Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1
bezirke Ara chosiens waren auf vielfältige Weise miteinan­
der verknüpft.
Unter den Mauern der Zitadelle von Alt­Kandahar, dem
administrativen, politischen und militärischen Zentrum
dieser Satrapie, entdeckten Archäologen zwei Tafelfrag­
mente mit elamischer Keilschrift. Als die Taliban 1996 das
Nationalmuseum Kabul plünderten, gingen beide zunächst
verloren, doch eines wurde kürzlich im Lager des Museums
wiederentdeckt. So klein es auch ist, hat es doch enorme
Bedeutung (siehe Bild oben). Denn das Format, die Keil­
schrift und die wenigen erhaltenen Begriffe des Rech­
nungstextes entsprechen derart genau den Dokumenten
des Festungsarchivs, als wäre das Artefakt in Persepolis
ans Licht gekommen, nicht 3000 Kilometer weiter östlich.
Ein Verwaltungsmitarbeiter der Persis hätte sich in der
Administration Arachosiens mühelos zurechtgefunden. Und
das lässt sich vermutlich auf eine Reihe von weiteren
Provinzen übertragen.
Das Festungsarchiv und die bislang bekannten Doku­
mente aus anderen satrapischen Archiven helfen, eines der
großen Rätsel der Geschichte zu lösen: Wie konnte Alexan­
der der Große mit einem an Zahl unterlegenen Heer in nur
wenigen Jahren ein riesiges Weltreich erobern, das mehr
als zwei Jahrhunderte Bestand hatte? Die antiken Autoren
verwiesen auf Alexanders militärisches Genie, auf sein

Charisma und seine Gottgleichheit, aber auch auf die
Dekadenz des persischen Hofes und die Unfähigkeit seines
Königs. Doch selbst wenn all diese Schilderungen der
historischen Wirklichkeit entsprochen hätten, genügen die
Erklärungen nicht. Denn Soldaten müssen essen und
trinken, sie benötigen Kleidung und Waffen. Die Militärge­
schichte ist voll von Beispielen verlorener wie erfolgreicher
Schlachten, bei denen die Sicherung des Nachschubs den
Ausschlag gab (siehe »Brot, Fleisch, Pulver, Geld«, Spektrum
Spezial Archäologie Geschichte Kultur 1/2018, S. 34).
Der griechische Gelehrte Plutarch erzählte im 1. Jahrhun­
dert n. Chr. dazu eine aufschlussreiche Anekdote. Der junge
Alexander habe einst die persischen Botschafter am make­
donischen Königshof nach den Längen der Straßen in ihrer
Heimat und Einzelheiten ihrer Reiseroute ausgefragt. Es
scheint durchaus plausibel, dass sich der Prinz tatsächlich
über die Verhältnisse im achämenidischen Reich informier­
te – der Persienfeldzug stand schon bei seinem Vater auf
der Agenda. Ob er es geplant hatte oder auf die Gegeben­
heiten vor Ort reagierte, das militärische Genie Alexanders
äußerte sich auch darin, die ausgetüftelte Logistik der
persischen Satrapien zum eigenen Vorteil zu nutzen. 

QUELLEN
Briant, P.: The empire of Darius III in perspective. In: Heckel, W.,
Trittle, L. (Hg.): Alexander the Great: a new history. Wiley­Black­
well, 2009
Henkelman, W.: Imperial signature and imperial paradigm
Achaemenid administrative structure and system across and
beyond the Iranian plateau. In: Jacobs, B. et al. (Hg.): Die Verwal­
tung im Achämenidenreich – Imperiale Muster und Strukturen.
Classica et Orientalia 17. Harrasowitz, 2017
Kuhrt, A.: The persian empire: a corpus of sources from the
Achaemenid period. Routledge, 2007

Eine Tafel aus dem Archiv von Persepolis? Nein, dieses
Fragment hat zwar alle entsprechenden Merkmale,
aber es wurde in Afghanistan entdeckt, wo in achäme-
nidischer Zeit Arachosien lag. Der Fund deutet auf ein
ausgedehntes, jedoch einheitliches Reich hin, in dem
die Verwaltungsstruktur von Persepolis allgemein als
Vorbild diente.

NATIONAL MUSEUM OF AFGHANISTAN / FAHIM RAHIMI (SF 1399)


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