baut und besitzt ein Grundgerüst von drei miteinander
verbundenen Ringen. Wie viele andere Reaktionen, die
sowohl beim synthetischen als auch beim natürlichen
Aufbau solcher Strukturen zum Einsatz kommen, führt die
enzymkatalysierte Bildung von Miltira dien über eine positiv
geladene Zwischenstufe, die als Carbokation bekannt ist.
Solche Zwischenstufen können ihre Kohlenstoffatome
umstellen und sich so umfassend neu strukturieren – eine
Vielzahl von Molekülen kann entstehen.
Das Molekül bestimmt mit, wo es langgeht
Im Fall von Miltiradien beinhaltete solch eine Umstrukturie-
rung (siehe »Molekülspezifische Vorlieben«, oben) nach un-
seren energetischen Berechnungen mehrere aufeinander
folgende Bifurkationen, so dass ein Übergangszustand viele
unterschiedliche Produkte hervorbrachte. Doch als wir die
Wackel- und Zitterbewegungen in den Molekülen simulier-
ten, beobachteten wir, dass sich lediglich zwei Stoffe in
substanziellen Mengen bilden: die beiden blau und violett
hervorgehobenen Kationen. Diese Ergebnisse lassen ver-
muten, dass das zuerst gebildete Carbokation (schwarz)
dazu neigt, Produkte zu bilden, die von einfachen Bewegun-
gen innerhalb des Moleküls herrühren – so zum Beispiel
von der Rotation um eine Kohlenstoff-Kohlenstoff-Einfach-
bindung (rot). Darauf weist auch eine weitere Beobachtung
hin. In der Natur unterstützt ein Enzym die Bildung von
Miltiradien, doch in unseren dynamischen Berechnungen
hatten wir das Enzym gar nicht berücksichtigt. Das bedeu-
tet, dass der Enzymkatalysator nicht allein dafür verant-
wortlich ist, welches Produkt gebildet wird. Vielmehr be-
sitzt der Ausgangsstoff eine eigene Tendenz zu gewissen
Bewegungen, die während der Umwandlung zum Ausdruck
kommt.
Die Ergebnisse bedeuten aber auch, dass das Enzym
gezielt die Bildung des einen möglichen Nebenprodukts
aktiv unterdrücken muss – und nicht, wie bislang vermutet,
einen Weg unter vielen begünstigen. Mit dieser wichtigen
Information können sich die Forscher nun auf die Frage
konzentrieren, wie das Enzym genau diesen einen uner-
wünschten Weg unterbindet.
Wissenschaftler beginnen erst, im Detail zu verstehen,
wie die Dynamik von Molekülen deren chemische Reakti-
onswege beeinflusst. Die Suche ist ein komplexes Unter-
fangen, doch die Erkenntnisse können ein neues grundle-
gendes Verständnis dafür schaffen, wie Stoffe miteinander
reagieren. Damit könnte es einmal möglich sein, selektivere
Syntheserouten für Produkte zu erschaffen oder gezielt
Enzymmutationen zu entwerfen, die nützliche, nicht natür-
lich vorkommende Moleküle herstellen.
QUELLEN
Carpenter, B. K.: Nonstatistical dynamics in thermal reactions of
polyatomic reactions. Annual Review of Physical Chemistry 56,
2005
Hare, S. R., Tantillo, D. J.: Cryptic post-transition state bifurca-
tions that reduce the efficiency of lactone-forming Rh-carbenoid
C-H insertions. Journal of Chemical Sciences 8, 2017
Hong, Y. J., Tantillo, D. J.: Biosynthetic consequences of
multiple sequential post-transition-state bifurcations. Nature
Chemistry 6, 2014
© American Scientist
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Molekülspezifische Vorlieben
Auch enzymkatalysierte Reaktionen können Bifurkationen
beinhalten. Hier sieht man einen kleinen Ausschnitt aus dem
komplexen Reaktionsnetzwerk, das zur Bildung von Milti-
radien führt (siehe Bild, S. 41). Dieses Molekül ist eine
Vorstufe so genannter Tanshinone, einer Gruppe medi-
zinisch interessanter Naturstoffe. Simulationen
haben gezeigt, dass sich in der Reaktion
bevorzugt Produkte bilden, die infolge der
Rotation um eine Kohlenstoff-Kohlen-
stoff-Einzelbindung (rot) entstehen.
Den Berechnungen zufolge erge-
ben sich nur zwei der vielen mögli-
chen Produkte in nennenswerten
Mengen (blau und violett gegenüber
grau) – und zwar, ohne dass man das
Enzym, das die Reaktion steuert, be-
rücksichtigt. Eine gewisse Tendenz zu
bestimmten Dynamiken ist dem Molekül
also immanent. Diese Erkenntnisse
könnten helfen, die Funktionsweise von
Enzymen genauer zu untersuchen und
neue Katalysatoren maßzuschneidern.
Miltiradien
(bildet sich in über 48
Prozent der Reaktionswege)
unbekannter Naturstoff
(bildet sich in über 43
Prozent der Reaktionswege)
BARBARA AULICINO / AMERICAN SCIENTIST JAN-FEB 2019; BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT