Süddeutsche Zeitung - 06.09.2019

(Michael S) #1

Freitag, 6. September 2019 EINEANZEIGENSONDERVERÖFFENTLICHUNGDES SÜDDEUTSCHEN VERLAGES 23


WERKSTOFFE DER ZUKUNFT


heutenochgehenüberzweiDrittelaller
technischenNeuerungendirektoderindi-
rektaufneueMaterialienzurück,sodas
BundesministeriumfürBildungundFor-
schung.DasgiltfürfastalleWirtschafts-
zweigeundTausendeUnternehmenwie
dieSimon-Gruppe.

NeueEinsatzgebiete
UmProdukteauseinemodermehreren
Werkstoffenherstellenzukönnen,diege-
wünschteEigenschaftenwieBiegsamkeit
oderFeuerfestigkeithaben,gibt esdie
Werkstoffforschung.Hierstandeninden
letztenJahrenetwaelektrischleitfähige
KunststoffeundultraleichteVerbundstof-
feimMittelpunkt.Beispiel:Faserverbund-
werkstoffe.Siezeichnensichdurchhohe
FestigkeitundSteifigkeitsowiegeringes

Gewichtausundhabenzuletztvieleneue
Einsatzgebiete erobert. Der Leichtbau-
Werkstoffwirdin Flugzeugen,Booten
undAutosverarbeitet,fürFahrradrahmen
undTennisschlägergenutzt.Und noch
sindnichtallePotenzialeausgeschöpft.
DasFraunhofer-ZentrumfürHochtempe-
ratur-LeichtbaunenntbeispielsweiseHit-
zeschutzsystemefürRaumflugkörperund
KomponentenfürTurbinenmitheißen
Gasen.
AuchderMedizinkanngeholfenwer-
den:Bisher galt Spinnenseideals das
stärkstebiologischeMaterial–stärkerals
beispielsweiseStahl.JetzthabenForscher
künstlicheZellulosefasernhergestellt,die
sogardieSpinnenseidetoppen.Nutzbarist
das ultrastarkeMaterial aus Zellulose-
Nanofasern(CNF)inderBiomedizin,da

dieZellulosevomKörpernichtabgesto-
ßenwird.

InnovativeVerfahren
UmMaterialienmitbisherunerreichten
Funktionalitäten zu erzeugen,arbeiten
ForschermitneuenVerfahren.EinBei-
spiel: Bisherverwendet dieWirtschaft
etwasiebenProzentdesPrimärenergie-
bedarfsin Deutschlandfürindustrielle
WärmebehandlungenzurHerstellungvon
metallischenundkeramischenBauteilen.
DieBearbeitungvonMaterialienmithilfe
elektrischerundmagnetischerFelderbe-
nötigtvielwenigerEnergie.Undsiekann
„normalerweisesprödeundschwerzube-
arbeitendeWerkstoffeplastischverform-
barmachen,sodasssieleichterzube-
arbeitensind“,wieOliverGuillonvom

JülicherInstitutfürEnergie-undKlima-
forschungerklärt.Auchließensichspe-
zielleLegierungenundMaterialkomposi-
tionenherstellen.
NocheinmalzurückzurSimon-Grup-
pe.DiehatvorzweiJahrenbegonnen,
eineneueKompositionfüreinensyntheti-
schenKunststoffzunutzen.Damitstellt
dasUnternehmenHartmetall-Spikesfür
WinterreifenvonAutosher,diekaum
nochFeinstaub-Emissionenerzeugen,und
diedieStraßenwenigerschädigenalsher-
kömmliche,indasReifenprofileingearbei-
teteMetallstifte.Besondersgroßistdas
InteresseandenneuenSpikesinSkandi-
navien,„weildortdieUmweltstandards
besondersstrengsind“,sagtGeschäftsfüh-
rerHilgert.„UnsereRezepturistnatürlich
geheim.“

Chancen durch


neue Werkstoffe


VONJÜRGENHOFFMANN


AusdemSchwarzwaldkommennichtnur
Kuckucksuhren.Auch neueWerkstoffe
werdenhierentwickelt,zumBeispielin
derSimon-GruppeinAichhalden.BeCoat
heißtderPanzerungswerkstoffdes 800 -
Mitarbeiter-Unternehmens. Eingesetzt
wirdderWerkstoff,derfürsPlasma-Pul-
ver-Auftragschweißenverwendetwird,in
unterschiedlichenRezepturenüberall,wo
harteMetalleimEinsatzgroßemVer-
schleißunterliegen.


BeispielLandwirtschaft
Frühermussten Bauern diestählernen
HarkenihresPflugesallepaarTageaus-
tauschen,heuteerhält dasMetalleine
SchutzschichtausBeCoatundhältsoeine
ganzeSaison.AuchMeißel,mitdenenim
Bergbau Gestein bearbeitet wird,zer-
schleißen dank Beschichtungmit dem
neuenWerkstofflangsamer.„Wirschauen
nachMärkten,derenUnternehmenwir
nebenunserenVerschleißwerkzeugenin-
novativeintelligente Werkstofflösungen
anbietenkönnen“,erläutertTobiasHil-
gert,GeschäftsführerderSimon-Gruppe.
„UnsereneuenWerkstoffehelfenunseren
Kunden,Betriebskostenzusparen,weil
dieMaschinenundWerkzeugeseltener
ausgetauschtwerdenmüssen.Dasistin


Märkten,dieauchvonBilliganbieternbe-
arbeitetwerden,einechterWettbewerbs-
vorteilfüruns.“
Rund 300000 EurohatdieEntwick-
lungderPTA-BeschichtungdenMittel-
ständlergekostet.Mitfinanzierthatdas
ProjektdieIndusHolding,zuderdie
Simon-Gruppegehört.MitdemFörder-
bankmodellhatIndus,unterderenDach
46 mittelständischeFirmenagieren,bis
EndeletztenJahres 18 Projektemitinsge-
samtdreiMillionenEurogefördert. 2019
wurde das Fördervolumen auf durch-
schnittlichdreiProzentdesKonzern-EBIT
proJahrerhöht.TobiasHilgert:„Fürdie
Erforschung und Entwicklung neuer
WerkstoffesindhoheInvestitionennot-
wendig,dieeinMittelständleralleinoft
nichtstemmenkann.WirhabendieIndus-
Förderbank 2017 zumerstenMalgenutzt
undwerdenunserProjekt 2020 erfolg-
reichabschließenkönnen.“
MaterialensindseitMenschengeden-
ken wichtig für Fortschritte gewesen.
Neuezufindenoderzuerfinden,warund
isteinewesentlicheTriebfederdesHomo
sapiens.AusSteinwurdendieerstenein-
fachenKlingenhergestellt,späterermög-
lichtedieMetallbearbeitungdieFertigung
komplexgeformterWerkzeuge,dieErfin-
dungderDampfmaschineläuteteschließ-
lichdieindustrielleRevolutionein.Auch

InnovationensindohneWerkstoffforschungund-entwicklung


undenkbar.NeueWerkstoffekönnendieProduktlebenszeit


verlängernundhelfen,dieBetriebskostenzusenken.


Spinnenseidegilt
alsdasstärkste
biologischeMate-
rial.Jetzthaben
Forscherkünstli-
cheZellulosefasern
hergestellt,dieso-
gardieSpinnensei-
detoppen.Foto:
dachux 21 -
stock.adobe.com

lichgepresst,erreichteseinenähnlichen
HärtegradwieSperrholzundlässtsichfür
denMöbelbauverwenden.
Auch Wissenschaftler des Fachbe-
reichsNachhaltigesBauendesKarlsruher
InstitutfürTechnologie(KIT)arbeitenan
derVerwendungvonPilzmyzeliumals
ökologischesund leichtes Baumaterial.
KIT-ArchitekturprofessorDirkHebelsieht
zudemgroßeChancenfürBambusals
nachwachsendenBau-undWerkstoff,der
invielenLändernauchaufBödengedeiht,
auf denen nicht viel anderes wächst.
SchonnachdreiJahrenkanndasholzähn-
licheGrasgeerntetwerden,esbraucht
kaumWasserundDünger,wächstimmer
wiedernachundbindetgroßeMengen
CO 2 .HebelundseinTeamwollenGebäu-
deausgepresstenBambusfasernundHarz
bauen–einGemisch,dasnurschwerent-
flammbarundsehrbeanspruchbarist.
InKombinationmitmodernenFerti-
gungstechniken und computerbasiertem
DesignerlebtHolzalsnachwachsender,
regionalverfügbarerBau-undWerkstoff
eineneueRenaissance.So bestehtein
schildkrötenartigerLeichtbaupavillonauf
derBundesgartenschauinHeilbronnaus
400 Holzkassetten,dieperRobotervor-
gefertigtwurden.Geplantwurdediege-
schwungeneKonstruktion,dieeineFläche
von 25 Meternüberspannt,vonderUni-
versitätStuttgart.EinpaarMeterweiter
stehtimneuenStadtquartierNeckarbogen
seit Kurzem das höchste Holzhaus
DeutschlandsmitzehnStockwerken.Die
Stützkonstruktion besteht aus Brett-

Produktion:
Anzeigen:


STZWSonderthemen
JürgenMaukner

»impressum


VONHANS-CHRISTOPHNEIDLEIN


Forschertüftelngerne.Soentwickelten
ProfessorAlirezaKharazipourundsein
TeamvonderUniversitätGöttingenin
einemForschungsprojektbesondersleich-
teHolzwerkstoffplattenmiteinemKern
ausPopcorn(Puffmais),diebeigleichen
mechanischenEigenschaftennurhalbso
schwerwieSpanplattensind.„Interessant
ist dieFähigkeitdesPopcorngranulats,
FormaldehydabTemperaturenvon 70 °C
zubinden.Dadurchwirddasproblemati-
scheGaswederbeiderHerstellungnoch
imGebrauchfreigesetzt“,sagtProfessor
Kharazipour.AlsEinsatzgebietesiehter
nebendemMöbelbauauchdenDämm-
stoffbereich, denn Popcorngranulat hat
einesehrgeringeWärmeleitfähigkeit.Ge-
nutztwerdenkönntenauchgeringwertige
MaissortimentewieBruchmais,diealsLe-
bensmittelnichtinfragekommen,betont
derProfessor.


GUTEDÄMMEIGENSCHAFTEN


AnPilzenalsalternativerBaustoffund
DämmmaterialforschtdagegendieBio-
designerinJuliKrayeramFraunhofer-Ins-
titutfürUmwelt-,Sicherheits-undEner-
gietechnikUmsichtinOberhausen.Ge-
nauergesagtgehtesumdieVerwendung
vonPilzmyzelium,einemfeinenGeflecht
feinerFädenundfadenförmigerZellen,
dasunterirdischwächst.Krayerentwickelt
Verfahren,mitdenensichdiesezuWerk-
stoffenweiterverarbeitenlassen.Hierbei
werdendiePilzwurzelnmiteinemNähr-
bodenausbiologischemAbfallwieKaf-
feesatz,Stroh und Buchenspänen ver-
mischt.NacheinigenWochendurchzie-
hendieMyzeliendasgesamteSubstrat
undbildeneinefesteStruktur,diean-
schließendzerkleinertwird.
ZerbröseltlässtsichdanndasMaterial
inpraktischjedebeliebigeFormpressen,
das vielseitig weiterverarbeitet werden
kann.„DasaufdieseWeiseentstehende
MaterialhatsehrguteDämmwerteund
machtessomitzueinerAlternativezu
Styropor“,erklärtKrayer.Wirdeszusätz-


schichtholz,DeckenundWändeaushei-
mischemFichtenholz.Treppenhausund
FundamentwurdenausBrandschutzgrün-
denausStahlbetonerrichtet.
NeuentdecktwirdauchLehmalsviel-
seitiger,gesunderundökologischerBau-
stoff, der problemlos wiederverwendet
undentsorgtwerdenkann.„BeiProduk-
tionundVerarbeitungfallenzudemkaum
CO 2 - Emissionenan“,sagtLehmbau-Pio-
nierPeterBreidenbach,Geschäftsführer
vonClaytechausViersen.AuchderNa-
turkosthändlerAlnaturasetztebeimBau
seinerneuenFirmenzentraleinDarmstadt
aufLehm.MiteinerBruttogeschossfläche
von 13500 QuadratmeternistderKom-
plexdaseuropaweitgrößteBürogebäude
miteinerAußenfassadeausLehm.

Was die Natur so bietet


HäuserausPilzen–MöbelausPuffmais:DieEntwicklungundVerwendungnachhaltiger,ökologisch


verträglicherundgesunderWerkstoffeimHaus-undMöbelbauliegtimTrend.Hierzugibtesauch


unkonventionelleneueAnsätze.


»INFO


FürdenBauwerdenmeistPrimärrohstoffe
wieSandoderKieseingesetzt,dajährlich
nurfünfProzentdesBauschuttsalshoch-
wertigesProduktfürdenEinsatzimHoch-
bau indieBauwirtschaftzurückgeführt
werden.ImProjekt„Baucycle“entwickeln
vier Fraunhofer-Institute eineganzheit-
licheRecyclingstrategiefürfeinkörnigen
Bauschutt mit dem Ziel, heterogenen
BauschuttwiederinhomogeneBaupro-
dukteüberführenzukönnen.Zudemwird
eineMarktplattformentwickelt,umAn-
bieterundNachfragerzusammenzubrin-
gen. Hans-ChristophNeidlein

Aufderdiesjähri-
genBundesgarten-
schauwerdenneue
Ansätzezumdigi-
talenHolzbauge-
zeigt.DieSchalen-
konstruktiondieser
Hallebasiertauf
biologischenPrin-
zipiendesPlatten-
skelettsvonSee-
igeln.Foto:BUGA
Heilbronn 2019
GmbH

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