Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 35


FEUILLETON 33

Kosmetische


Verbesserungen


Woran sollen wir noch
glauben, wenn nicht an unsere
skin-Care-Routine?

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qm in Bestlage


Donald trump will den Dänen
grönland abkaufen

Eine der zentralen Fragen der sogenannten
gegenwart betrifft die skin-Care- Routine,
also das, was sie mit Ihrer Haut morgens
und abends machen. Auf You tube kann
man sich stundenlang ansehen, welche sub-
stanzen Liv tyler und gwyneth Paltrow
und Alessandra Ambrosio und viele andere
in welcher Reihenfolge auf ihr gesicht
applizieren (seren, Öle, Ex fo lia tion, you
name it). und wenn sie jetzt denken,
hahaha, diese Dummis, haben die nichts
Besseres vor, dann ist das nachvollziehbar,
ja, dieser frauenfeindliche Bitch-Reflex
zuckte mir auch durchs gehirn, als ich gera-
de nichts Besseres vorhatte und Liv tyler bei
der Ausführung der FÜNFuNDZWAN-
ZIg schritte ihrer Beauty-Routine zusah.
Dabei geht es bei der Veröffentlichung der
eigenen skin- Care- Rou ti ne um nicht weni-
ger als das eigene Leben und darum, wie
gelungen es ist, es geht um die Möglichkeit,
sich auszuweisen als Kennerin eines hoch-
differenzierten und teilweise ideologisch
aufgeladenen (bio, vegan, umweltfreund-
lich und noch komplizierter) Konsumange-
bots. Das böse Wort »Konsum« ist hier al-
lerdings völlig deplatziert, weil die Konsu-
mentin eben nicht konsumiert, sondern
etwas für sich tut, achtsam ist, auch der
umwelt gegenüber (und außerdem dis tink-
tions mä ßig gewinnt, so wie andere das im
umgang mit Wein oder Motorbooten tun).
gleichzeitig heben die skin- Care- Routine-
In ter pre tin nen gewissermaßen den Fehde-
hand schuh auf, den ihnen die schönheits-
industrie hingeworfen hat, und bekämpfen in
ihren pastellfarbenen, gut gelaunten Videos
ihre als defizitär gedachten Körper, was man
insgesamt eigentlich nur als Win-win-
situation bezeichnen kann. glauben sie mir,
ich kann das beurteilen, denn ich sprühe mir,
während ich diesen text schreibe, immer
wieder mit Himbeer- und gurkenextrakt ver-
setztes thermalwasser ins gesicht, weil der
Hersteller des Produkts verspricht, dass da-
durch in meinem gesicht irgendwas jünger
werde, und das vielleicht Interessanteste an
dieser Kon stel la tion ist, dass wohl weder der
gurkenthermalwasser-Hersteller noch ich
daran glauben (aber wo ist eigentlich das
Problem, ich glaube doch auch Michel
Houellebecq nicht alles, was er schreibt). Noch
interessanter ist, dass der Spiegel in seiner
jüngsten titelgeschichte genau darüber schrieb
(Anti-Aging-sachen eher wirkungslos), ich das
bereits vorher wusste und mir die Ausgabe aber
trotzdem kaufte. ANTONIA BAUM

Da Donald trump nun einmal Donald
trump ist, hätte auch seine jüngste, na tur-
gemäß beleidigende Offerte, grönland den
Dänen abkaufen zu wollen, nicht verblüffen
dürfen. Doch die dänische Ministerpräsiden-
tin Mette Frederiksen, vor Empörung um
Luft und Worte, aber auch um sachlichkeit
ringend, erklärte zunächst nur etwas stot-
ternd den Autonomiestatus der Insel – grön-
land sei »nicht dänisch, sondern grönlän-
disch« und könne schon deshalb nicht Däne-
mark abgekauft werden. unterdessen hat ein
Kolumnist des New Yorker eine bessere Ant-
wort vorgeschlagen: Dänemark solle seiner-
seits ein Kaufangebot für die usA ab geben,
natürlich nur exklusive des gegenwärtigen
Regierungschefs, der ins Exil zu gehen habe.
Das wäre, ließe sich hinzufügen, insofern
konsequent, als bei Firmenübernahmen in
der Regel der Vorstand ausgewechselt wird.
trump hatte ja schon seine grönland- Offerte
als »im Wesentlichen ein großes Immobilien-
geschäft« bezeichnet, und ein solches zieht
gemeinhin ebenfalls einen Wechsel im
Facility-Management nach sich. Indes ist zu
fragen, ob sich Dänemark nicht mit der
Übernahme gleich der ganzen usA verheben
würde. Wir raten, zunächst einmal nur
Alaska zu kaufen, Alaska ist gut 500.000
Quadratkilometer kleiner als grönland, liegt
um die Ecke und war immer schon Handels-
objekt. 1867 haben es die usA von Russland
erworben, was dort gewiss seither bitter
bereut wird. Dänemark müsste Alaska also
nicht halten, sondern könnte es mit einem
Kursaufschlag an Putin weiterreichen. Die
Dänen waren immer gute Kaufleute, jetzt
könnten sie trump einmal zeigen, wie ein
wirklich großer Deal aussieht. JENS JESSEN

Das Gespräch findet am frühen Abend in einem
Restaurant im Westen von London statt. Seit Juni
dreht Diane Kruger hier einen Action-Film, unter
anderem mit Jessica Chastain, Penélope Cruz,
Lupita Nyong’o. Sie wirkt zurückhaltend und in
ihrem kurzärmeligen Jeans-Overall irgendwie
undercover. Beim Kellner löst sie den Woher-
kenne-ich-diese-Frau-Blick aus. Diane Kruger
entschuldigt sich für ihr »eingerostetes Deutsch«
und bestellt ein Glas Rosé.

DIE ZEIT: Frau Kruger, in Ihrem neuen Film
Die Agentin spielen sie eine Mitarbeiterin des
israelischen geheimdienstes, die mit der falschen
Identität einer sprachlehrerin in den Iran ge-
schleust wird. Was haben sie über diese andere
Art der schauspielerei erfahren?
Diane Kruger: Ich weiß nicht, welche Persönlich-
keit man haben muss, um über Jahre hinweg eine
andere Identität anzunehmen. Als schauspieler
kopieren wir Menschen oder versetzen uns in sie
hinein, aber so lange undercover zu leben ist ex-
trem. Ich habe ein mehrwöchiges training beim
Mossad absolviert, da habe ich eine Ahnung davon
bekommen, was für ein Niveau der Manipulation
und Maskerade das erfordert.
ZEIT: Wie muss man sich dieses training vor-
stellen?
Kruger: Zum Beispiel musste ich mit einem fal-
schen Pass in Israel einreisen – kann sein, dass der
geheimdienst das alles schön vorbereitet hatte.
und ich habe mir selbst kleine Aufgaben gestellt.
ZEIT: Welche Aufgaben?
Kruger: Eine wildfremde Person anzusprechen
und unter einem Vorwand auf ihren Balkon zu ge-
langen.
ZEIT: Wie war das?
Kruger: seltsam. Das hat mich noch länger be-
schäftigt. Die Lügen taten mir leid.
ZEIT: Wo steht Ihre Agentin Rachel?
Kruger: sie ist nicht im jüdischen glauben auf-
gewachsen. Erst als Erwachsene kam sie nach
Israel und verliebte sich in das Land. Vorher
wusste sie nicht, wo sie hingehört. sie will sich
bis zur selbstaufgabe für Israel einsetzen, gehört
aber für Israels geheimdienstler nicht zum in-
neren Kreis.

ZEIT: Hat die Figur sie auch in ihrer Verlorenheit
interessiert?
Kruger: Mich interessieren Drifter, die nirgends
wirklich dazugehören. In Hollywood wurde ich als
Deutsche zur schönen Helena in Troja. In Frank-
reich bin ich für die Kritik die französisch-deutsche
schauspielerin, wenn ich in guten Filmen spiele,
und die deutsche schauspielerin, wenn ich in
schlechten Filmen spiele. und
in Deutschland bin ich die, die
es woanders geschafft hat.
ZEIT: Das mögen die Deut-
schen nicht unbedingt. Man
muss nur an Marlene Dietrich
und Romy schneider denken.
Kruger: Ich fühle mich in
Deutschland nicht abgelehnt,
gerade nach dem Erfolg von
Fatih Akins Film Aus dem
Nichts. Aber ich gehöre einfach
nicht zur deutschen Filmfami-
lie. Bisher habe ich kaum in
Deutschland gearbeitet. und
die Freiheit, zwischen den spra-
chen und Filmkulturen hin und
her zu springen, habe ich be-
wusst gewählt. Nirgendwo da-
zuzugehören heißt auch, sich
nicht in irgendwelche schubla-
den stecken zu lassen.
ZEIT: sie meinen die schublade
der »schönsten Frau der Welt«
in Wolfgang Petersens Histo-
rienspektakel Troja?
Kruger: Zum Beispiel.
ZEIT: Manohla Dargis, Film-
kritikerin der New York Times,
schrieb 2006, sie seien »zu schön, um jemals eine
Rolle mit tiefgang zu spielen«.
Kruger: Ich fand das saublöd. seitdem lese ich
nichts mehr, was über mich geschrieben wird.
ZEIT: gar nichts?
Kruger: gar nichts.
ZEIT: Fast jede schauspielerin träumt von Holly-
wood als Ziel der Karriere. Ihre ging dort los.
Kruger: Aber ich habe in Frankreich angefangen.
Meine ersten drei Filme waren französische Pro-

duktionen. und Hollywood hatte ich gar nicht
auf meiner Agenda. Es wurde ein internationaler
Casting-Call gemacht. Ich war gerade beim Dre-
hen in Kanada, habe die zwei geforderten szenen
auf Video aufgenommen und wurde nach Mona-
ten zum screen test nach Hollywood eingeladen.
und dann stand ich plötzlich neben Brad Pitt und
Orlando Bloom vor der Kamera. In einem schein-
werferlicht, das ich eigentlich
noch nicht verdient hatte. Das
war angsteinflößend. Ich glau-
be, das schlimmste, was schau-
spielern passieren kann, ist, zu
früh bekannt zu werden. Wenn
sie mit Helen of Troy anfangen,
was sollen sie danach noch
spielen?
ZEIT: Zum Beispiel eine Wis-
senschaftlerin in der us-Pro-
duktion Vermächtnis der Tem-
pelritter. Da werden sie von
Nicolas Cage in Ihrer ersten
szene auf Ihren deutschen Ak-
zent angesprochen. Musste Ihre
Figur deshalb aus sachsen
stammen?
Kruger: solche Infos zur Her-
kunft werden dann halt in die
Drehbücher reingeschrieben. Ich
habe hart gearbeitet, um den
deutschen Akzent wegzubekom-
men. Er ist immer ein engend.
Ich wollte nicht in die schub-
lade der Deutschen in amerika-
nischen Filmen gesteckt werden,
denn da bleiben meistens nur
Nazis und Bösewichter.
ZEIT: und in Frankreich?
Kruger: Ich habe mich immer als französische
schauspielerin gesehen. Ich lebe ja auch dort. Das
französische Kino ist der Rückhalt meiner Karriere,
es hat mir großartige Rollen und sehr komplexe
Figuren ermöglicht. Die Juristin, die sich in Barfuß
auf Nacktschnecken von Fa bienne Ber thaud um
ihre verhaltensauffällige kleine schwester küm-
mern muss – und aus ihrem Leben fliegt. Marie
An toi nette, die in Benoît Jacquots Film Leb’ wohl,

meine Königin! auch etwas Verlorenes hat, als
Österreicherin in Frankreich. In dem thriller Tout
nous sépare spielte ich die tochter von Cathe rine
De neuve. Französischer kann es nicht werden.
ZEIT: Was ist das Deutsche an Ihnen?
Kruger: Meine Pünktlichkeit vielleicht? Auf dem
set von Troja waren Wolfgang Petersen und ich
morgens immer die Ersten. In Frankreich kom-
men sowieso alle zu spät. Manchmal sitze ich vor
Verabredungen extra noch ein bisschen zu Hause
herum und bin trotzdem als Erste im Restaurant.
und natürlich habe ich ein besonderes Verhältnis
zur deutschen sprache. In Frankreich gibt es Din-
ge, die mir einfach kulturell fremd sind. Da müs-
sen mir die Regisseure und Regisseurinnen immer
mal wieder erklären, weshalb meine Figur einen
bestimmten satz sagt. Bei der Arbeit an Aus dem
Nichts war das anders. Ich hatte das gefühl, meine
Figur von Anfang an zu kennen. Auch meine
Eltern im Film. Es gab da eine Art Evidenz.
ZEIT: Aus dem Nichts folgt einer Frau, deren Mann
und Kind von Rechtsextremen ermordet werden.
War das auch eine andere Begegnung mit dem
poli tischen Deutschland?
Kruger: Für mich ist es vor allem ein Film über
trauer, und die bodenlose trauer dieser Mutter
war mein Zugang. Irgendwann hat sich dann aber
eine scham eingestellt darüber, dass wir als Deut-
sche überhaupt in die situation kommen, mit ei-
nem Film von diesem thema sprechen zu müssen.
Beschämung auch darüber, dass mit der AfD seit
dem Zweiten Weltkrieg wieder eine solche Partei
im Parlament ist. Angesichts unserer Vergangen-
heit ist es beschämend.
ZEIT: Wenn man sich Ihre Biografie anschaut, gab
es schon immer die tendenz, ins Ausland zu ge-
hen. Als Mädchen trainierten sie diszipliniert Bal-
lett und fuhren jeden sommer zur Royal Academy
of Dance nach London.
Kruger: Ich mag Disziplin. Das ist ja das Paradox:
Man braucht Disziplin, um frei zu sein. Auch als
schauspielerin. Je besser man den text gelernt
hat, desto freier kann man ihn spielen. Die per-
fekte Haltung, die perfekte Choreografie bedeutet
beim tanzen, umso mehr gefühle ausdrücken zu

Die Friedensstifter:


1000 Religionsführer aus


über 100 Ländern treffen


sich am Bodensee


seite 44

Diane Kruger:
»Was würden Sie tun,
wenn Ihnen klar wird,
dass Sie in 20 oder 30
Sekunden tot sind?«

Diszipliniert, um frei zu sein


In dem Film »Die Agentin« begeistert Diane Kruger als spionin, die sich in ihrer falschen Identität verliert. Ein gespräch über die harte Arbeit


an der Kunst der Verstellung und darüber, wie es ist, von Quentin tarantino erwürgt zu werden


Diane Kruger


wurde 1976 in Algermissen
bei Hildesheim geboren.
Die schauspielerin ist ein
international einzigartiges
Phänomen: sie spielt in
amerikanischen Filmen
(»troja«, »Inglourious
Basterds«), ist im
französischen Autorenkino
zu Hause (»Barfuß auf
Nacktschnecken«, »Leb’
wohl, meine Königin!«) und
gewann für ihre Hauptrolle
in Fatih Akins Film
»Aus dem Nichts« den Preis
der besten Darstellerin in
Cannes. Ab dem 29. August
ist sie in Yuval Adlers Film
»Die Agentin« im Kino zu
sehen – als spionin, die in
den Iran eingeschleust wird.

Fortsetzung auf s. 34

Foto: Yann Rabanier/modds; Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT;

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