Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

ENTDECKEN


Manuel Nieberle porträtiert
hier im Wechsel mit anderen
Fotografen Menschen, die ihm
im Alltag begegnen.
Protokoll: Christina Hertel


Ich würde mich als Feministen
bezeichnen. Während meiner
Schulzeit wollten alle Fußballer
werden. Und ich fand Rainer
Werner Fassbinder toll, durch
seine Filme dachte ich,
München sei rau und dreckig.
Dann bin ich fürs Studium
hergezogen und habe gemerkt,
dass die Stadt eben nicht mehr
so ist wie in den Siebzigern.
Zuerst war ich enttäuscht. Doch
an der Hochschule für Film und
Fernsehen bleibt sowieso nicht
viel Zeit fürs Partyleben.
Gerade am Anfang war der
Druck hoch. Heute, fünf Jahre
später, ist mir der Erfolg nicht
mehr so wichtig. Ich will mit
Leuten arbeiten, auf die ich
mich verlassen kann. Oft
bestehen meine Teams fast nur
aus Frauen. Als Produzent helfe
ich ihnen, die Filme so zu
verwirklichen, wie sie es sich
vorstellen.


Max Bungarten, 25, studiert an
der Hochschule für Fernsehen
und Film in München


WER


S I N D


SIE


?


Die Disneyfizierung der Liebe


Dass man seinen Partner mag, reicht nicht. Die Welt soll es auch mitbekommen


Hier entdecken jede Woche im Wechsel: Francesco Giammarco, Alard von Kittlitz, Nina Pauer und Britta Stuff

E


ine Frauenhand, eine Männer-
hand, eng verschlungen. Frisch
poliert strahlen zwei Eheringe
in der Sonne, türkis glitzert im
Hintergrund das Mittelmeer. »Ich geh
mit Dir, wohin Du willst ...«, heißt es
verträumt neben dem Foto, gefolgt von
einem Herz-Emoticon.
Was Heidi Klum für Tom Kaulitz
nach ihrer Hochzeit auf Capri bei In sta-
gram postete, kann laut einer Studie des
Kupplerportals elitepartner.de als Bei-
spiel für moderne Beziehungsarbeit
gelten. Liebende heute verspürten den
Drang zur »Disneyfizierung«. Insbeson-
dere jungen Menschen sei es wichtig,
nach außen einen guten Eindruck zu
machen – wobei außen vor allem Freun-
de und Follower bei In sta gram und Face-
book meint. »Es ist mir wichtig, dass wir
als Paar in sozialen Me dien positiv wahr-
genommen werden«, dieser Aus sage
stimmten viele Befragte zu.
Die virtuelle Paareinheit Klum/Kau-
litz beherrscht diese neue Kulturtechnik
perfekt. Das Händchenhaltefoto ist
natürlich kein Schnappschuss, sondern
Teil einer inszenierten Glücksoffensive,
bei der man davon ausgehen muss, dass
Heidi und Tom rund um die Uhr Spaß
und/oder Sex haben.

Alternativ taugt als Liebesbeweis
auch ein Selfie beim Knutschen, ein
Foto von zerwühlten Laken oder davon,
wie der eine den anderen am Ärmel mit
sich zieht, hinein ins Abenteuer, zu
intimen Szenen, die selbst die Lieben-
den eigentlich nie von außen sehen,
weil sie gerade damit beschäftigt sind,
sie zu erleben.
Immer öfter finden sich in den Time-
lines jene privaten Worte ausgestellt, die
sonst im Flüsterton gesprochen werden,
weil sie für die Ohren von Außenstehen-
den unfreiwillig komisch wirken. Aber
das kümmert die Verliebten nicht. »Alles
Liebe zum Hochzeitstag, mein Schatz!!«,
lesen Hunderte von Freunden mit,
»Carrot cake for my love and then spa«,
wird man informiert, dass der Tag des
Kennenlernens mit Möhrenkuchen und
einem Saunabesuch begangen wird.
Liebeserklärungen zum Geburtstag ste-
hen neben Fotos des Partners, der als
»unglaublich unterstützend« angepriesen
wird. »Ich könnte wirklich nicht glück-
licher sein! In 32 Stunden heirate ich den
besten Mann der Welt!«, freut sich eine
Braut, wie alle derartigen Nachrichten
endet auch diese in einer Emoticon-
Parade, abgeschlossen mit »Dein Hase«
und »Your wifey for lifey«.

Man darf sich darüber nicht wun-
dern. Wo seit Jahren Frühstücksteller
abfotografiert werden, Kinderfüße und
das eigene Gesicht, wäre es grob un-
freundlich, den Partner zu übergehen.
Und doch ist es für Mitlesende irritie-
rend. Müssen wir dabei sein?, möchte
man fragen und postet am Ende doch
immer pflichtbewusst »Alles Gute für
Euch« in die Kommentarspalte. Schließ-
lich meinen die Online-Pärchen es nicht
persönlich. Sie brauchen nur das Wissen
um größtmögliche Zeugenschaft, die
ihrer Liebe Sicherheit gibt. Wurden
früher die Borken von Bäumen dazu be-
nutzt (»M+N for ever«), sind es heute
Face book- Time lines. Hauptsache, ir-
gendwer hat es gesehen, dann, so die
Hoffnung, fällt es schwerer, hinzuwer-
fen, wenn es einmal schlecht läuft.
Ist das so? Die Scheidungsraten
sprechen dagegen. Und auch die Stu-
die von ElitePartner. Mit dem Alter,
heißt es dort, nehme die Darstellungs-
sucht wieder ab, das Selbstvertrauen
steige. Irgendwann genügt man sich
einfach selbst. Und so gibt es Hoff-
nung für goldene Hochzeiten im Stil-
len, abseits der Öffentlichkeit, von
der Heidi und Tom, Schatz und Hase
jetzt noch wahnsinnig abhängig sind.

NINA PAUER ENTDECKT

Illustration: Oriana Fenwick für DIE ZEIT

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  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 35


Fotos: © Jim Rakete, © Martin Ruetschi, Peluquería, 1979, C-Print © Ouka Leele, Stefan Gelberg

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