Süddeutsche Zeitung - 06.09.2019

(Michael S) #1
von stephanie schmidt

S


chöner, aber auch praktischer sollte
es werden, das Leben aller Men-
schen. Mit modernen Schrifttypen,
Möbeln, Textilien, Bühneninszenierun-
gen und innovativen Bauten. Vor hundert
Jahren begann das Bauhaus in Weimar
mit diesem ambitionierten Experiment.
Doch weiter südlich, in Dessau, erlebte
die von dem Architekten Walter Gropius
gegründete Kunstschule ihre Blütezeit.
Was von 1925 bis 1932 in der Stadt im heu-
tigen Sachsen-Anhalt ersonnen und er-
probt wurde, hatte Modellcharakter. Hier
entstanden so bekannte Kreationen wie
die Stahlrohrstühle von Marcel Breuer
oder die Leuchten von Marianne Brandt.
„Kunst und Technik – eine neue Ein-
heit“ war seit 1923 Gropius’ Programm.
Von reaktionären Kräften in Weimar ver-
trieben, wählte er Dessau als Standort sei-
ner Hochschule für Gestaltung, weil er Ko-
operationen mit dort ansässigen Industri-
ellen wie dem Ingenieur Hugo Junkers an-
strebte. Junkers baute Flugzeuge, aber
auch Häuser und Möbel. Im Dessauer
Technikmuseum kann man sich auch
über die enge Verbindung zwischen Gro-
pius und dem Erfinder informieren.
Assoziationen an einen futuristischen
Flugkörper erweckt das von Gropius ent-
worfene Bauhausgebäude aus Stahlbe-
ton und Glas, das man bei einer Führung
besichtigen kann. Es besteht aus fünf mit-
einander verbundenen Gebäudeelemen-
ten. Eines von ihnen formt das Atelierge-
bäude, in dem einst Bauhausstudenten
wohnten. Wer in den Zimmern des soge-
nannten Prellerhauses übernachtet,
kann Bauhausatmosphäre erleben. Die
Räume sind weitgehend gestaltet wie da-
mals. Das Hochschulgebäude ist Sitz der
Stiftung Bauhaus Dessau, die über eine
Sammlung von 50 000 Exponaten ver-
fügt – neben Arbeiten aus den Werkstät-
ten Dokumente zur Geschichte und Re-
zeption des Bauhauses sowie Nachlässe.
Stadt und Stiftung feiern das Jubilä-
um mit zahlreichen Veranstaltungen. Ei-
ner der wichtigsten Termine steht kurz
bevor: Am 8. September wird das neue
Bauhausmuseum im Stadtpark eröffnet.
Mit seiner Ausstellungsfläche von 2100
Quadratmetern bietet es bessere Präsen-
tationsmöglichkeiten als das Hochschul-
gebäude. „Wir können künftig 1000 Expo-
nate der Sammlung zeigen und werden
bestimmte Stücke von Zeit zu Zeit austau-
schen“, sagt Wolfgang Thöner, einer der
Kuratoren der Dauerausstellung. „
haben wir bei null angefangen“, berichtet
der Kunsthistoriker, der seit 1985 am Bau-
haus Dessau tätig ist. „Die ersten Expona-
te kamen von Sammlern aus der ehemali-
gen DDR.“ Heute ist die Bauhaus-Samm-
lung Dessau die zweitgrößte der Welt.
Zu einer Bauhaustour in Dessau ge-
hört auch die Besichtigung der Meister-
häuser – drei Doppelhäuser und das Ein-
zelhaus des Direktors. Die weißen, inein-
ander verschachtelten Kuben, in denen
Bauhausmeister wie Paul Klee, Georg Mu-
che oder Oskar Schlemmer lebten, äh-
neln einander nur von außen. Wer sie be-
tritt, wird mit unterschiedlichen ästheti-
schen Vorstellungen der Bauhaus-Lehrer
konfrontiert. So prägt ein buntes Farb-
konzept das anlässlich des Jubiläums
renovierte Haus Kandinsky/Klee; eher
nüchtern, wie es Gropius zugesagt hätte,
wirken die Räume des Direktorenhauses.
Mit der Linie zehn, dem „Bauhaus-
Bus“ gelangt man auch zu anderen Proto-

typen des modernen Bauens: Er hält am
Ausflugslokal Kornhaus des Architekten
Carl Fieger und bringt einen zur Reihen-
haussiedlung Dessau-Törten. Dort ging
es Gropius darum, erschwingliche Eigen-
heime mit Nutzgärten für „kleine Leute“
zu bauen. Seine Vorstellung von sozialem
Mietwohnungsbau realisierte Hannes
Meyer, der Gropius 1928 als Direktor
nachfolgte, mit einer Erweiterung der
Siedlung – den Laubenganghäusern.
Eine Verbindung zwischen zwölf Bau-
hausbauten schafft das fürs Jubiläums-
jahr entwickelte Projekt „Originale neu
erzählt“, zugleich widmet es sich dem ein-
zelnen Bauwerk. So kann man sich etwa
im Konsumgebäude, das eine Ladenzeile
mit einem Wohntürmchen verbindet,
oder im Historischen Arbeitsamt Filme
zur Geschichte des jeweiligen Bauwerks
ansehen. Und die Freiraum-Ausstellung
„Unsichtbare Orte“ zeigt an Gebäuden
und auf Plätzen, wie stark das Bauhaus
das gesellschaftliche Leben der Zwanzi-
gerjahre in Dessau prägte. Mit mehr als
hundert Firmen arbeiteten die Bauhäus-
ler am Ort zusammen, sie entwarfen Wer-
bebroschüren, statteten Schaufenster
aus. Was auch zur Bauhauskultur gehör-
te: rauschende Feste, die man auf den
großzügigen Balkonen und Terrassen
der Meisterhäuser feierte.

Das von Gropius geplante Historische Arbeitsamt galt seinerzeit als hochmodern.
Sein Licht- und Belüftungskonzept mit Elementen aus dem Industriebau sollte Ar-
beitssuchende optimistisch stimmen. FOTO: YVONNE TENSCHERT/STIFTUNG BAUHAUS DESSAU

Am Konsumgebäude starten Architekturführungen durch Törten. Es wurde 1928 als
zentrales Gebäude der Siedlung errichtet und beherbergt eine Dauerausstellung zu
ihrer Geschichte. FOTO: YVONNE TENSCHERT/STIFTUNG BAUHAUS DESSAU


Kunst trifft


Technik


Hundert Jahre Bauhaus: In Dessau haben


Kreative, Freigeister und Vordenker ihre Spuren


hinterlassen. Eine Erkundungstour


Wer am Bauhaus studierte und ein Apartment im Ateliergebäude, dem sogenannten
Prellerhaus, ergatterte, konnte sich glücklich schätzen. Einzelzimmer waren für Stu-
denten in den Zwanzigerjahren Luxus. FOTO: YVONNE TENSCHERT/STIFTUNG BAUHAUS DESSAU


Das Direktorenhaus (Vordergrund) und das Haus Moholy-Nagy wurden im Krieg zer-
stört. Besonderes Merkmal der rekonstruierten, 2014 wiedereröffneten Meisterhäu-
ser: die Unschärfe der Fenster. FOTO: YVONNE TENSCHERT/STIFTUNG BAUHAUS DESSAU

Erst seit Kurzem ist das Südtreppenhaus des Bauhausgebäudes öffentlich zugäng-
lich. Wie die Meisterhäuser und die Laubenganghäuser in Dessau-Törten gehört das
Bauhausgebäude zum Unesco-Welterbe. FOTO: THOMAS MEYER/STIFTUNG BAUHAUS DESSAU


Bauhaus-Architekt Carl Fieger kombinierte für sein Ausflugslokal „Kornhaus“ run-
de mit kantigen Formen. Drinnen und draußen speist man dort mit Ausblick auf die
Elbauen-Landschaft. FOTO: RONNY HARTMANN / GETTY IMAGES

1 km

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DESSAU

Kornhaus

Meisterhäuser

Bauhaus-
Gebäude

Ateliergebäude
(Prellerhaus)
Bauhaus-
Museum
Historisches
Arbeitsamt

Törten-
Siedlung

Elbe

Mulde

DEFGH Nr. 206, Freitag, 6. September 2019 SZ SPEZIAL – BAUHAUS IN SACHSEN-ANHALT 15


NEUab

8. September

2019

Bauhaus

Museum

Dessau

Bauhaus Dessau

und die Moderne in Sachsen-Anhalt

http://www.bauhaus-entdecken.de

BauhausgebäudeDessau,WalterGropius( 1925 – 26 ),Südseite
TadashiOkochi©PenMagazine, 2010 ,StiftungBauhausDessau

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