Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1
In meinen Träumen habe ich oft Flashbacks. Ich sehe mich als kleiner Junge auf dem Basketballplatz stehen und meine ersten Körbe werfen. Oder ich träume von Liviu Călin, dem Trainer, der mich mit zehn auf einem Freiplatz in Braun-schweig entdeckt und ab da gefördert hat. Manchmal träume ich auch von meinem Vater. Ich träume davon, dass er stolz auf mich wäre, wenn er sehen könnte, was aus mir geworden ist. Als Kind habe ich viele Sportarten ausprobiert: Ich bin Skate

board gefahren und habe Tischtennis und Fußball

gespielt. Ich hatte damals keinen besonderen Fokus und wollte

einfach nur das tun, was mir gerade Spaß machte.

Wenn ich Basketball spielte, guckte mir mein Vater oft zu. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das wir führten, als ich 16 war. Wir unterhielten uns über Basketball und über meine Zukunft. Dabei versprach ich ihm, alles daranzusetzen, um eines Tages den Sprung in die NBA zu schaffen, die beste Basketball-Liga der Welt. Zehn Tage nach unserem Gespräch erlitt mein Vater einen Herzinfarkt. Er starb mit 46 Jahren. Mich und den Rest meiner Familie traf das völlig unerwartet. Mit einem Mal fühlte ich mich für sie verantwortlich, und es war, als ob sich

in meinem Kopf ein Schalter umlegte. Von da an trainierte ich jeden Tag stundenlang. Manchmal kam ich erst nachts nach Hause, wenn meine Mutter und meine Geschwister längst schliefen. Ich wollte das Versprechen einlösen, das ich meinem Vater gegeben hatte, und es für ihn in die NBA schaffen. Das wurde zu meinem großen Traum.Als ich mit 19 tatsächlich für die NBA ausgewählt wurde, konnte ich vor Aufregung eine Woche lang kaum schlafen. Ich wusste nicht, was in den USA auf mich zukommen würde, als ich mit meiner großen Schwester und meiner Nichte nach Atlanta zog. Dort anzukommen war für mich ein Kultur

schock: Es gab anscheinend keine staatlichen

Strukturen, und nur wer Geld hatte, schien gesellschaftlich anerkannt zu sein – so kam es mir jedenfalls vor. Meine Schwester kümmerte sich darum, dass es mir gut ging. Sie kochte und organisierte den Haushalt für mich, damit ich mich komplett aufs Basketballspielen konzentrieren konnte. Das half mir sehr dabei, mich einzuleben.Vor Kurzem bin ich zum ersten Mal Vater geworden. Die Nächte sind seither kürzer, aber meine Frau hält mir den Rücken frei, damit ich meinen Schlaf kriege. Zum Glück ist unser Sohn bislang ein unkompliziertes Baby.

Heute träume ich davon, mit meiner Familie auf Santorini oder Mykonos eine längere Auszeit zu verbringen. Momentan geht das nicht, weil ich ein straffes Programm habe und immer auf dem Platz stehe. Aber nach meiner Karriere werde ich si-cher genügend Zeit haben, mir diesen Traum zu erfüllen.

»Ich wollte das Versprechen einlösen, das ich meinem Vater gegeben hatte«


Dennis Schröder, 25, ist in Braunschweig geboren Aufgezeichnet von Nana HeymannZu hören unter http://www.zeit.de/audio
und aufgewachsen, dort begann 2 010 auch seine
Karriere als Basketballprofi. 2 013 wechselte er zu den Atlanta Hawks in die NBA, aktuell steht er bei Oklahoma City Thunder unter Vertrag. Er ist Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft,
die ab dem 31. August bei der WM in China antrittFoto Christoph Voy
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