Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

Natur vor und sind zum Teil antimikrobiell aktiv, was sie zu
interessanten Kandidaten für Medikamente macht. Will
man Moleküle dieser Stoffklasse im Labor herstellen, so
erhält man oft Gemische verschiedener Komponenten. Die
Reaktion in der Grafik »Entscheidende Moleküldynamik«,
links, beispielsweise ergibt nur 18 Prozent des gewünschten
ß-Lactons und 50 Prozent eines unerwünschten Stoffs.


Neue Möglichkeiten zur Reaktionskontrolle
Dynamische Berechnungen für diesen Prozess haben
gezeigt, dass es entscheidend für den Ausgang einer Reak-
tion ist, wie die Moleküle »zittern und wackeln«, nachdem
sie den Übergangszustand durchlaufen haben. Nach die-
sem taucht zunächst eine klassische Bifurkation auf: Der
Reaktionspfad spaltet sich in zwei Wege, die jeweils zu
einem der beiden Produkte führen. Aber gemäß den Simu-
lationen bildet sich je nachdem, wie die Moleküle vibrieren,
entweder der eine oder der andere Stoff. In diesem Beispiel
bietet die Phase-Space-Perspektive ein unerwartetes
Reaktivitätsmodell, mit dem man nun sowohl den Anteil an
unerwünschtem Nebenprodukt reduzieren als auch die
Ausbeute der begehrten Komponente steigern kann.
Insgesamt nehmen diese Ideen nur langsam Fahrt auf.
Obwohl die Moleküldynamik alle chemischen Reaktionen


beeinflusst, wurden erst relativ wenige daraufhin unter-
sucht. Daher ist noch unklar, wie viele Prozesse Bifurka-
tionen beinhalten. Doch je mehr über diese Abläufe und
deren Spielregeln bekannt ist, desto besser wird es möglich
sein, neue Moleküle effizienter herzustellen und komplexe
chemische Prozesse der Natur nutzbar zu machen.
Auch in manchen enzymkatalysierten biologischen Re-
aktionen treten Bifurkationen auf, und diese Abläufe kön-
nen wichtige Einblicke in Vorgänge in lebenden Organis-
men geben. Die Pflanze Salvia miltiorrhiza (chinesischer
Salbei oder Rotwurzelsalbei) beispielsweise wird in der
Traditionellen Chinesischen Medizin seit Langem verwen-
det, um verschiedene Krankheiten von Herzerkrankungen
bis zu Hepatitis zu behandeln. Sie stellt durch eine Reihe
enzymkatalysierter Reaktionen so genannte Tanshinone
her. Inwieweit diese Moleküle der Pflanze nutzen, ist unklar,
doch sie sind viel versprechende Kandidaten für Wirkstoffe
gegen Krebs oder Herzerkrankungen. Ein einziges Enzym
kontrolliert das Reaktionsnetzwerk, welches das Kohlen-
stoffgerüst dieser Naturstoffe aufbaut. Dieses Netzwerk
besitzt die größte bisher entdeckte Anzahl miteinander
verbundener Bifurkationen.
Die Vorstufe der Tanshinone heißt Miltiradien. Dieser
komplexe Naturstoff ist aus 20 Kohlenstoffatomen aufge-

Die Kartierung
von Reaktionswegen

Bislang haben Chemiker Reaktionswege auf relativ
einfache Weise beschrieben, wie die untere Grafik
zeigt: Ein Reaktand wird zu einem Produkt und
durchläuft dabei einen energetisch höher liegen-
den Übergangszustand (ÜZ). Entstehen in einer
Reaktion verschiedene Produkte, nimmt man an,
dass mehrere Übergangszustände existieren (ÜZ1
und ÜZ2).
Dynamische Berechnungen des Reaktionsver-
laufs, die quantenchemische Effekte mit einbezie-
hen, zeigen jedoch, dass Reaktionen ungleich
komplizierter ablaufen können (obere Grafik, ein-
schließlich zweidimensionaler Projektion). Reak-
tionswege mit nur einem einzigen Übergangs-
zustand können sich gabeln – diese Gabelung nach
dem Übergangszustand bezeichnen Fachleute als
Bifurkation. Die Schwingungen eines Moleküls auf
dem Weg zur Gabelung bestimmen, auf welchem
Pfad die Reaktion anschließend verläuft und damit,
welches Produkt gebildet wird.
Chemiker haben erst einen kleinen Bruchteil von Reaktio-
nen mit dynamischen Berechnungen untersucht. Ein klareres
Verständnis dafür, wie solche Effekte Reaktionen beeinflus-
sen, könnte jedoch dabei helfen, die Ausbeute gewünschter
Produkte zu erhöhen und besser nachzuvollziehen, wie Reak-
tionen in der Natur ablaufen.

Übergangs-
zustand

Bifurkation

Reaktand

Produkt 2

Produkt 1

Strukturmerkmal 1
Strukturmerkmal 2

Energie

potenzielle Energie

ÜZ1
ÜZ2

Produkt 1

Produkt 2
Reaktand

Reaktionsverlauf

OBEN: STEPHANIE HARE, MIT FRDL. GEN. VON DEAN TANTILLO, UC DAVIS; UNTEN: BARBARA AULICINO / AMERICAN SCIENTIST JAN-FEB 2019
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