Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

FORSCHUNG AKTUELL


von älteren auf jüngere Forscher,
zumal innerhalb desselben Labors,
würde diese Institutionen nicht be­
nachteiligen, aber leitende Wissen­
schaftler aufgeschlossener gegenüber
Innovationen machen.

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Wir belohnen
Transparenz nicht
Versuchsabläufe, Analysemethoden,
Datenverarbeitung und leider auch die
Daten selbst sind häufig undurchsich­
tig. Viel zu oft stellen Wissenschaftler
fest, dass sich Aufsehen erregende
Ergebnisse von Kollegen nicht repro­
duzieren lassen. Das trifft in der Psy­
chologie auf zwei von drei vermeintli­
chen Top­Veröffentlichungen zu, in der
experimentellen Wirtschaftsforschung
auf eine von drei und in der Krebsfor­
schung sogar auf drei von vier. Der
wichtigste Grund dafür lautet, dass
Wissenschaftler weder für Transpa­
renz noch für das Teilen von Arbeits­
techniken oder Software belohnt
werden. Im Gegenteil: Derlei Bemü­
hungen um gute wissenschaftliche
Praxis sind mit handfesten Nachteilen
verbunden. Denn angesichts der
Konkurrenz fragen sich viele Forscher,
warum sie ihren Mitbewerbern wert­
volles Rüstzeug liefern oder kostbare
Daten mit ihnen teilen sollten.

Mögliche Lösungen:
 Ein geeignetes Umfeld schaffen, um
Transparenz, Offenheit und das Teilen
von Arbeitstechniken oder Software
zu fördern.
 Transparenz zu einer notwendigen
Voraussetzung machen, um Förder­
mittel zu erhalten.
 Bevorzugt solche Forscher beschäfti­
gen, fördern oder für eine Zusammen­
arbeit auswählen, die für Transparenz
einstehen.


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Wir ermutigen nicht dazu,
Ergebnisse zu reproduzieren
Unter dem ständigen Druck, neue
Resultate zu liefern, zeigen Forscher
oft wenig Interesse daran, jene frühe­
rer Untersuchungen zu reproduzieren.
Dabei gehört die unabhängige Be­
stätigung eines Experiments zum Kern
wissenschaftlicher Arbeit. Ohne
Bemühungen in diese Richtung laufen

wir Gefahr, die Fachzeitschriften mit
Fehlinformationen zu überfluten, die
niemals korrigiert werden.

Mögliche Lösungen:
 Fördermittelgeber unterstützen auch
die Reproduktion von Studien.
 Die finanzielle Unterstützung von
Wissenschaftlern unter anderem da ­
ran festmachen, inwieweit sie Experi­
mente anderer nachvollzogen haben
beziehungsweise ihre eigenen Ergeb­
nisse von Kollegen reproduziert wer­
den konnten.

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Wir fördern kaum
junge Wissenschaftler
Im biomedizinischen Bereich sind
Wissenschaftler durchschnittlich 46
Jahre alt, wenn sie das erste Mal in
den Genuss substanzieller Fördermit­
tel kommen – Tendenz steigend. Das
mittlere Alter ordentlicher Professoren
in den USA liegt bei 55 und wächst
kontinuierlich an. Von den Fördermit­
teln der National Institutes of Health
(NIH) in den USA gingen im Jahr 2014
weniger als zwei Prozent an For­
schungsgruppenleiter unter 36 Jahren,
während nahezu zehn Prozent an
66 ­Jährige und Ältere gingen. In
anderen Wissenschaftsdisziplinen ist
die Situation ähnlich, und sie lässt sich
nicht einfach mit der gestiegenen
Lebenserwartung erklären. Werner
Heisenberg, Albert Einstein, Paul Dirac
und Wolfgang Pauli waren Mitte 20,
als sie ihre bedeutenden Arbeiten ver­
öffentlichten. Man stelle sich vor, sie
hätten damals gesagt bekommen, auf
eine Förderung müssten sie noch 25
Jahre warten. Für nicht wenige könnte
die Konsequenz daraus sein, sich aus
der Forschung zu verabschieden.

Mögliche Lösungen:
 Einen größeren Anteil der Förder­
mittel jungen Forschern zukommen
lassen.
 An Universitäten mehr jüngere
Forscher einstellen und so das Durch­
schnittsalter in den Fakultäten senken.

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Wir stützen uns auf vorein-
genommene Mittelgeber
In den USA stammen die meisten
Gelder für Forschung und Entwicklung

nicht von staatlichen Institutionen,
sondern aus privaten, gewinnorien­
tierten Quellen, was unausweichlich
zu Interessenkonflikten führt. In
klinischen Studien etwa, die von der
Pharmaindustrie gesponsert werden,
besteht eine um 27 Prozent höhere
Wahrscheinlichkeit, zu für den Geld­
geber günstigen Ergebnissen zu
kommen, als bei öffentlich geförder­
ten Studien. In vielen Bereichen hat
sich die Offenlegung von Interessen­
konflikten zwar verbessert, aber
investigative Untersuchungen deuten
darauf hin, dass hier noch sehr viel zu
tun bleibt.

Mögliche Lösungen:
 Die Förderung von Projekten ein­
schränken oder verbieten, bei denen
offensichtlich Interessenkonflikte
bestehen. Fachzeitschriften sollten
keine Arbeiten annehmen, die
solchen Konflikten unterliegen.
 Bei weniger eindeutigen Interessen­
konflikten zumindest Transparenz und
gründliche Offenlegung sicherstellen.

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Wir fördern die
falschen Disziplinen
Manche Forschungsgebiete sind
erfolgreicher als andere darin, Res­
sourcen an sich zu ziehen. Üppig
finanzierte Disziplinen locken mehr
Forscher an, was ihrer Lobbyarbeit
ein größeres Gewicht verleiht, wor­
aufhin sie wiederum mehr Mittel
einwerben können und so weiter – ein
Teufelskreis. Einige Fachbereiche
absorbieren auf diese Weise enorme
Fördergelder, obwohl ihre Produktivi­
tät gering ist oder ihr Nutzen zweifel­
haft. Weiterhin in solche Bereiche zu
investieren, ist unsinnig.

Mögliche Lösungen:
 Großzügig finanzierte Disziplinen
unabhängig und überparteilich be­
werten lassen und dabei besonders
ihren fachlichen Ertrag unter die Lupe
nehmen.
 Mehr Mittel für innovative und
risikoreiche Forschung bereitstellen.
 Wissenschaftler dazu ermutigen,
das Arbeitsgebiet zu wechseln, falls
triftige Gründe dafür sprechen. Der­
zeit wird die Fokussierung auf ein eng
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