Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

Start wegen technischer Probleme nach derzeitigem Stand
allerdings frühestens 2021 ansteht. Das JWST könnte uns
einen Einblick in die innere Struktur der Galaxie liefern,
ihren Beitrag zur Reionisierung messen und ihre chemische
Zusammensetzung bestimmen – ob sie also noch aus
reinem Wasserstoffgas besteht oder bereits mit schwere-
ren Elementen angereichert ist.
SPT0615-JD war die wichtigste Entdeckung von
RELICS, aber wir haben darüber hinaus rund 300 weitere
Kandi daten für sehr frühe Galaxien gefunden. Alle von
ihnen müssen noch durch Nachfolgebeobachtungen über-
prüft werden. Im Rahmen unseres Projekts entdeckten
wir außerdem die bislang hellsten bekannten Galaxien bei
Rotverschiebungen mit einem Wert von 6, was einem
Universumsalter von etwa einer Milliarde Jahren entspricht.


Die Lücke in unserer Geschichte
Die frühen Galaxien könnten uns letztlich dabei helfen, ein
fehlendes Kapitel im Geschichtsbuch des Universums zu
füllen. Wissenschaftler haben zwar eine grundlegende
Theorie über die ersten Momente nach dem Urknall, als
sich der Kosmos vermutlich durch ein als Inflation bezeich-
netes Phänomen für einen kurzen Moment mit gewaltiger
Geschwindigkeit aufblähte. Und etwa 380 0 00 Jahre nach
der Entstehung von Raum und Zeit hatte sich das Univer-
sum ausreichend abgekühlt, um die Bildung der ersten
Atome zu ermöglichen, wodurch der Kosmos erstmals für
Licht durchsichtig wurde. Das Nachglühen dieser Epoche
ist bis heute in der kosmischen Hintergrundstrahlung
verewigt.
Auf diesen Schnappschuss folgt dann jedoch eine 400
Millionen Jahre große Lücke in unserem Wissen. Bislang
haben wir kein einziges Objekt in dieser Epoche aufspüren
können. Drei Prozent der kosmischen Saga liegen damit
völlig im Dunkeln. Wir wissen allerdings, dass diese Epoche
ereignisreich gewesen sein muss. Die ersten Sterne ent-
standen wohl 100 Millionen Jahre nach dem Urknall. An-
schließend begannen sie wahrscheinlich damit, immer
größere Ansammlungen zu bilden, aus denen schließlich
die ersten Galaxien hervorgingen. Das Licht dieser Galaxien
reionisierte dann den Wasserstoff im Universum.
Anhand der ersten Galaxien können wir vielleicht etwas
über diese Prozesse lernen. Mit RELICS und ähnlichen
vorangegangenen Projekten– wie etwa CLASH, CANDELS
und Frontier Fields – haben wir zweifellos Fortschritte
gemacht. Wenn erst das JWST im All ist, hoffen wir auf
einen noch größeren Sprung. Es wird dann das leistungs-
stärkste Instrument der Menschheit zur Untersuchung
der frühesten Epochen des Kosmos sein. Es wird leucht-
schwächere, weiter entfernte Galaxien bei größeren Wel-
lenlängen und mit höherer Auflösung beobachten als alle
bisherigen Teleskope. Und wir sollten mit dem JWST in der
Lage sein, die Massen und die chemische Zusammen-
setzung der Galaxien sowie ihren Beitrag zu Reionisierung
zu bestimmen.
Gravitationslinsen haben uns bereits mit den gegenwär-
tigen Teleskopen geholfen, weit entfernte Galaxien aufzu-
spüren. Dieser Vorteil wird bei den Beobachtungen mit dem
JWST bei höheren Rotverschiebungen sogar noch größer.


Je weiter wir in der Zeit zurückblicken, desto stärker domi-
nieren kleinere Systeme die Verteilung der Galaxien. Wenn
sich dieser Trend bis in die ersten 400 Millionen Jahre
fortsetzt, vergrößert sich der Vorteil von Gravitationslinsen
noch einmal ganz erheblich. Auf Basis derzeitiger Schätzun-
gen wage ich vorauszusagen, dass Gravitationslinsen das
entscheidende Element für die Entdeckung der allerersten
Galaxien mit dem JWST sein werden.
Mit Sicherheit wird das JWST Galaxien zu einer Zeit von
300 Millionen Jahren nach dem Urknall sehen. Womöglich
werden Gravitationslinsen es uns dann sogar ermöglichen,
junge Galaxien 200 Millionen Jahre nach dem Urknall
aufzuspüren. Das halbiert die Lücke in der kosmischen
Geschichte, zumindest sofern Galaxien tatsächlich so früh
entstanden sind.
Nach dem Start des Teleskops müssen wir uns mit
diesem Vorhaben beeilen. Wir haben lediglich fünf bis zehn
Jahre Zeit, um mit dem Instrument zu arbeiten. Während
das Hubble-Teleskop 28 Jahre nach seinem Start – trotz
kleiner Altersschwächen – immer noch gute Arbeit leistet,
hat das JWST bloß Treibstoff für ein Jahrzehnt an Bord.
Danach können wir es nicht mehr auf seiner Umlaufbahn
am Lagrange-Punkt L2 halten, der 1,5 Millionen Kilometer
von der Erde entfernt liegt und damit fast viermal so weit
entfernt ist wie der Mond. Damit ist das Teleskop praktisch
unerreichbar für Astronauten – Reparaturmissionen oder
der Austausch von Instrumenten wie bei Hubble sind kaum
denkbar.

James Webb wird noch weiter zurückblicken
In einer Hinsicht sind die bisherigen Ergebnisse besonders
spannend für uns: Die Milchstraße ist vermutlich etwa zur
gleichen Zeit entstanden wie SPT0615-JD. Doch wir sehen
unsere Galaxie nur so, wie sie heute ist, und wir haben
keine Möglichkeit zu erfahren, wie sie im jungen Kosmos
ausgesehen hat. Im Gegensatz dazu sehen wir SPT0615-JD
in ihrer Jugend, weil das Licht dieser Galaxie so lange zu
uns brauchte. Unsere Milchstraße und SPT0615-JD könnten
letztlich eine ganz ähnliche Geschichte haben. Beide sind
im Verlauf von 13 Milliarden Jahren immer weiter ange-
wachsen. Und auch in SPT0615-JD sind wahrscheinlich
rund um Sterne Planeten entstanden – auf einigen dieser
Planeten vielleicht sogar Leben.
Falls eine dieser Lebensformen Intelligenz entwickelt hat,
schaut sie womöglich gerade mit Teleskopen durch densel-
ben Galaxienhaufen hindurch und sieht einen schwach
leuchtenden roten Fleck – ein vergrößertes Bild der Milch-
straße kurz nach ihrer Geburt. Das ist wohl einer der Haupt-
gründe, warum wir immer weiter in die Tiefen des Kosmos
und zurück in die Zeit blicken: um unsere Ursprünge zu
erforschen und unsere Rolle im Kosmos zu ergründen. 

QUELLEN
Oesch, P. A. et al.: A remarkably luminous galaxy at z = 1 1.1
measured with Hubble space telescope grism spectroscopy.
The Astrophysical Journal 819, 2016
Salmon, B. et al.: RELICS: a candidate z ~ 10 galaxy strongly
lensed into a spatially resolved arc. The Astrophysical Journal
Letters 864, 2018
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