Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1
AUF EINEN BLICK
DIE MUSTERGÜLTIGE
ADMINISTRATION VON PERSEPOLIS

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Das »Festungsarchiv« von Persepolis aus mehreren
tausend Tontafeln und Tafelfragmenten liefert
detaillierte Informationen zur wirtschaftlichen Organi­
sation im Kernland des altpersischen Reichs.

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Beispielsweise sorgte eine hierarchisch strukturierte
Verwaltung dafür, dass ausreichend Lebensmittel
erzeugt und gelagert sowie mit Kamelen auf sicheren
Fernstraßen befördert werden konnten.

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Schriftfunde aus Ägypten, Arachosien und Baktrien
belegen: Periphere Provinzen arbeiteten nach demsel­
ben Muster. Altorientalisten gehen davon aus, dass
dort vergleichbare Verwaltungszentren existierten.


Alexanders Soldaten waren erschöpft und hungrig.
Auf dem Weg von Indien nach Babylon durchquerte
ein Teil der Armee das wüstenhafte Landesinnere
Gedro siens (siehe Spektrum Spezial Archäologie Geschichte
Kultur 1.19, S. 24/25), ein anderer zog an dessen feucht­
heißer Küste entlang. Eine unwirt liche Region, die das Heer
dezimieren sollte. Doch dann habe man an einem Ort im
Landesinneren reichlich Nahrung vorgefunden, berichtete
der griechische Historiker Arrian von Nikomedeia (2. Jahr­
hundert n. Chr.). Zudem ließ Alexander weitere Lebens­

mittel im ganzen Land eintreiben und befahl den Einheimi­
schen, gemahlenen Weizen, Datteln und Schafe herbeizu­
bringen. Ein Teil davon sollte auf Lasttiere verladen werden,
um das Truppenkontingent an der Küste zu ver sorgen.
Viele Soldaten starben durch die Entbehrungen, aber
dank der Maßnahmen blieb eine Katastrophe aus. Was
Forschern heutzutage Rätsel aufgibt: Woher stammten all
die Lebensmittel, die das karge Gedrosien kaum hatte her­
vorbringen können? Arrians Schilderung lässt vermuten,
Alexanders Armee habe sich bei den Notvorräten der
Bevölkerung bedient. Allein die gut 30 0 00 Soldaten hätten
28 bis 38 Tonnen Mehl täglich benötigt, dazu kamen Frau­
en, Kinder, Pferde und Lasttiere. Somit lag der Tagesbedarf
an Getreide bei mehr als 50 Tonnen, nach einigen Schätzun­
gen sogar bei 175 Tonnen. Daraus Mehl zu gewinnen, er ­
forderte überdies Arbeitskräfte und entsprechende Werk­
zeuge. Auch Vieh und Datteln setzten, sollte eine ganze
Armee davon leben, eine auf Überschuss ausgerichtete
Viehzucht sowie professionell betriebene Dattelplantagen
mit organisierter Bestäubung, Ernte und Lagerung voraus.
Liest man zwischen den Zeilen, gab es eine »institutio­
nelle Landschaft«, das heißt eine etwa durch Bauten und
Verkehrswege sichtbar gewordene Reichsverwaltung der
Achämeniden (siehe »Kurz erklärt«, S. 83). So existierte
offenbar ein Netz staatlich organisierter Getreidespeicher
und Lagerhäuser, großer Viehherden und Plantagen, dazu
gut ausgestattete Arbeiter und ein Verteilungssystem. Was
bei Arrian wie eine Fußnote der Geschichte klingt, illustriert
einen wenig beachteten Aspekt des gesamten Feldzugs:
Ohne ein gut organisiertes persisches Versorgungsnetz­
werk hätte Alexander der Große das angeblich so marode
Imperium wahrscheinlich gar nicht erobern können.

PERSIEN


WIE EIN WELTREICH


FUNKTIONIERT


Tausende von Tontafeln aus Persepolis und etliche Schriftfunde
aus den Provinzen belegen: Das altpersische Imperium war
beeindruckend effizient organisiert. Was paradoxerweise seinem
Gegner Alexander dem Großen in die Hände spielte.

Der Historiker und Philologe Wouter Henkelman lehrt an der École Pratique des Hautes Études
(EPHE) in Paris. Seine Interessen gelten dem achämenidischen und dem elamischen Reich.
Unter anderem erforscht er in einem internationalen Team das »Festungsarchiv« von Persepolis.

 spektrum.de/artikel/1625450
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