Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

FORSCHUNG AKTUELL


begrenztes Gebiet belohnt, was zur
massenhaften Entstehung von »Fach­
idioten« führt.

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Wir geben nicht genug
Fördermittel aus
In vielen Ländern stagniert die Förde­
rung durch die öffentliche Hand
und steht in zunehmender Konkurrenz
zu anderen Budgetposten. In den
USA beispielsweise sind die Militär­
ausgaben mit rund 900 Milliarden
Dollar gut 24­mal so hoch wie das
Budget der NIH, das lediglich 37
Milliarden Dollar umfasst. Der ge­
schätzte Wert eines einzelnen Fußball­
vereins wie Manchester United
(4,1 Milliarden Dollar) liegt über dem
jährlichen Forschungsbudget selbst
der renommiertesten Universitäten.
Dabei kommen Investi tionen in die
Wissenschaft der ganzen Gesellschaft
zugute. Leider erweisen Wissen­
schafts repräsentanten ihrer Sache
häufig einen Bärendienst, wenn sie die
Öffentlichkeit zu überzeugen versu­
chen und dabei Unmögliches wie den
baldigen Sieg über Krebs­ oder
Alzheimererkrankungen versprechen.

Mögliche Lösungen:
 Klarer kommunizieren, wie Förder­
mittel eingesetzt werden. Den Prozess
des wissenschaftlichen Erkenntnisge­
winns besser erklären und deutlicher
machen, wie viel Arbeit es erfordert,
wichtige Durchbrüche zu erzielen.
Universitäten, Museen und Wissen­
schaftsjournalisten können hieran
mitwirken.
 Deutlicher machen, wie hart Wissen­
schaftler daran arbeiten, Methoden
und Abläufe zu verbessern.


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Wir belohnen
große Verschwender
Gute Karrierechancen bieten sich vor
allem solchen Wissenschaftlern, die in
der Lage sind, umfangreiche Förder­
mittel einzuwerben. Aber die Kosten
eines Projekts korrelieren nicht not­
wendigerweise mit seiner Bedeutung.
Unser Belohnungs­ und Auswahlsys­
tem begünstigt insbesondere politisch
gewiefte Manager­Persönlichkeiten,
die wissen, wie sie Mittel an sich
ziehen können.

Mögliche Lösungen:
 Wissenschaftler vor allem für
hochwertige Arbeiten, Reproduzier­
barkeit ihrer Ergebnisse und gesell­
schaftliche Relevanz ihrer Forschung
belohnen – weniger jedoch für das
Organisieren von finanzieller Unter­
stützung.
 Den Wert von Forschungsprojek­
ten nicht nur an ihren Kosten be­
messen. Spitzenforschung ist oft
auch mit geringen finanziellen Mit­
teln möglich, erfordert allerdings
in jedem Fall Zeit. Institutionen
sollten diese Zeit zur Verfügung
stellen und solche Wissenschaftler
honorieren, die hervorragende
Arbeit leisten, ohne haufenweise
Geld zu verbrennen.

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Wir finanzieren keine
riskante Forschung
Gutachtergremien, selbst wenn sie
sich aus exzellenten Wissenschaft­
lern zusammensetzen, reagieren
allergisch auf Ideen, die ein hohes
Risiko des Scheiterns bergen. Der
Druck, Steuergelder sinnvoll auszu­
geben, bringt staatliche Fördermittel­
geber dazu, eher solche Projekte zu
unterstützen, die sehr wahrscheinlich
positive Ergebnisse liefern werden –
auch wenn die riskanteren Konkur­
renzvorhaben zu deutlich wichtige­
ren Durchbrüchen führen könnten.
Industrieunternehmen vermeiden es
ebenfalls, risikoreiche Arbeiten zu
finanzieren, und beobachten statt­
dessen, wie sich Start­ups an fri­
schen Ideen abarbeiten (wobei diese
oft scheitern). Neun der zehn größten
Pharmaunternehmen geben mehr für
Werbekampagnen als für Forschung
und Entwicklung aus. Öffentliche
Fördermittelgeber behaupten oft, sie
würden »Innovationen« unterstützen.
Das ist Unsinn, denn Innovationen im
Voraus als solche zu erkennen, ist
extrem schwierig bis unmöglich.
Eine Idee, die der Überprüfung von
20 Gutachtern standhält (so viele
sind bei den NIH typischerweise
beteiligt), ist selten innovativ oder gar
revolutionär. Auf allgemeine Akzep­
tanz stößt in der Regel das, was im
Mainstream liegt oder schlicht
mittelmäßig ist.

Mögliche Lösungen:
 Förderung von exzellenten Wissen­
schaftlern statt von Projekten. For­
scher sollten die Freiheit haben, ihre
Ansätze nach eigenem Ermessen zu
verfolgen. Institutionen wie das
Howard Hughes Medical Institute
setzen das bereits mit Erfolg um.
 Der Öffentlichkeit und Entschei­
dungsträgern klarmachen, dass
Wissenschaft eine kumulative Inves­
tition ist. Von 1000 Projekten können
999 fehlschlagen, und wir können
nicht vorher wissen, welches sich als
erfolgreich erweist. Der Erfolg be­
misst sich an der Gesamtagenda,
nicht an einzelnen Experimenten
oder Ergebnissen.

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Wir haben zu wenig
belastbare Daten
Es gibt nur wenige wissenschaftliche
Erkenntnisse darüber, welche wis­
senschaftliche Praxis die beste ist.
Wir brauchen mehr Forschung über
die Forschung (»Meta­Forschung«),
etwa in Form der Szientometrie, der
Lehre vom Messen der Wissenschaf­
ten. Sie soll uns herausfinden helfen,
wie man Wissenschaft am besten
betreibt, bewertet, überprüft, fördert
und kommuniziert.

Mögliche Lösung:
In Untersuchungen investieren, die
sich damit befassen, wie man Wis­
senschaft am besten praktiziert und
wie man die klügsten Köpfe auswählt
und fördert. Ohne empirische Daten
hierzu sollten wir keiner Meinung
vertrauen – auch nicht meiner eige­
nen, die ich hier dargestellt habe. 

John P. A. Ioannidis ist Professor an
der Stanford University und dort in
den Bereichen Medizin, Gesundheits­
forschung und ­politik, biomedizini­
sche Daten und Statistik tätig. Er ist
Vizedirektor am Meta­Forschungs­
zentrum METRICS (Meta­Research
Innovation Center at Stanford). Ioanni­
dis wurde vor allem durch seine
Methodenkritik bekannt; 2005 veröf­
fentlichte er den viel beachteten
Fachartikel »Why Most Published
Research Findings Are False« (Warum
die meisten publizierten Forschungs­
ergebnisse falsch sind).
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