Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

hen bleibt. Über die vergleichsweise große Distanz, die der
Laserstrahl in unserem Aufbau zurücklegt, verschiebt sich
jedoch seine Lage der Minima und Maxima. Für die Atome
ist es, als würde sich das lange Gitter geradlinig bewegen.
Während eines »Pumpzyklus«, in dem das lange Gitter
genau eine Periode zurücklegt, würde sich ein klassisches
Teilchen innerhalb einer Senke nicht vom Fleck rühren.
Denn obwohl sich die Tiefe der Gitterminima periodisch
ändert, bleiben sie stets an der gleichen Stelle.
Wegen des quantenmechanischen Tunneleffekts können
die Atome zu tieferen, benachbarten Minima hüpfen und so
der Bewegung des langen Gitters folgen. Diesen eindrucks-
vollen Vorgang haben wir 2015 in unserem Labor beobach-
tet. Da der Teilchenfluss in unserem Experiment der Chern-
Zahl und damit dem Hall-Strom eines zweidimensionalen
Systems entspricht, hatten wir das eindimensio nale Äquiva-
lent des Quanten-Hall-Effekts geschaffen.
Um unser Experiment auf den höherdimensionalen Fall
zu verallgemeinern, mussten wir zuerst verstehen, wie die
eindimensionale Ladungspumpe mit dem Quanten-Hall-
Effekt zusammenhängt. In von Klitzings Versuch flossen die
Elektronen entlang einer angelegten Spannung (x-Rich-
tung); sie wurden jedoch durch die Lorentzkraft abgelenkt
(y-Richtung) und erzeugten dort einen quantisierten Hall-
Strom. Nun wollten wir die Größen in der Ladungspumpe
identifizieren, die der angelegten Spannung, dem Magnet-
feld und dem Hall-Strom entsprechen (siehe Tabelle, S. 58).
Die Verschiebung des langen Gitters setzt den Pump-
zyklus erst in Gang, sie entspricht daher einer angelegten
Spannung im Quanten-Hall-System. Der Hall-Strom hängt
von der Chern-Zahl ab, die wiederum der Anzahl der ge-
pumpten Atome im optischen Gitter entspricht. Doch was
ist das Äquivalent des Magnetfelds? Im Quanten-Hall-Effekt
beeinflusst die Stärke des Magnetfelds die Chern-Zahl
und damit den Hall-Strom. In der Ladungspumpe hängt die
Anzahl der getunnelten Atome von der Form des Übergit-
ters ab. Je nachdem, wie sich das optische Gitter über
einen Pumpzyklus verändert, können die Teilchen über
mehrere Senken hinweg tunneln. Die Form des Übergitters
ergibt sich aus den Perioden des kurzen und des langen
Gitters. Das Verhältnis beider Gitterperioden (das in unse-
rem Experiment 0,5 ist, da die Wellenlänge des ersten
Lasers doppelt so groß ist wie die des anderen) steuert die
Anzahl der gepumpten Atome. Daher entspricht dieses
Verhältnis der Stärke des simulierten Magnetfelds.


Von der eindimensionalen Ladungspumpe
in die zweite Dimension
Um das Quantenphänomen in vier Dimensionen zu unter-
suchen, überlegten sich Zilberberg und seine Kollegen,
dass drei Zutaten nötig sind: Eine zweidimensionale La-
dungspumpe sowie das Äquivalent eines elektrischen und
eines magnetischen Felds im vierdimensionalen Modell.
Die ersten beiden Zutaten hatten wir schnell identifiziert.
Zuerst ordneten wir zwei topologische Ladungspumpen
senkrecht zueinander so an, dass sich ihre Minima kreuzen.
Dadurch entstand ein zweidimensionales Übergitter in der
xy-Ebene (siehe Bild rechts). Das Äquivalent eines elek-
trischen Felds, also einer Spannung, ist in diesem Modell


denkbar einfach: Es entspricht der Bewegung des langen
Gitters in x-Richtung, genau wie im eindimensionalen Fall.
Das Magnetfeld gestaltete sich aber komplizierter.
Anders als in drei Dimensionen haben Magnetfelder in vier
Dimensionen nämlich keine Richtung; stattdessen sind ihre
Werte in zweidimensionalen Ebenen definiert. In vier Di-
mensionen mit den Koordinaten x,y,v und w (wobei v und w
die virtuellen Dimensionen unseres Experiments sind) kann
ein Magnetfeld in mehreren der dadurch definierten Ebe-
nen verlaufen.
Die senkrecht angeordneten Ladungspumpen simulieren
durch die jeweiligen Verhältnisse ihrer kurzen und langen
Gitterperioden (in diesem Fall ist die eine doppelt so lang
wie die jeweils andere) die Magnetfelder zweier separater
Quanten-Hall-Systeme: Eines in der xv- und eines in der
yw-Ebene (siehe Bild, S. 59). Verschiebt man das lange
Gitter in x-Richtung, beobachtet man bloß den zweidimen-
sionalen Quanten-Hall-Effekt im xv-System – also nichts
Neues. Um ein vierdimensionales Phänomen aufzuspüren,
brauchten wir ein schwaches zusätzliches Magnetfeld in
xw-Richtung, das die Bewegung der Teilchen in den xv-
und yw-Ebenen koppelt. Nur so kann ein zweiter quantisier-
ter Strom im vierdimensionalen System entstehen.
Also standen wir vor der Aufgabe, mit unserem Laser-
system ein drittes Magnetfeld zu simulieren, das die senk-
recht angeordneten Ladungspumpen miteinander koppelt.
Unsere Idee war es, den Laserstrahl des langen Gitters der
y-Richtung um einen kleinen Winkel zu verkippen, so dass
die langen Gitter in der xy-Ebene nicht mehr senkrecht
aufeinander treffen und sich die Ladungspumpen dadurch
gegenseitig beeinflussen. Die Form der Doppeltöpfe in
y-Richtung hängt dann von der x-Koordinate ab. Die physi-
kalischen Auswirkungen kommen einem schwachen Mag-
netfeld in der xw-Ebene des vierdimensionalen Quanten-
Hall-Systems gleich.
Als wir alle nötigen Zutaten für unseren Versuch iden-
ti ziert hatten, konnten wir mit dem Experiment beginnen. fi
Wir verwendeten einen ähnlichen Aufbau wie für den

Verkippt man das lange Gitter der eindimensionalen
Ladungspumpe in y-Richtung um einen kleinen Win-
kel, koppelt man die durch die Übergitter (blau) erzeug-
ten, senkrecht aufeinanderstehenden Ladungspumpen
und simuliert damit ein schwaches Magnetfeld im
vierdimensionalen Quanten-Hall-System.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MANON

BISCHOFF, NACH: MICHAEL LOHSE

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