Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

Welt in Baltimore, um darüber zu beratschlagen. Unser
Team hatte Glück: Im Juni 2015 erfuhren wir, dass unser
Vorschlag angenommen worden war. Es war das größte
»General Observers«-Projekt im 23. wissenschaftlichen
Betriebsjahr des Weltraumteleskops.
Im Rahmen von RELICS beobachteten wir alle 41 Gala-
xienhaufen auf unserer Liste im infraroten Kanal der Wide
Field Camera 3 (WFC3/IR) von Hubble. Außerdem betrach-
teten wir mit Hubbles Advanced Camera for Surveys (ACS)
die Objekte im roten, grünen und blauen sichtbaren Licht,
sofern das nicht zuvor geschehen war. Die ACS- Aufnahmen
haben eine höhere Auflösung und helfen uns damit, die
Linseneigenschaften der Galaxienhaufen zu messen und
daraus die Vergrößerung der auf den WFC3/IR-Bildern
entdeckten, weit entfernten Galaxien abzu schätzen.
Wir beobachteten bei sieben verschiedenen Wellenlän-
gen zwischen 0,4 und 1,7 Mikrometern und erhielten auf
diese Weise grobe Spektren der Galaxienstrahlung. Indem
wir auf spezifische Strukturen im Spektrum achteten,
beispielsweise auf die Absorption durch neutralen Wasser-
stoff, konnten wir die Rotverschiebung der Strahlung und
damit die Entfernung der Galaxien abschätzen.
Weitere Projektanträge brachten uns zusätzliche 946
Stunden Beobachtungszeit am Infrarot-Weltraumteleskop
Spitzer ein. Da es andere Wellenlängen erfasst als Hubble,
konnten wir mit ihm die Sterne in den Galaxien genauer
charakterisieren und auch ihre Gesamtmasse bestimmen.
Daneben überprüften wir, ob die Galaxien wirklich so weit
entfernt sind, wie es anhand der Hubble-Aufnahmen
scheint.


Eine einzigartige Entdeckung
Unserem Postdoc Brett Salmon gelang dann die wohl
wichtigste Entdeckung: Er stieß auf SPT0615-JD. Die Gala-
xie stach auf den Hubble-Aufnahmen keineswegs sofort als
das einzigartige Objekt hervor, das es ist. Galaxien können
aus unterschiedlichen Gründen einen Rotstich haben.
Einige von ihnen sind stark rotverschoben wie eben
SPT0615-JD. Andere sind lediglich in dichte Staubwolken
gehüllt, die ihr blaues Licht absorbieren und im infraroten
Bereich wieder aussenden. Dadurch erscheinen sie röter,
als sie eigentlich sind.
Wieder andere rote Galaxien befinden sich in unserer
lokalen Umgebung, sind aber sehr alt. In ihnen
haben sich in jüngerer Zeit nicht mehr viele neue
Sterne gebildet; dadurch dominieren alte Sterne, die
vor allem rot leuchten. Bei roten Galaxien auf Teles-
kopbildern können sogar alle diese Faktoren zusam-
men auftreten: Sie sind mitunter rotverschoben,
staubig und zum Zeitpunkt der Aufnahme schon
ziemlich alt.
Deshalb sind Spitzer-Beobachtungen im Infrarot-
bereich bei Wellenlängen von drei bis fünf Mikrome-
tern so wichtig für uns: Mit ihnen lassen sich ferne,
stark rotverschobene Galaxien von nahen, intrinsisch
roten Galaxien unterscheiden. Tatsächlich stießen
wir auf den Hubble-Aufnahmen zunächst auf drei
Kandidaten – darunter SPT0615-JD –, die eine Rotverschie-
bung mit einem Wert von 10 zu haben schienen. Das ent-


spricht auf den ersten Blick einer Zeit, als das Universum
weniger als 500 Millionen Jahre alt war. Beobachtungen mit
Spitzer zeigten uns jedoch, dass die Rotverschiebung von
zwei dieser Kandidaten vermutlich lediglich 2 beträgt.
Damit hätte ihr Licht »nur« etwa zehn Milliarden Jahre zu
uns benötigt, was etwa drei Vierteln des jetzigen Weltalters
entspricht. Lediglich SPT0615-JD überstand den Spitzer-
Test und verblieb als Kandidat für einen neuen Entfernungs-
rekord.
Durch die Kombination von Salmons Auswertung der
Hubble-Daten mit einer Analyse der Spitzer-Messungen
durch Victoria Strait von der University of California in Davis
konnten wir zeigen, dass die Intensität der Strahlung von
SPT0615-JD bei einer Wellenlänge von etwa 1,34 Mikrome-
tern schlagartig abfällt. Bei kleineren Wellenlängen ist die
Galaxie nicht mehr zu sehen. Die fehlende Strahlung, so
unsere Vermutung, hat den Wasserstoff im jungen Kosmos
reionisiert.
Die Abbruchkante im Spektrum von SPT0615-JD ist für
uns ausgesprochen nützlich: Sie erlaubt uns, die Entfernung
der Galaxie zu bestimmen. Zwar sehen wir die Kante bei
1,34 Mikrometern. Aber wir wissen aus der Atomphysik,
dass neutraler Wasserstoff eigentlich ganz anderes Licht
absorbiert, nämlich extreme ultraviolette Strahlung mit
Wellenlängen kleiner als 0,12 Mikrometer. Der Vergleich
zwischen dieser ursprünglichen und der beobachteten

Zwei unterschiedliche Strategien


leeres Feld durch eine Gravitationslinse
beobachtetes Feld

Für ihre Suche nach weit entfernten Galaxien kön-
nen Astronomen zwei verschiedene Verfahren
anwenden. Beim ersten machen sich die Wissen-
schaftler Langzeitaufnahmen von vermeintlich
leeren Himmelsregionen zu Nutze. Beim zweiten
beobachten sie gerade solche Regionen, in denen
sich Galaxienhaufen befinden, und nutzen diese
als Gravitationslinse, die Licht dahinterliegender
Quellen bündelt. Wegen der Vergrößerung betrach-
tet man so zwar einen kleineren und seltsam ge-
formten Himmelsausschnitt, kann aber Galaxien
aufspüren, die sonst zu leuchtschwach wären.

NIGEL HAWTIN / SCIENTIFIC AMERICAN NOVEMBER 2018;

BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT
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