Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

FORSCHUNG AKTUELL


sich, ob die Abbildungen, welche die
Energiegleichungen minimieren,
irgendwann zu einer harmonischen
Abbildung konvergieren, wenn die
entsprechenden Energiegleichungen
immer näher an die Dirichlet­Energie
heranrücken.
Anfang der 1980er Jahre konnten
Uhlenbeck und Sacks zeigen, dass die
Antwort auf die Frage »fast« lautet. Die
Abbildungen der Energiegleichungen,
welche die Form der gummiartigen
Oberfläche beschreiben, konvergieren
an beinahe jedem Punkt zu einer
harmonischen Abbildung. Allerdings

bilden sie an manchen Stellen eine
seltsame Art Blase, an der die elasti­
sche Spannung groß ist und die daher
nicht dem Gleichgewichtszustand
entspricht.
Die Blasen ähneln denjenigen, die
man mit einem Kaugummi erzeugen
kann. Zieht man allmählich immer
mehr von dem Kaugummi zurück in
den Mund, während man die Blase auf
gleicher Größe hält, wird das Material
um die Blase immer dünner. Unter der
Annahme, dass der Kaugummi belie­
big dehnbar ist, bleibt sie aber beste­
hen. Irgendwann wird man jedoch den
gesamten Kaugummi im Mund haben,
so dass die Blase platzt. Etwas Ähnli­
ches passiert mit den Abbildungen der
Energiegleichungen auf dem Weg zur
Dirichlet ­Energie.
Sacks und Uhlenbeck wiesen nach,
dass die Blasen der gummiartigen
Formen immer kleinere Bereiche der
Oberfläche enthalten, während sich
die Energiegleichungen der Dirichlet­

Energie nähern. Erreicht man schließ­
lich die Dirichlet­Energie, würde die
Blase nur noch aus einem einzigen
Punkt bestehen: An dieser Stelle lässt
sich die Abbildung nicht mehr definie­
ren, es entsteht eine so genannte
Singularität.
Glücklicherweise können nicht
beliebig viele dieser Blasen auftau­
chen. Ihre Anzahl hängt von dem
Raum ab, um den man die zweidimen­
sionale gummiartige Form stülpt. Die
Blasen können nämlich nur um ein
Loch herum entstehen. Und da jeder
Raum eine begrenzte Anzahl an Lö­
chern hat, ist dadurch auch die Zahl
der Blasen endlich.

Von der Mathematik zur Physik
An der Anzahl der Löcher eines Raums
sind insbesondere Topologen interes­
siert, die Formen ungeachtet ihrer geo­
metrischen Details kategorisieren. Für
sie sind beispielsweise eine Tasse und
ein Donut gleich, da beide jeweils ein
Loch haben. Durch ihre Arbeit haben
Uhlenbeck und Sacks also harmoni­
sche Abbildungen, die aus der Analy­
sis stammen, mit der Topologie und
der Geometrie verbunden, woraus ein
neuer mathematischer Bereich ent­
stand: die moderne »geometrische
Analysis«.
Nach ihrer Entdeckung tauchten die
seltsamen Blasen plötzlich in vielen
verschiedenen Gebieten der Mathema­
tik und der Physik auf. Das führte
Uhlenbeck in den frühen 1980er Jah­
ren zur Eichtheorie. Dieser Ansatz, der
dem Elektromagnetismus entsprang,
bildet inzwischen die mathematische
Grundlage vieler physikalischer Theori­
en, darunter des Standardmodells der
Teilchenphysik. In der Eichtheorie geht
es – wie bei harmonischen Abbildun­
gen auch – darum, Objekte zu finden,

Verformt man nach und nach eine zweidimensionale elastische Form, um
eine bestimmte Energiegleichung zu minimieren, können sich an manchen
Stellen Blasen bilden (links). Je näher diese Energiegleichung an die Dirichlet-
Energie rückt, desto dünner wird das Material um die Blase (Mitte), sie steht
dann unter starker Spannung. An der Dirichlet-Energie selbst (rechts) besteht
die Blase nur noch aus einem Punkt (schwarz) – an dieser Stelle ist die mini-
mierende Abbildung nicht definiert.

Platziert man ein Haargummi (rot)
um das Loch eines Torus (blau),
kann es sich nicht mehr zu einem
Punkt zusammenziehen, ohne den
Torus zu verlassen. Den Zustand
geringster elastischer Spannung
(orange) erreicht es, wenn es dem
kürzesten Weg um das Loch folgt.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MANON BISCHOFF

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MANON BISCHOFF

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