim Känguru.
Die Jungen krabbeln nach der Geburt in den
Beutel der Mutter, in dem sich auch deren Milch-
drüsen befinden, und bleiben da mehrere Monate.
Das Kängurumännchen kann da nicht mithalten.
Ihm fehlen nicht nur die Zitzen, sondern vor allem
der heimelige Kindersack. In der Fernsehserie
Seinfeld wurde einst über den »Beutelneid« männ-
licher Kängurus gewitzelt.
Es gibt allerdings eine Beuteltierart, bei der
auch die Männer einen Beutel besitzen. Die findet
man nicht in Australien, sondern in Latein-
amerika, vom südlichen Mexiko bis ins nördliche
Argentinien. Die Rede ist vom Schwimmbeutler,
Chironectes minimus. Er gehört zur Familie der
Beutelratten, wird etwa 30 Zentimeter lang und ist
die am besten an das Leben im Wasser angepasste
Beuteltierart. Sein Fell ist wasserabweisend, zwi-
schen den Zehen hat er Schwimmhäute. Und die
Weibchen können ihren Beutel mit einem Muskel
wasserdicht verschließen. So kann der Nachwuchs
mit auf Tauchfahrt gehen, ohne zu ertrinken.
Und die Männchen? Bevor nun Jubel über die
Gleichberechtigung im Tierreich ausbricht: Der
männliche Schwimmbeutler hat zwar auch einen
Beutel, aber der ist für die Kinder tabu. Es handelt
sich lediglich um eine Tasche, mit der er beim
Schwimmen seine wertvollen Geschlechtsteile
schützt. Es gibt mehrere Erklärungen dafür: Die
Organe werden warm gehalten, sie verheddern
sich nicht in Wasserpflanzen, und der Körper be-
kommt eine bessere Stromlinienform. Wasserdicht
ist dieser eher egoistischen Zwecken dienende
Beutel nicht.
Es existierte noch eine zweite Beuteltierart, bei
der auch die Männer eine Körpertasche hatten: den
Beutelwolf, auch Tasmanischer Tiger genannt. Bis
1936, in jenem Jahr starb das letzte Exemplar in
einem Zoo. Auch bei ihm diente der männliche
Beutel nur dem Schutz der Genitalien. Wegen dieser
anatomischen Besonderheit war es lange umstritten,
ob der letzte Beutelwolf ein Männchen oder Weib-
chen war. Durch Videoanalysen konnte dann gezeigt
werden, dass es sich um ein Männchen handelte –
mit Beutel. CHRISTOPH DRÖSSER


Die Adressen für »Stimmt’s«-Fragen:
DIE ZEIT, Stimmt’s?, 20079 Hamburg,
oder [email protected].
Das »Stimmt’s?«-Archiv: http://www.zeit.de/stimmts


A http://www.zeit.de/audio


Haben männliche Beuteltiere auch
einen Beutel?, fragt HANSEL TISCHER
aus Kellinghusen

Stimmt’s


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