Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

werden, lassen sich Galaxien effizienter aufspüren als in auf
den ersten Blick »leeren« Himmelsflecken, wie sie das
Hubble-Teleskop im Rahmen seiner Deep-Fields-Aufnah-
men immer wieder anvisiert hat.
Das ist nicht so einfach zu verstehen – zumal der Blick
durch eine Gravitationslinse auch einen Nachteil mit
sich bringt. Die Verstärkung durch die Gravitationslinse
macht einerseits zuvor unsichtbare leuchtschwache Gala-
xien heller und damit sichtbar. Zugleich aber führt die
Vergrößerung per Gravitationslinse dazu, dass wir einen
kleineren Bereich des Himmels mit entsprechend weniger
Galaxien betrachten. Das reduziert die Chance, eine davon
zu finden.
Welcher der beiden Effekte bestimmt nun den Erfolg
bei der Galaxienjagd? Wenn es ausreichend viele leucht-
schwache Galaxien gibt, dann dominiert der Verstärkungs-
effekt und kompensiert den Verlust an Fläche über. Glück-
licherweise gab es im jungen Universum sehr viele kleine,
leuchtschwache Galaxien. Das macht es vergleichsweise
unwahrscheinlich, dass wir mit unserer Technik ins Leere
blicken.
Drei der umfangreichsten Programme, die in den ver-
gangenen sieben Jahren mit dem Hubble-Teleskop durch-
geführt wurden, haben die Gravitationslinsenwirkung von
Galaxienhaufen für die Suche nach weit entfernten Galaxien
genutzt. Im Rahmen aller dieser Programme haben Wissen-
schaftler auch Beobachtungen des Weltraumteleskops
Spitzer genutzt, das im Infrarotbereich arbeitet, also bei
größeren Wellenlängen als Hubble.
Das erste dieser Programme, der Cluster Lensing and
Supernova Survey (CLASH), lief über drei Jahre. Unter der


Leitung von Marc Postman beobachtete das Team 25 Gala-
xienhaufen. Ich half dabei, den Antrag für das Projekt zu
schreiben und die gewonnenen Aufnahmen zu analysieren.
Dabei entdeckte ich im Jahr 2012 die Galaxie MACS0647-JD,
die ihr Licht, das wir heute empfangen, gerade einmal 420
Millionen Jahre nach dem Urknall ausgesendet hat.
Damit war sie eine Weile die am weitesten entfernte
bekannte Galaxie, übertroffen erst 2016, als Pascal Oesch
von der Yale University eine Galaxie aufspürte, die ihre
Strahlung noch einmal 20 Millionen Jahre früher auf den
Weg geschickt hat. Oesch gelang die Entdeckung im Rah-
men des Cosmic Assembly Near-Infrared Deep Extragalactic
Legacy Survey (CANDELS), bei dem das Hubble-Teleskop
relativ leere Himmelsregionen absucht, also ohne die Hilfe
starker Gravita tionslinsen.
Nach den Erfolgen von CLASH half ich dabei, Charles
Mattias Mountain, damals Direktor des Space Telescope Sci-
ence Institute, davon zu überzeugen, beim nächsten großen
Hubble-Projekt eine andere Strategie zu fahren. »Frontier
Fields« sollte in die Fußstapfen der berühmten Hubble-
Deep-Fields-Programme treten, die sich die leersten Regio-
nen am Himmel vorgenommen hatten. In diesen gibt es
keine hellen, nahen Galaxien (womit Entfernungen von bis
zu mehreren Milliarden Lichtjahren gemeint sind), die unse-
ren Blick in größere Entfernungen behindern könnten.
Das erste Bild des Hubble-Deep-Fields-Programms, eine
Kombination von 342 Bildern, aufgenommen im Verlauf von
zehn Tagen im Jahr 1995, war eine Offenbarung: In einem
vermeintlich leeren Himmelsausschnitt, deren Ausdehnung
der Größe eines Sandkorns in einer Armlänge Abstand
entspricht, zeigten sich etwa 3000 Galaxien. Das nachfol-
gende Hubble Deep Field South und das Ultra Deep Field
vermieden ebenso sorgfältig alle »nahen« Galaxien und
offenbarten eine ähnliche Vielfalt.
Das Frontier-Fields-Programm sollte mit der Tradition der
leeren Himmelsflecken brechen. In seinem Rahmen unter-
suchten Astronomen sechs Himmelsregionen, in denen sich

Roter Fleck: Bei dieser schwachen Schliere in einer
Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble handelt
es sich um SPT0615-JD, eine der am weitesten von
uns entfernten bekannten Galaxien.


NASA/ESA/STSCI/B. SALMON (PHOTOJOURNAL.JPL.NASA.GOV/CATALOG/PIA22079)
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