In einer Dorfaktion bauten die Radiborer vor 16 Jahren
ihre Holzbrücke. Sie führt auf eine Insel in einem Teich.
Dort treffen sie sich zum Feiern: Polterabende, Erbsensup-
pe an Himmelfahrt, Abfischen im Herbst. An diesem Mai-
abend 2019 aber ist es der Wolf, der alle zusammenbringt.
In einer Eisenschale flackert das Wolfsmahnfeuer, wie sie es
nennen, das Symbol ihrer gemeinsamen Sorge. Inzwischen
durchstreifen mehrere Rudel die Oberlausitz.
Vom Festland her klingen Glöckchen. Der Bürgermeister
Vinzenz Baberschke hat sie seinen zehn Schafen um die
Hälse gebunden. »Ich freue mich immer, wenn ich auf-
wache und es bimmeln höre. Dann sag ich: Wieder eine
Nacht überstanden«, erzählt er, auf einer Bierbank sitzend.
Hier gehöre Weidewirtschaft zum Dorfleben. Und die sei
von Wölfen bedroht. Ein junger Mann in Fleece jacke aus
dem nahen Ralbitz zeigt ein Handyfoto. Eines seiner Scha-
fe, die Innereien und das ungeborene Lamm aus dem Bauch
gerissen. Sein alter Vater habe an jenem Tag geweint.
Eine Frau am Feuer, Carola Tuschmo, fährt in ihrer Freizeit
zu Betroffenen, hilft beim Ausfüllen der Entschädigungs-
anträge, spendet Trost. »Ich habe das selber erlebt, wie man
alleingelassen wird«, sagt sie. Bei den amtlich eingesetzten
Gutachtern komme das Menschliche oft zu kurz.
Ein Mann tritt aus der Dämmerung zur Runde, abge-
kämpft und in fleckigem Strickpullover. »Hallo, Schä-
fer«, wird er begrüßt, es ist der letzte Wanderschäfer
der Gegend. Jetzt beginnt sein Feier abend. »Neunzehn
Geburten heute.« Er lässt sein Bier ploppen und erzählt, in
der neuen Ausgabe der Schafzucht sei zu lesen, 80 Prozent
der Deutschen befürworteten den Wolf. Eine ältere Frau
ärgert sich. »Die Menschen wollen den Wolf, aber auch
das gute Biofleisch aus der Region. Sie wollen Artenviel-
falt, aber die geht verloren, wenn keiner mehr die Weiden
bewirtschaftet. Ich versteh diese Leute nicht.«
Sie berichten vom Hass, der ihnen im Internet von den
Verfechtern der Wölfe entgegenschlage. Als »Wolfs pegida«
werden Schafhalter dort beschimpft. »Die schreiben, wir
würden unsere Tiere nicht anständig schützen, wären
unfähig, dumm und faul«, sagt der junge Mann aus Ralbitz.
Dass der Wolf ganz verschwindet, wolle aus der Runde kei-
ner, versichern sie. Aber Rudel, die Herden angreifen, Dör-
fern und Menschen zu nahe kommen, müssten »entnom-
men« werden, bevor jemand eigenmächtig zur Flinte greife.
Wie vorigen Sommer. Keine 30 Kilometer entfernt fand
man in der Uferzone eines Sees einen Wolfskadaver, durch-
siebt mit Schrot. Völlig krank seien solche Menschen, sagt
der Bürgermeister. »Sie schaden unserer Gemeinschaft.«
Es ist eine Gemeinschaft, die schrumpft. Der Wander-
schäfer hat niemanden, der seine Herde mal übernimmt.
Der junge Ralbitzer wird die 110 Schafe seines Vaters ver-
kaufen, ein letzter Sommer, dann ist Schluss. Er habe die
Schäferei ohnehin nur im Nebenerwerb fortführen wollen,
sagt er, arbeite längst als Pflegekraft in der Stadt.
Wolfsmahnfeuer
Radibor, 10. Mai 2 019
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