Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

Illustration: Studio Pong für DIE ZEIT


Drei Bibliotheken, zwei Sporthallen,


drei Cafeterien, zwei Theater,


sieben Labore, ein Fitnesscenter


sowie Tanz- und Kunsträume.


Eine Privatschule in Düsseldorf verlangt Tausende Euro Gebühren. Und kassiert zugleich Millionen an Steuergeldern.


Geschichte eines Skandals VON CLAUDIA LEHNEN


E


in grauer Block. Nicht hässlich,
nicht schön, sondern so unauffäl-
lig, wie ein Gebäude nur sein
kann. Das ist der Eindruck, den
die Internationale Schule Düssel-
dorf (ISD) dem Besucher vermit-
telt, der von außen auf sie blickt.
Nichts deutet auf die Schätze im Inneren hin, auf
die Exklusivität hinter den Mauern. Etwa darauf,
dass hier ein Lehrer fünf Schüler betreut, wie es auf
der Homepage verkündet wird, oder dass die Qua-
lität des Unterrichts hervorragend ist, wie es Eltern
bestätigen, und die Ausstattung hochwertig.
Tatsächlich ist die ISD eine Eliteschule, ein
»Standortvorteil« für die Stadt Düsseldorf, wie
Poli tiker, Eltern und Lehrer betonen. Die Schule,
nur einen Steinwurf vom Rhein entfernt, bringt
Vielfalt und Glanz in die Bildungslandschaft der
Region. Aber da gibt es auch einen Nachteil: Die
ISD und die dazugehörige lokale Elite lässt sich
ungern in die Karten schauen. Wie erst vor Kur-
zem bekannt wurde, hat sich die Schule ein Finan-
zierungsmodell geschaffen, mit dem sie sich über
Jahre mit beachtlicher Selbstverständlichkeit über
geltendes Recht hinweggesetzt hat. In der Ge-
schichte dieses Finanzskandals muss die Rede sein
von einem Schuldirektor, der ein exorbitantes Jah-
resgehalt einstreicht, von Vorstandsmitgliedern,
die auch vor Drohanrufen bei aufmüpfigen Eltern
nicht zurückschrecken. Von einer Anwaltskanzlei,
deren Kampf gegen die Düsseldorfer Bezirksregie-
rung vom US-Konsulat finanziert wurde.
Seit drei Jahrzehnten bekommt die ISD jedes
Jahr Millionen Euro an Steuergeld. Dabei steht ihr
das Geld nicht zu. Denn die ISD hat noch eine
weitere Einnahmequelle: das Schulgeld. Einen
zweistelligen Millionenbetrag bezahlt die versam-
melte Elternschaft jedes Jahr dafür, dass ihre Kin-
der die exklusive Schule im Düsseldorfer Stadtteil
Kaiserswerth besuchen dürfen.
Damit verstößt die ISD gegen geltendes Recht.
Denn Privatschulen dürfen nur auf eine staatliche
Finanzierung hoffen, wenn sie als Ersatzschulen
staatlich anerkannt sind. Diese Ersatzschulen wie-
derum dürfen laut Bundesverfassungsgericht nicht
mehr als 150 Euro Schulgeld pro Monat und Kind
verlangen. Außerdem müssen sie sich an den deut-
schen Lehrplan halten, und ihr Personal sollte
Qualifikationen vorweisen, die denen von Lehrern
an staatlichen Schulen entsprechen. Bei interna-
tionalen Schulen wie der ISD ist das anders.
Eigent lich. Denn sie sind sogenannte Ergänzungs-
schulen. Das heißt: Der deutsche Staat erlaubt den
Betrieb, beteiligt sich aber nicht an der Finanzie-
rung. Deshalb dürfen Ergänzungsschulen ein ho-
hes Schulgeld erheben, den Lehrplan freier gestal-
ten und das oft internationale Personal nach eige-
nen Vorstellungen auswählen.

Das wirft die Frage auf, wieso die Behörden
diesen Geldfluss jahrzehntelang nicht gestoppt
haben. Tatsächlich agierte die Schule teilweise in
einem Graubereich. Und offensichtlich ist auch,
dass für die ISD andere Regeln galten.
Schon seit Längerem hatte die Bildungsver-
waltung die Schule aufgefordert, die Verträge mit
den Eltern entsprechend so zu ändern, dass sie
nicht mehr gegen das sogenannte Sonderungsver-
bot verstoßen, also keine zu hohen Schulgelder
veranschlagen. Aber die Schule habe diese Auffor-
derungen lange ignoriert. »Die haben immer so
getan, als ginge sie das überhaupt nichts an. Da
war viel Arroganz im Spiel«, erzählt ein Insider.
Vor zwei Jahren schauten sich die Revisoren aus
der Bildungsverwaltung die Akte ISD schließlich
genauer an. Das Ergebnis: Die Schule muss für die
vergangenen drei Jahre gut elf Millionen Euro
Steuergeld zurückzahlen. Die knapp 25 Jahre zu-
vor gelten als verjährt. Seitdem sind Elternschaft,
Kollegium und Politik in Aufruhr.
Denn bisher war man in der Landeshauptstadt
stolz auf die private Kaderschmiede für den Nach-
wuchs der Managementelite am Rhein: RWE
Power, Henkel, E.on – viele Väter und Mütter der
etwa 1000 Schülerinnen und Schüler sind in Top-
Positionen beschäftigt. Bis zu 19.325 Euro im Jahr
beträgt der Beitrag pro Kind, insgesamt 20.126.000
Euro nahm die Schule auf diese Weise zum Bei-
spiel im Schuljahr 2017/18 ein. Häufig bezahlt der
Arbeitgeber das Schulgeld. Dennoch verzichtete
die ISD nicht auf die etwa 3,9 Millionen Euro
staatliche Finanzhilfe im Jahr. Zum Vergleich:
Eine öffentliche Schule in NRW mit 1000 Schü-
lern hat laut Statistischem Bundesamt im Durch-
schnitt etwa sechs Millionen Euro pro Jahr zur
Verfügung. An einem normalen Gymnasium muss
das Geld, das an der ISD für einen Schüler zur
Verfügung steht, für vier Kinder reichen.
Schulgeld plus Steuergeld versetzten die ISD in
eine komfortable Lage. Die Eliteeinrichtung leistet
sich eine Luxusausstattung, die für durchschnitt-
liche Schulen unvorstellbar ist: drei Bibliotheken,
zwei Sporthallen, zwei Theater, drei Cafeterien,
sieben Wissenschaftslabore, Tanz- und Kunsträume,
ein Fitnesscenter. Das Lehrpersonal – vorwiegend
aus den USA und Kanada, gilt als exzellent. Die
Schule wirbt damit, alle Kinder darin zu unter-
stützen, ihre Leidenschaften und Talente zu ent-
decken und sich zu kreativen, weltoffenen Menschen
zu entwickeln. Mehrere Abschlüsse, darunter auch
das International Baccalaureate, stehen zur Wahl.
Lehrpläne und Konzept sind nicht starr, sondern
werden immer wieder an aktuelle pädagogische
Ideen angepasst. Laptops und Tablets sind in Kai-
serswerth schon lange Normalität. Auf der promi-
nenten Liste der Absolventen finden sich Schau-
spieler, Pianisten, Firmengründer und Menschen,

die es bis ins US-amerikanische Innenministerium
oder die UN geschafft haben.
Nicht nur die ISD, der ganze Privatschulsektor
erlebte in den vergangenen Jahren einen nie da ge-
wesenen Boom. Seit 1992 hat sich die Zahl der
Schüler, die keine öffentliche Schule besuchen, laut
einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschafts-
forschung verdoppelt. Insgesamt geht fast jedes
zehnte Kind in Deutschland auf eine Privatschule.
Seitdem der Finanzskandal an der ISD bekannt
wurde, kamen einige weitere zweifelhafte Ausnahme-
behandlungen von Schulen ans Licht. Neben der ISD
steht auch die Berlin Brandenburg International
School (BBIS) in Kleinmachnow in der Kritik. Auch
sie erhält seit 1990 Geld vom Staat – insgesamt über
20 Millionen Euro –, obwohl die Eltern dort schon
für einen Grundschüler rund 15.000 Euro jährlich
zahlen. Und der Landesrechnungshof Bremen zwei-
felt daran, dass die Förderung der International
School of Bremen in Horn-Lehe sich mit der Ver-
fassung in Einklang bringen lässt. In den vergangenen
13 Jahren hat die Schule etwa zehn Millionen Euro
Steuergeld erhalten, obwohl die Eltern der Mehrzahl
der Schüler das volle Schul geld von rund 1000 Euro
im Monat bezahlen.
Bei der ISD waren sich Schulleitung und die
Verantwortlichen in Politik und Verwaltung offen-
bar einig, gemeinsam einen Sonderweg einzuschla-
gen. Trotz üppiger Elternbeiträge verlieh man der
ISD im Jahr 1990 den förderungswürdigen Titel
Ersatzschule.

G


egründet 1968 als American Inter-
national School, um den Kindern
ausländischer Mitarbeiter großer
Firmen eine standesgemäße Aus-
bildung zu bieten, lag die ISD be-
sonders dem früheren Ministerpräsidenten Jo-
hannes Rau, aber auch allen seinen Nachfolgern
am Herzen. Der Ruf der Schule war ausgezeich-
net. Intern hätten eigentlich »immer alle Bescheid
gewusst«, erzählt eine ehemalige Mitarbeiterin der
Schule. »Wir kriegen diese vier Millionen völlig
unberechtigt«, sagt sie. »Jeder weiß das.« Mit dem
Skandal drängten in den vergangenen Monaten
auch andere unangenehme Details über das
Innen leben der Schule ans Licht. Von ihrem üppi-
gen Budget wird nicht nur die neueste Ausstattung
für die Schüler angeschafft, es sichert auch dem
Direktor ein auskömmliches Leben. Laut Gehalts-
abrechnungen, die der ZEIT vorliegen, geht der
Schulleiter am Jahresende mit rund 415.000 Euro
brutto nach Hause. Diese Summe ergibt sich, weil
der Direktor zusätzlich zum beachtlichen Monats-
gehalt von einer Nettolohn-Vereinbarung profi-
tiert – die man sonst vor allem von internationalen
Fußballstars kennt. Hinzu kommen Einmalzah-
lungen, kostenfreies Wohnen in einer exklusiven

Villa und ein Reisebudget für Erste-Klasse-Flüge
um die Welt.
An der Schule spricht man von einem »markt-
konformen« Gehalt. Dennoch zieht man nach öf-
fentlicher Kritik Konsequenzen – im April wird
bekannt, dass der Vertrag des Schulleiters über den
Sommer 2020 hinaus nicht verlängert wird.
Zwischendurch plante die ISD dem Anschein
nach gar ihre eigene Insolvenz. Eine Satzungsände-
rung vorab sollte sicherstellen, dass bei Schul-
schließung alle Immobilien im edlen Stadtteil
Kaiserswerth nicht wie vorgesehen zurück an die
öffentliche Hand gehen, sondern an den Förder-
verein der Schule fallen – sozusagen als Startkapital
für einen geplanten »Neustart«. Der Plan scheiterte
an einer notwendigen Zweidrittelmehrheit im
Schulverein, denn auch in der Elternschaft und im
Kollegium gibt es mittlerweile Stimmen, die sich
gegen das Gebaren der Schule auflehnen.
Doch statt Entgegenkommen zu signalisieren,
droht die Schule. Etwa einer Mutter, die sich
einem Fernsehsender gegenüber öffentlich über
die Schule geäußert hatte. Ein Vereinsmitglied der
ISD beantragte daraufhin ihren Ausschluss aus
dem Schulverein. Kurz darauf suchte ein Vor-
standsmitglied der Schule die Alleinerziehende für
eine Unterredung auf. Am Morgen nach dem Ge-
spräch schrieb das Vorstandsmitglied, das auch
amerikanischer Handelskonsul ist, eine »inoffiziel-
le« Mail. Ein freiwilliger Rückzug aus dem Schul-
verein »bis Montag, zehn Uhr« – so schreibt er der
Mutter – würde sich günstig auswirken, da in die-
sem Fall die Angelegenheit »vertraulich« gehalten
werden könne – ohne »öffentliche Bekanntma-
chung«. Der Ausschluss eines Mitglieds habe au-
ßerdem keine Auswirkungen auf die schulische
Laufbahn des Mitgliedskindes. Wobei man natür-
lich auch nicht verschweigen wolle: »Die Schule
kann niemals einen Platz für das kommende
Schuljahr garantieren.«
Inzwischen trauen sich kaum noch Eltern, ihre
Meinung öffentlich zu sagen. »Alle verhalten sich
ruhig, niemand will die Schule in ein schlechtes
Licht rücken, die das eigene Kind besucht«, sagt
ein Elternteil gegenüber der ZEIT.
»Die ISD muss sich ganz von öffentlichen Mit-
teln verabschieden«, fordert derweil Sigrid Beer,
schulpolitische Sprecherin der Grünen im Land-
tag. Damit würde sich die Schule einreihen in die
meisten anderen Ergänzungsschulen dieses Lan-
des. Viele Politiker halten das Beispiel der Interna-
tional School on the Rhine (ISR) aus Neuss für
den Weg, den die ISD einschlagen sollte. Auch die
ISR ist eine prestigeträchtige Bildungseinrichtung
für eine ebenso zahlungskräftige wie internationale
Klientel. Sie erhält ähnlich hohes Schulgeld, agiert
aber unabhängig von staatlichen Zuschüssen. Ihr
Budget ist daher auch geringer. So lag der Etat der

ISR 2017/18 bei knapp zwölf Millionen Euro für
860 Schüler.
Aber die ISD bleibt hartnäckig. Es steht viel auf
dem Spiel, finanzielle Rücklagen soll es nicht geben,
sagen Eingeweihte. Wenn der staatliche Zuschuss
wegfiele, wäre die Existenz der Schule bedroht.
Zugute kommt der Schule nicht nur ihre Ver-
wurzelung in der regionalen Wirtschaft. Auch die
Politik tut sich zum Teil schwer, gegen das einstige
Prestigeobjekt vorzugehen. Die Bezirksregierung ver-
sucht, Brücken zu bauen. Um die Zuschüsse nicht
zu gefährden, forderte die Verwaltung die Schule in
zahlreichen Schreiben zwei Jahre lang dazu auf, die
zweifelhaften Schulgeldverträge mit den Eltern zu
ändern. Nach vielen Monaten beauftragte die ISD
schließlich einen auf Privatschulrecht spezialisierten
Verwaltungsrechtler aus Düsseldorf, um das Problem
aus der Welt zu schaffen. Die Anwaltsrechnung be-
glich das US-Konsulat. Pikant dabei: Die Düssel-
dorfer US-Konsulin schickt ihre Sprösslinge ebenfalls
auf die ISD. In den neuen Elternverträgen ist nun
von »freiwilligen« Beiträgen für den schuleigenen
Förderverein (FIS) statt von Schulgeld die Rede. De
facto ändert sich aber nichts, die Eltern zahlen wei-
terhin die knapp 20.000 Euro »Fördergeld«. Man
könnte auch sagen: Es handelt sich um eine eigenwil-
lige Definition von Freiwilligkeit.

D


ie Bezirksregierung schaut diesem
Spiel zu und verweist darauf, bis zu
einer endgültigen Entscheidung
keine Auskunft geben zu können.
Die Schule hat nach eigenen Aus-
sagen einen Stundungsantrag für die Rückforde-
rungen beim Schulministerium vorgelegt, vor-
sichtshalber aber auch Klage gegen den Bescheid
eingelegt. »Gleichzeitig finden weitere Gespräche
mit der Schulaufsicht statt, in denen nach Lösun-
gen für die entstandene Situation gesucht wird.
Diese werden konstruktiv und lösungsorientiert
geführt«, schreibt die Schule auf Anfrage. Intern
hört man: Weiteren Geldfluss erwarte man von
russischen und chinesischen Investoren, an die sich
einige verzweifelte Eltern gewandt hätten.
In Kaiserswerth hat man derweil die vorläufig
letzte kreative Idee zur Rettung der Zuschüsse aus
dem Ärmel gezaubert. Im Vorstand der ISD wurde
diskutiert, das Schmuckstück für die Stadtgesell-
schaft statt mit Geld vom Schulministerium mit
freundlicher Unterstützung des Wirtschaftsminis-
teriums zu fördern. Sozusagen als Dankeschön für
das internationale Flair, das die Eliteschule mit
Kindern von Topverdienern aus den Niederlanden
bis China der Stadt verleiht.

Mitarbeit: Judith Luig

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  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 35 CHANCEN^57

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