Süddeutsche Zeitung - 06.09.2019

(Michael S) #1
vonthomas anlauf

D


er Himmel leuchtet purpur.Gerade
ist dieSonne hinter einem Rohbau
verschwunden, drei Kräne zeich-
nen sich als schwarze Silhouette amHori-
zont ab.Noch ist genügend Licht, um die
Gesichtszüge der sieben Frauen und Män-
neramStraßenrand zu erkennen, dieinter-
essiert auf einen Laternenmastblicken.
DieDelegation ist aus Südkorea angereist,
um diesen Anblick zu erleben: 23 Leuchten
entlang der Bodenseestraße. Es ist
20.26 Uhr,die Lampen flammen auf. Die
Koreaner knipsen.


Junui Leeverneigt sich höflich.„Wir
sind geschäftlich nach Deutschland ge-
kommen“, sagt der Dolmetscher der Dele-
gation. DieBeamten der Stadtverwaltung
vonSeoul um den Delegationsleiter Shin
WonWoo wollen inMünchen erfahren,wel-
che Lichtsystemehierverwendetwerden.
Schließlich hat Seoul ein ambitioniertes
Ziel: „Bis 2022 soll diegesamte Beleuch-
tung mit LED ausgestattet sein“, sagtJunui
Lee.Nun, soweit istMünchen noch lange
nicht. Im riesigenNeubaugebietvonFrei-
ham,wosich diekoreanische Delegation
an diesem Spätsommerabend über das
Münchner Straßenlicht informiert, läuft
erst ein Pilotprojekt mit intelligenten
Leuchten. „Freiham Nord ist der erste
Stadtteil inMünchen, derkomplett in LED
ausgebaut wird“,sagt RalfNoziczka seinen
Gästen ausFernost. Der Ingenieurist beim
Baureferat zuständig für Straßenbeleuch-
tung,Verkehrsleittechnik und Grundsatz-
angelegenheiten–etwa, umMenschen die
Sache mit dem Licht in der nächtlichen
Stadt zu erklären.
Für FreihamNord sei ein Licht-Master-
plan erstellt und der Frage nachgegangen
worden: Wie viel Licht und inwelcherTö-
nung ist nötig? WievielintelligenteTech-
nik kann man in einen Lichtmast packen?
Undwokönnen Leuchten bis auf zehn Pro-
zent ihrer Leistung heruntergedimmtwer-
den,wenn gerade niemand auf demGeh-
wegunterwegs ist? In diesemJahr will das
Baureferat dieersten Ergebnisseaus Frei-
ham dem Stadtratvorlegen. Es gehtvoral-
lemumdie Frage, ob die energieeffizien-
ten Leuchtdioden, dieindie eigensvom
Baureferat entwickelten Hightech-Licht-
masten eingebautworden sind, künftig
stadtweit eingesetztwerden können.
Doch bisMünchen LED-Stadt sein wird,
ist es noch einweiterWeg. AmTagvor dem
Besuch der Südkoreaner sitztNoziczka im


Besprechungsraum des technischen Be-
triebszentrums inMoosach und sagt:„Wir
haben fast einhunderttausend Straßen-
leuchten in München, insgesamt etwa
200 000 Lampen.“Ermacht eine kleine
Pause und lässt diesen Satz wirken. Dann
schiebt er noch ein paar Zahlen hinterher,
um zuverdeutlichen, dass eineUmstel-
lung der Beleuchtungstechnik inMünchen
ein langwieriger Prozess ist. Eine Straßen-
laterne habe eine Lebensdauervon25bis
zu 40Jahren, noch etwadie Hälfte der Lam-
pen sind Leuchtstofflampen und die hal-
ten etwa vierJahre, bevorsie ausgetauscht
werden können.
Trotzdem istNoziczka auch ein wenig
stolz auf das Projekt in Freiham, dem laut
Stadtverwaltung größten Entwicklungsge-
biet Deutschlands. Es ist mit Wien undLy-
on Teil desGemeinschaftsprojekts „Smar-
terTogether“,andere Städte interessieren
sich dafür–sogar Seoul. Dieneu konstru-
iertenLichtmastenbietenPlatz für Wlan,
Geräte fürVerkehrsanalysenund die Über-
mittlunglokalerWetterdaten, bei Bedarf
auch Ladebuchsen für Elektrofahrzeuge.
Dabeikosten die Masten nur unwesentlich
mehr als herkömmliche Laternen.
Die Straßenleuchten sind ohnehin fast
schon eine Wissenschaft für sich. Da gibt
es die „LaterneMünchen“, die einwenig
wieein Heizpilz mitHutaussieht und un-
ter anderem im Bavariapark steht; oder die
Typen „Alt-München“und „Bavaria“, die
fast an die Zeit erinnern, alsMünchen noch
mitGaslicht erleuchtet wurde; und nicht
zuvergessen die aufgespießten Doppel-
schüsseln in der Fußgängerzone, die nach
Ansicht des Baureferats „eine einladende
Atmosphäre“ schaffen.

„Bei Licht geht es umsWohlfühlen“,
sagt Manfred Beck. DerMünchner Licht-
künstlerblickt aus seinem hellen Bürona-
he der Isar aus demFenster,inden Ästen
des Baums davorsitzt eine Puppe auf einer
Schaukel, daneben hängen bunte Gießkan-
nen, die nachts inwarmem Lichtleuchten.
„Ich mache Dinge nicht immer nur mit ei-
nemZweck, sondernauch aus Freude“,
sagt Beck, der seit fast zweiJahrzehnten
mit seiner FirmambeamauchMünchenre-
gelmäßig erstrahlen lässt.Den Promenade-
platz etwa, dessen Grünanlage Beck und
seinTeam seitJahren zurAdventszeit mit
60 000 LED-Lichtern illuminieren. Die
schaukeln dann abends wieflirrende
Schneekugeln in den kahlen Bäumen.
Auch die Brienner Straße erleuchtet er
im Winter mit abertausenden Lichtpunk-
ten; am Viktualienmarkt hat er ebenfalls
ein Beleuchtungskonzept erstellt. Dort
geht es aber neben demWohlfühleffekt
auch um Sicherheit in den nachts dunklen
Ecken der Standl.„Vandalismus ist fast zu
vernachlässigen,wenn Licht gut gestaltet
ist“,hat Beckfestgestellt. Aber wenn etwas

beleuchtet wird, dann müsse es auch eine
hohe Qualität haben.
DakönnteMünchen noch einiges tun,
findet der ehemaligeGrafikdesigner,auch
wenn er viel mit der Stadt zusammenarbei-
tet. „Ichversuche, im öffentlichen Bereich
mutig zu sein“, aberMünchen sei da ziem-
lich traditionell, oftmals sogar selbstgefäl-
lig. An der Isar zum Beispielkönnte er sich
vorstellen, dass dort abends Orte entste-
hen, dieimwarmen Licht erstrahlen,wo
sichMenschen gerne aufhalten.Auch was
dieBeleuchtungvonGebäudenund Brun-
nen angeht, wünscht er sich mehrMut.
Wien und London sind für ihn daleuchten-
de Vorbilder.„Wien macht ein mutiges und
trotzdem sehrgutesLicht“,findet Beck.Be-
sonders im Winterwürdendort verschiede-
ne Straßenvonunterschiedlichen Künst-
lern beleuchtet. InMünchen dagegen wür-
de ein öffentlichesGebäude manchmalre-
gelrecht „plattgeleuchtet ohnejede Akzen-
tuierung“.
Tatsächlich unterscheidet das Baurefe-
ratgrobgesagt nur zwischen zwei Optio-
nen bei der Bestrahlungvonöffentlichen
Gebäuden: entwederwarmes Licht wie et-
waan der Theatinerkirche und derFeld-
herrnhalleoder kaltesweißes Licht wie an
der Bavaria. „München ist da eher zurück-
haltend“,bestätigt RalfNoziczkavomBau-
referat. Immerhin gibt es aber etwa
140 BauwerkeinMünchen, die abends in
künstliches Licht getauchtwerden–darun-
ter der Wittelsbacher Brunnen, derJustiz-
palast, das SendlingerTorund der Frie-
densengel. Bisher wirddie Beleuchtung
um 0.30 Uhr abgeschaltet. Doch das soll
sich nun ändern. Denn seit 1.August gilt
das neue Bayerische Immissionsschutzge-
setz, das Umweltminister Thorsten
Glauber (FreieWähler)erlassen hat. Das be-
sagt, dass es nun „nach 23Uhrund bis zur
Morgendämmerung“verboten sei, „die
Fassaden baulicher Anlagen der öffentli-
chen Hand zu beleuchten“. Auch Leuchtre-
klame soll dann zumindest inAußenberei-
chen der Stadt ausgeschaltetwerden,Aus-
nahmen sind da etwaGaststätten.
Lichtkünstler Beck hält diesenVorstoß
desUmweltministeriums in einer Groß-
stadt wieMünchen für„lächerlich:Man
stellesichmal den Stachus und die Innen-
stadt ohne Beleuchtung vor–das ist ein fal-
scher Ansatz. Es geht hier doch um Lebens-
qualität.“ Damit meint er natürlich auch
diegefühlte Sicherheit, nicht mitten in der
Stadt nach 23 Uhr im Dunkeln zu tappen.
Für Beck geht es hier um eine Abwägung
zwischen den menschlichen Bedürfnissen
in einem städtischenGebiet undUmwelt-
schutz. DieStaatsregierung reagiert mit
dem neuen Licht-Erlass auf das erfolgrei-
cheVolksbegehren zum Schutz der Arten-
vielfalt.Licht lockt Insekten magischan.
„DieLichtverschmutzung ist natürlichvor
allem in derNähe vonhochwertigen Bioto-
pen ein großes Problem“, sagt Sophia En-
gelvomLandesbund fürVogelschutz (LBV)
in München. Das betreffeLeuchtreklamen
genauso wie Straßenlaternen. „DasFatale
ist: VieleInsektensind dafehlprogram-

miert, lassen sichvomLicht anlocken und
können sich davonnicht mehrbefreien.“
DasVerhalten der Tieresei völlig aufs Licht
ausgerichtet. DieFolge: An herkömmli-
chen Lampen, dieHitze entwickeln,ver-
brennen dieInsekten, andere sterben letzt-
lich an Erschöpfung oderwerdenleichte
Beute für Spinnen. Dochweniger Insekten
undFalter bedeutetwenigerNahrung für
Vögel in der Stadt.Naturschützer beobach-
ten seit längerem einen drastischen Rück-
gang vielerVogelarten inMünchen, ob-
wohl imVergleich zu ländlichenGebieten
im UmlandVögel in der Stadt oftmals bes-
sere Lebensbedingungenvorfinden.Ingro-
ßen Parks wiedemvonder bayerischen
Schlösserverwaltung betreuten Engli-
schenGarten, der nicht so dicht mitGeh-
wegleuchten bestückt ist wie städtische
Parks und es noch genügendUnterschlupf
für die Tieregibt, finden dieVögel oftmals
noch ausreichendNahrung.

Doch nicht nur fehlendes Futter wird
fürVögel zur Bedrohung.Wenn, wie der-
zeit,Vogelschwärme überMünchen in
Richtung Süden ziehen, fliegen viele
nachts. „Sieorientieren sich an den Ster-
nen und am Licht“,sagt Sophia Engel.
Nächtlich beleuchteteHochhäuser wirken
für dieVögel wie Leuchttürme, sie halten
darauf zu und knallen gegen dieGlasfassa-
den.AufKurzstrecken- oderTeilzieherwie
Rotkehlchen und Goldhähnchen üben
nächtlich beleuchteteBürotürme eine re-
gelrechte Magnetwirkung aus. „Für uns
wäre es ein großes Anliegen,wenn nachts
dieBeleuchtungvon Hochhäusern ausge-
schaltet wird“,sagtVogelschützerin Engel.
„Das hätte einen enormen Effekt.“
Wie starkMünchen nachtsleuchtet, ist
an klarenTagen selbstvonden bayeri-
schen Alpen aus gut zu erkennen. Eine rie-
sige Lichtglockewölbt sich dann über der
Stadt, dienie ganz zur Ruhekommt. Dabei
experimentieren Experten wie RalfNozic-
zka seit langem damit, wieMünchen ein
wenig dunklerwerden kann. Selbst ent-
langvonHauptstraßen und sogar auf dem
Mittleren Ring fährt ein Softwarepro-
gramm jeden Abend um 22Uhrdie Licht-
leistung der Straßenlaternen um etwa
50 Prozent herunter,was vonden meisten
Menschen kaum registriert wird. In Frei-
ham sind entlangvonWegen intelligente
Leuchtmasten installiert, diedas Licht auf
einZehntelHelligkeit reduzieren,wenn ge-
rade kein Fußgängervorbeikommt.
Wann dieNachtvorbei ist, bestimmt üb-
rigensein Sensor auf dem Dachdes techni-
schen Betriebszentrums inMoosach. So-
baldimOsten der Stadt derMorgen däm-
mert und der Sensor mehr als 50 Lux
misst, geht ein Befehlraus an alle 2300
Schaltschränkeinder Stadt, gestaffelt
nach StraßenzügenvonOst nachWest. Der
Auftrag lautet: Licht aus.

Es werdeLicht:
In Freihamstehen
intelligente Straßenleuchten
mit LED-Technik.
RalfNoziczka vom
Baureferat(o.) erklärt
einer Delegation
aus Seoul, wie das
Pilotprojekt imWesten
Münchens funktioniert.
Normalerweise werden
städtischeGebäude nur
in Weiß angestrahlt.
Manchmal lässt
LichtkünstlerManfredBeck
dasKarlstor auch
bunt leuchten.
FOTOS: ROBERT HAAS (3),
MANFREDBECK

Immerhin140Bauwerke
werden abends in
künstliches Lichtgetaucht

Wie München leuchtet


Wenn es dunkel wird,beginnt dieZeit des elektrischenLichts.


FürTechniker ist das eineHerausforderung, fürKünstler eine Spielwiese.


Umweltschützerhingegensorgensich um Insekten undVögel


NACHTGESCHICHTEN


Hüter der Nacht Vonder Lampe bis zur Wache –wo

Wann dieNacht
vorbei ist,
bestimmtein Sensor

VerschlafenesMünchen?
Vonwegen: Im Dunklen
wirdesvielerorts
erst so richtig spannend
SZ-Serie·Folge 20

R2 – THEMA DESTAGES Freitag, 6. September 2019,Nr. 206 DEFGH

Free download pdf