Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

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Aus rund mach flach


Eine klassische Linse bündelt
Licht mittels ihrer gekrümmten
Oberflächen (oben). Bleiben
nur diese stehen und entfernt
man die inneren Glasschichten,
ergibt sich eine viel dünnere
Fresnel ­ Linse (Mitte). Sie bricht
das Licht ähnlich, doch die
Säge zahn struktur ermöglicht
keine gute Abbildung mehr.
In mikrosko pischen Dimen­
sionen lassen sich die Stufen
durch einzelne, unterschiedlich
breite Nanoblöcke ersetzen
(unten). Bei einer solchen »Meta­
linse« verzögern die Strukturen
die Wellen des Lichts gerade
so, dass es in eine bestimmte
Richtung gebündelt wird.

und blauen Teil des Spektrums gefer­
tigt. Die Abbildungsqualität bei den
entsprechenden Wellenlängen erwies
sich der eines herkömmlichen Glas­
objektivs für Mikroskope als ebenbür­
tig. Seinerzeit gelang es den Forschern
allerdings noch nicht, die verschiede­
nen Wellenlängen mit einer einzelnen
Linse auf einen Punkt zu fokussieren.
Das holten sie in zwei Publikationen
vom Januar 2018 nach. Mit ausgeklü­
gelten Designs der Nanostrukturen
erzeugten sie eine gemeinsame Brenn­
weite für Wellenlängen zwischen 470
und 670 beziehungsweise zwischen
400 und 660 Nanometern. Das funk­
tio nierte indes nur mit polarisiertem
Licht, also solchem mit einer bestimm­
ten Schwingungsrichtung. Normales
Umgebungslicht hat aber keine Vor­
zugsorientierung, so dass die Linse
bloß auf einen Teil davon wirkt.
Den jüngsten Durchbruch erreichte
im Januar 2019 Wei Ting Chen aus
Ca passos Arbeitsgruppe. Er präsen­
tierte erstmals eine Metalinse, die
Licht unabhängig von dessen Polarisa­
tionsrichtung und über fast den gan­
zen Bereich des sichtbaren Spektrums
fokussiert.
Chen hatte eine geschickte Anord­
nung verschiedener Strukturen mit

In technischen Anwendungen könn­
te das eine ungeahnt kompakte und
leichte Bauweise bei optischen Gerä­
ten ermöglichen. Die entscheidenden
Elemente solcher Linsen in lichtdurch­
lässigen Halbleitern wie Titandioxid
sind kaum einen Mikrometer (tau­
sendstel Millimeter) dick.
Zwar gelang es Forschern bereits
vor Jahrzehnten, Strahlung mittels
spezieller Oberflächenstrukturen zu
bündeln, sogar im sichtbaren Spekt­
rum. Aber der Effekt hängt stark von
der Wellenlänge ab: Jede Farbe fällt in
einen eigenen Winkel. Die vielen
Wellenlängen des weißen Lichts
ließen sich nicht auf einen Punkt
zusammenführen. Nun ist Wissen­
schaftlern das Kunststück jedoch mit
raffiniert im Computer berechneten
Nanostrukturen gelungen.


Ein Ort, sie zu bündeln
Den Erfolg verbuchte eine US­Arbeits­
gruppe um Federico Capasso von der
Harvard University in Cambridge,
Massachusetts. Die Wissenschaftler
konstruieren bereits seit einigen
Jahren gezielt Metalinsen im Bereich
sichtbarer Wellenlängen. Schon 2016
haben sie leistungsfähige Exemplare
jeweils speziell für den roten, grünen


klassische Linse

Fresnel-Linse

Nur gekrümmte
Oberflächen
bleiben stehen.

Metalinse

Nanostrukturen
verzögern die
Wellen unter-
schiedlich stark.

rechteckiger Grundfläche errechnet
und die Linse mittels Elektronenstrahl­
lithografie hergestellt. Dabei fräst ein
dünner Strahl aus Elektronen Furchen
in eine Halbleiterschicht. Die Wissen­
schaftler hoffen jedoch, solche Linsen
in Zukunft auch mit der auf Licht
basierenden Fotolithografie – einer
etablierten Methode aus der Massen­
produktion von Computerchips – im
großen Stil zu fertigen.
Werden nun Metalinsen bald die
Linsen in Smartphonekameras und
weiteren miniaturisierten Geräten
ersetzen? Darauf spekuliert zumindest
Capassos Arbeitsgruppe, die seit 2017
mit einer ausgegründeten Firma und
mehreren Patenten eine Kommerziali­
sierung vorantreibt. Ein Problem ist
allerdings derzeit noch die Winzigkeit
der Bauteile. Chens polarisations­ und
wellenlängenunabhängiges Exemplar
bringt es auf gerade einmal 26 Mikro­
meter Durchmesser. Die Linsen in
Smartphones sind 100­mal größer.
Auf dem Weg zu entsprechend
dimensionierten Metalinsen gibt es
diverse Hürden. Beispielsweise sind
darauf schlicht mehr Nanostrukturen
nötig. Deren Zahl wächst mit dem
Quadrat der Fläche, und millimeter­
oder gar zentimetergroße Linsen
brauchen Milliarden von Elementen.
Jedes muss berechnet und mittels
Lithografie in die Oberfläche geritzt
werden. Von Capassos Team entwi­
ckelte Kompressionsalgorithmen

Die rasterelektronenmikroskopische
Aufnahme eines etwa 20 Mikrometer
breiten Bereichs einer Metalinse zeigt
die typische Struktur der Oberfläche.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MIKE BECKERS

CAPASSO LAB/HARVARD SEAS
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