Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

AICAN als Urheber. Als 2017 AICANs »St. George Killing
the Dragon« (siehe Bild S. 69) bei einer Auktion in New York
für 16 0 00 US­Dollar verkauft wurde, ging der größte Teil
des Erlöses an die Rutgers University und das Institut des
Hautes Études Scientifiques in Frankreich.
Dennoch fehlt etwas im künstlerischen Prozess der KI:
Auch wenn die Bilder ansprechend erscheinen, entstehen
sie ohne sozialen oder gesellschaftlichen Hintergrund.
Menschliche Künstler lassen sich hingegen von Personen,
Orten und Politik inspirieren. Sie schaffen Kunst, um Ge­
schichten zu erzählen und die Welt zu verstehen.
Kura toren können jedoch die KI­Kunstwerke nachträglich
in einen gesell schaftlichen Kontext einbetten. Das haben
wir mit »Alternative Facts: The Multi Faces of Untruth«
getan. So nannten wir eine Reihe von KI­generierten Port­
räts, die uns durch ihre Aktualität überrascht haben. 


QUELLEN
Elgammal, A. et al.: The shape of art history in the eyes of the
machine. ArXiv 1801.07729, 2018
Elgammal, A. et al.: CAN: Creative adversarial network,
generating »art« by learning about styles and deviating from
style norms. ArXiv 1706.07068, 2017
Elgammal, A. et al.: Quantifying creativity in art networks.
ArXiv 1506.00711, 2015

© American Scientist
unter Verwendung der beiden Artikel aus »The Conversation«

16. Oktober 2018 (theconversation.com/when­the­line­between­
machine ­and­artist­becomes­blurred­ 1 03149) / CC BY­ND 4.0
und »The Conversation« 17. Oktober 2018 (theconversation.com/
meet­aican­a­machine­that­operates­as­an­autonomous­ar­
tist ­ 1 04381) / CC BY­ND 4.0 (creativecommons.org/licenses/
by ­nd/4.0/legalcode)


Kunstgeschichte
aus Sicht einer Maschine

Zusammen mit Kollegen vom
College of Charleston in South
Carolina hat meine Arbeitsgruppe
untersucht, wie Computer die
Arbeit von Kunsthistorikern erleich­
tern und ergänzen können.
Wir brachten den Maschinen
bei, Bilder durch visuelle Merkmale
zu unterscheiden. Dabei stützten
wir uns auf die Theorie des Schwei­
zer Kunsthistorikers Heinrich Wölff­
lin (1864–1945), der Bilder nur
gemäß ihrer formalen Eigenschaf­
ten einordnete und nicht wie seine
Vorgänger auch Inhalt und Aus­
druck berücksichtigte. Wölfflin
gelang es so, Renaissance und
Barock durch fünf Schlüsselprinzi­
pien zu unterscheiden: linear/
malerisch, Fläche/Tiefe, geschlos­
sen/offen, Vielheit/Einheit, Klarheit/
Unklarheit.
Wir übergaben unserem Pro­
gramm 80 0 00 digitalisierte Bilder
ohne jegliche Zusatzinformatio­
nen über den Künstler, das Entste­
hungsdatum oder die Genre­
zuordnung. Der Algorithmus ord­
nete sie bloß nach Wölfflins
Schlüsselprinzipien an.
Überraschenderweise erklären
schon Wölfflins erste beide Unter­
scheidungen zwischen linear/
malerisch und Fläche/Tiefe den
kunsthistorischen Verlauf. Als wir

die Kunstwerke nach diesen vier
Eigenschaften sortierten, bildete
sich ihre korrekte Entstehungs­
geschichte ab. So fanden wir auch
heraus, warum das Programm
bestimmte Künstler als unverwech­
selbare Repräsentanten ihrer Stile
ausgewählt hat: Ihre Werke mar­
kieren Extrempunkte entlang der
auf jeden Stil abgestimmten Di­
mensionen.
In den Ergebnissen bilden zum
Beispiel Cézannes Werke eine
Brücke zwischen Impressionismus
und Kubismus. Diese Einschätzung
teilen Kunsthistoriker, die Cézanne
als Schlüsselfigur für den Stil­
wechsel zur abstrakten Kunst des


  1. Jahrhunderts sehen. In den
    computergenerierten Daten lässt


sich im Postimpressionismus
außerdem eine Verzweigung erken­
nen: Die Werke von Cézanne
grenzen sich deutlich von anderen
Stücken aus jener Zeit ab. Der
»Cézanne­Zweig« verbindet sich
dann mit frühen kubistischen
Bildern von Picasso und Braque
sowie mit abstrakten Gemälden
von Kandinsky.
Insgesamt kann die Kunst­
geschichte von den neuesten
Entwicklungen im maschinellen
Lernen profitieren. Sie könnte
so zu einer prädiktiven Wissen­
schaft werden, in der Computer­
programme grundlegende Muster
und Trends offenbaren, die für
das menschliche Auge gar nicht
ersichtlich sind.

1950
1900
1850
1800
1750
1700
1650
1600
1550
1500
1450

4

4

3

3

2

2

1

1

0

0

5

5

0

10

–1

–1

–2

–2

–3

–3

–4

–4

–5

–5

–6
×10–3

×10–3

×10–3

AHMED ELGAMMAL, ART & AI LAB RUTGERS UNIVERSITY

Cezanne­
Brücke

Datum

Fläche versus Tiefe

linear versus malerisch

Impressionismus

Realismus

Neoklassizismus

Barock

Renaissance

Brücke von
»El Greco« Pop­Art
Expressionismus

Postimpressionismus

Kubismus

abstrakt

dritte, von der
KategorieKI gewählte
Free download pdf